Geschichtsbewusstsein

Kompass

Die Tübinger Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel leitete eine Delegation ihrer Fraktion nach Wolgograd, um an den Feierlichkeiten zum Gedenken an den 75. Jahrestag des Sieges der Roten Armee über die Wehrmacht in der Schlacht um Stalingrad teilzunehmen (2. Februar).

04.03.2018

Von Uwe Brauner, Tübingen

Den früheren Wohltaten einer Nation widerfährt im Konflikt ihre massenpsychologische Ent- oder gar Umwertung durch den Konfliktpartner: Die Strickjackenfotos mit Kohl und Gorbatschow vom Sommer 1990 sind dem Beziehungsfrost gewichen. Beim Stalingrad-Gedenken war kein einziges Regierungsmitglied zu Gast im heutigen Wolgograd. Stattdessen wurde der rassenideologische Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion skandalös zu „militärischen Handlungen“ verharmlost, als träfe die Hitlerregierung gar keine Schuld.

So dreist verbannt man Anstand und Mitgefühl aus den Köpfen und wirft man die Demut und Dankbarkeit hinter sich, die wir den Russen für die Wende von Stalingrad schulden: Vor allem sie erlösten Deutschland und die Welt vom Alptraum ihres tiefen Absturzes in rassistische Barbarei, und vor allem Russland schenkte uns die Wiedervereinigung.

Deshalb schuldet der Landkreis Heike Hänsel Dank für den Kompass ihres wachen Geschichtsbewusstseins. Sie wirkte in einer kleinen Delegation deutscher Politiker/innen der Entfremdung zwischen Russen und Deutschen entgegen, eingedenk der uns aufgetragenen besonderen Verantwortung für den Frieden. Dazu gehört auch, das Misstrauen gegenüber den seit dem Kalten Krieg massivsten Militärbewegungen der Nato hin zur Westgrenze Russlands zu nähren und dem Gefasel amerikanischer Generäle von einem neuen großen Krieg in Europa zu wehren, indem man die Politik der ausgestreckten Hand einfordert, die Putin schon seit seiner Bundestagsrede 2001 anbietet.