Universität

Konsulin schrieb an Rektor

Die Staatsgründung Israels war mit ethnischer Säuberung verbunden, sagt der israelische Historiker Ilan Pappé. Gegner wollten den Vortrag verhindern.

21.06.2018

Von Angelika Bachmann

Ilan Pappéwird den sogenannten „Neuen israelischen Historikern“ zugeordnet.. Bild: Uni Exeter

Ilan Pappéwird den sogenannten „Neuen israelischen Historikern“ zugeordnet.. Bild: Uni Exeter

Ein Vortrag am Politikwissenschaftlichen Institut sorgt für Aufregung – im Vorfeld und im Nachgang. Der israelische Historiker Ilan Pappé sprach vergangenen Freitag über „70 Jahre Nakba“ und die Vertreibung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung im Zuge der Staatsgründung Israels. Wie das Rektorat der Universität gegenüber dem TAGBLATT bestätigte, gab es im Vorfeld Versuche, den Vortrag zu verhindern. Die Generalkonsulin des Staates Israel für Süddeutschland, Sandra Simovich, hatte einen Brief an den Rektor geschrieben, man möge den Vortrag absagen: „Es wurde die Sorge geäußert, radikale Inhalte könnten transportiert und das Existenzrecht Israels in Abrede gestellt werden“, teilte das Rektorat auf Anfrage mit.

Dem TAGBLATT sagte Simovich gestern auf Nachfrage: Sie habe den Rektor gebeten, die Veranstaltung abzusagen. Dass es dazu komme, damit habe sie aber eh nicht gerechnet. Sie habe damit abeine Diskussion über die Art der Veranstaltung anregen wollen, so Simovich. Denn Pappé vertrete allein die Sichtweise der Palästinenser. Er sei ein Post-Zionist und einseitig in seiner Argumentation. Eine Universität müsse aber darauf achten, dass die Komplexität eines Themas in den Veranstaltungen widergespiegelt werde.

Der Historiker Ilan Pappé ist israelischer Staatsbürger und Direktor des Europäischen Zentrums für Palästina-Forschung an der Universität Exeter. Er hat an der Hebrew University in Jerusalem studiert, in Oxford promoviert und lehrte von 1984 bis 2000 an der Uni Haifa, wo er bis 2000 das Akademische Friedensinstitut in Givat Haviva leitete.

Die Organisatoren des Vortrags am Lehrstuhl „Vorderer Orient und Vergleichende Politikwissenschaft“ der Uni Tübingen zeigten sich bestürzt angesichts der Versuche, den Vortrag zu verhindern, sowie über Briefe, die im Nachgang dem Institut und der Universität Einseitigkeit und Kritiklosigkeit vorwerfen. Er habe während des Vortrags die Zuhörer mehrfach dazu aufgefordert, Fragen und Kritik zu äußern, sagte der Nahost-Experte und Lehrstuhl-Inhaber Prof. Oliver Schlumberger. „Es hat keiner was gesagt. Akademische Debatten leben aber davon, dass die Leute bereit sind zu debattieren.“

In seinem Vortrag habe Pappé die israelische Siedlungspolitik im Vergleich mit Lateinamerika und Nordamerika analysiert und in den Konzepten vergleichbare Elemente der ethnischen Säuberung benannt. „Der Vortrag war ein Plädoyer an die Humanität und keine politische Propaganda. Pappé ist ein Bürger Israels und kein Feind Israels.“

Aufgrund der Intervention der Generalkonsulin hat die Uni-Leitung im Vorfeld mit den Veranstaltern gesprochen. Man habe die Bedenken ernst genommen und deutlich gemacht, dass die Universität keinerlei Plattform für Hetze und Hassreden sei, so das Rektorat. Die Universität bekenne sich ausdrücklich zum Existenzrecht Israels und toleriere nicht, dass dieses in Abrede gestellt werde.

Jedoch: „Eingriffe in akademische Debatten oder gar die Untersagung von Veranstaltungen seitens der Universitätsleitung wären mit Blick auf die Freiheit der Wissenschaft und auf eine offene Debattenkultur nur angezeigt, wenn Inhalte transportiert werden, die gegen das Grundgesetz verstoßen“, teilt das Rektorat in einer Stellungnahme mit.

„Nach den Informationen der Universität war dies im Vortrag von Herrn Pappé, einem israelischen Staatsbürger und international anerkannten Wissenschaftler, nicht der Fall. Es ging um Perspektiven zu einer möglichen Lösung des anhaltenden und von Gewalt begleiteten Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern sowie das friedliche und gleichberechtigte Zusammenleben aller Bewohner der Region.“

Gegen die Kritik, ein einseitiges Vortragsprogramm zu organisieren, wehrt sich Schlumberger. Er sei bemüht, trotz geringen Budgets, externen Input für die Studierenden an die Universität zu holen: Der ehemalige jordanische Botschafter Hassan Abu Nimah wurde auf Vermittlung des Theologen und Judaisten Prof. Stefan Schreiner vom Rektorat eingeladen, der palästinensische Menschenrechtler Jamal Juma, seinerseits Vorstandsmitglied im Weltsozialforum, in Kooperation mit Pax Christi.

Zudem waren jüngst der Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Beirut, Dirk Kunze, sowie der Nahost-Experte Prof. Eberhard Kienle (Paris) zu Gast. Demnächst werde es einen Vortrag der Syrien-Expertin Prof. Wendy Pearlman geben – weil sie in der Zeit ohnehin privat in Tübingen sei, sagt Schlumberger.

Solche Vorträge seien wichtig, um künftige Berufsfelder für Studierende auszuloten, aber auch für die wissenschaftliche Debatte – und nicht etwa zur politischen Propaganda. Er habe als Professor einen Eid auf die freiheitliche Grundordnung geleistet und sei bereit, diese jederzeit zu verteidigen, betont Schlumberger. „Das gilt insbesondere für die Verteidigung der akademischen Freiheit.“

Ilan Pappé und die „neuen israelischen Historiker“

Ilan Pappéwird den sogenannten „Neuen israelischen Historikern“ zugeordnet. Ab Ende der 1980er Jahre gab es einige Wissenschaftler, die sich zunehmend kritisch mit der Forschung zur Staatsgründung Israels und deren Einordnung beschäftigten.

Aufgrund der Auswertung von erstmals zugänglichem Archivmaterial stellte Pappé die These auf, dass die Staatsgründung Israels einher ging mit einer ethnischen Säuberung und der systematischen Vertreibung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung. Kritiker werfen ihm dagegen unsauberen Umgang mit Quellen vor. In mehreren Publikationen (unter anderem in der „Zeit“ im Dezember 2014) hat Pappé den Friedensprozess in der Zwei-Staaten-Lösung als gescheitert bezeichnet und dafür plädiert, über „einen alternativen Weg in die Zukunft nachzudenken, der auf einer Ein-Staaten-Lösung basiert“. Dass versucht wird, einen Vortrag von ihm zu verhindern, ist für Pappé nichts Neues. So hat etwa die Stadt München 2009 einen bereits zugesagten Vortragsraum nach Protesten einer Organisation wieder entzogen mit der Begründung, man befürchte gewaltsame Auseinandersetzungen.

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21.06.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 21.06.2018, 01:00 Uhr

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