150 Jahre Weingärtnerverein Rottenburg/Wendelsheim

Kostbare Schätze der Rebleute

Der Weingärtnerverein Rottenburg/Wendelsheim feiert am Samstag sein 150-jähriges Bestehen. Die Zunftlade birgt etliche historische Raritäten.

16.11.2018

Von Ursula Kuttler-Merz

Folgende Annonce fand sich im „Neckarboten“ vom 13. Juni 1868: „Morgen nachmittags 3 Uhr versammelt sich der Weingärtnerverein im Vereinslokal zur Sonne. Vorerst sollte ein Ausschuss gebildet werden, deshalb wird von Seite der Mitglieder zahlreiches Erscheinen erwartet. Der Vorstand Gemeinderat Hahn.“ Am 4. Juli 1868 veröffentlichte das Lokalblatt ein „Eingesendet“, in dem ein Ungenannter auf den Vortrag des Stuttgarter Weinbauexperten Single im „Römischen Kaiser“ Bezug nimmt: „Wer weiß, welche Zukunft bei der Überproduktion dem Hopfenbau bevorsteht?“

Damals betrug die Anbaufläche für Hopfen 500 Hektar. Die für Wein lag bei 250 Hektar, während es 1725 noch 400 Hektar gewesen waren: Die Stadt war umgeben von landschaftsfreundlichen grünen Gewerbegebieten mit vielen hundert Arbeitsplätzen. 1681 gab es in Rottenburg noch 450 Weingärtner; die meisten lebten in Ehingen. Viele Rebflächen freilich waren nicht Eigentum der Wengerter, sondern gehörten der „allergnädigsten Herrschaft“, den Kirchen und Klöstern. Die Zeiten, in denen Rottenburger Wein an den Kaiserhof nach Wien geliefert wurde, waren längst vorüber.

Von Lausbühl bis weihnachte

Im 15. Jahrhundert gegründet wurde die bis heute noch bestehende St. Urbans-Bruderschaft, etwas später dürfte eine Vereinigung von Berufsweingärtnern, die „Zunft“ der „Rebleuthe“ entstanden sein. Als im 19. Jahrhundert die Zeit der Zünfte vorbei war, gründeten die Rottenburger einen Weingärtnerverein. In alter Zeit gab es in der Stadt nicht weniger als 76 Flurstücke mit Rebflächen von Altstadt bis Zangenhalde, Äneshalde und Kesselhalde, Dürrbach, Schelmen, Lausbühl, Katzenloch und Weihnächtle.

Nicht nur das „Seel-Biechlein“ der Rottenburger Wengerter mit den Traditions-Gebeten hat den Stadtbrand von 1735 überlebt: Die von Thaddäus Hahn 1852 restaurierte Zunftlade ist älter als der Weingärtnerverein. Lange war sie verschollen und wurde zufällig in einem Kohlenkeller entdeckt – im Geburtshaus von Eugen Bolz.

Das Foto von 1964 (Werner Faiß) zeigt eine der ersten Besenwirtschaften des Weingärtnervereins im Gasthaus zum Hecht. Um den runden Tisch sitzen von links Josef („Josele“) Ulmer mit Frau, Hans Edel, Karle Ruckgaber, Kronenthaler, ein Gast und Karl Laux.

Das Foto von 1964 (Werner Faiß) zeigt eine der ersten Besenwirtschaften des Weingärtnervereins im Gasthaus zum Hecht. Um den runden Tisch sitzen von links Josef („Josele“) Ulmer mit Frau, Hans Edel, Karle Ruckgaber, Kronenthaler, ein Gast und Karl Laux.

In der Zunftlade finden sich jahrhundertealte Schätze wie ein vergoldeter und kunstvoll verzierter Silberbecher aus der Renaissancezeit mit Rundmedaillons und Wappen, die ein „Hänle“ (Winzermesser) zeigen. Verewigt sind darauf Marte Sattler, Jacob Block, Hanns Volmar und Hanns Rapp. Im 19./20. Jahrhundert kamen die Vorstände des Weingärtnervereins hinzu: Thadae Hahn, Eduard Nadler, Martin Barth, Karl Wiedmaier und Paul Heberle, der Großvater des heutigen Mitglieds Reinhold Vollmer. Drei Kriege hatten die Wengerter seit Gründung des Vereins zu überstehen, und dies bedeutete Schwerstarbeit für die Frauen, deren Männer an der Front, gefallen oder in Gefangenschaft waren.

Strafe für Kraut und Rüben

Zu den Besenwirten im „Hecht“, in der Morizschule und in der Turmstube „Alte Welt“ gehörten Martin und Paul Schilling, „Josele“ Ulmer, „Kloos“ und Heinz Wiedmaier, die Familien Heberle, Holocher, Biesinger, Faiß und viele andere. Ludwig Ulmer und Franz Fischer schenkten nach dem Krieg als Letzte noch ihren „Lichtenberger“ in der eigenen Stube aus.

In der Lade fand sich auch die in helles, mit Rollen- und Einzelstempeln verziertes Schweinsleder gebundene Weingärtner-Ordnung von 1696 mit dem Text „Wir der Röm(isch) Kay(serlichen) Maij(estät) Cammerer, O(ber) Ö(sterreichische) Regiments Rath Unndt Lanndts Haubttmann der Kaißerlichen Österreichischen Graffschafft Hochenberg, auch Schulthais, Burgermeister und Rath, alhier zu Rottenburg ahm Negger…“ Da ist seitenweise aufgelistet, welche Strafen den Wengertern drohten: von 6 Kreuzern und „einem halben Pfund Wachs“ bis zu drei Tagen „Turm“ für Fluchen und Schimpfwörter, Erscheinen zur Versammlung ohne Mantel oder für den, der „ein Messer oder ander schädlicher Gewehr“ mit sich trägt. Oder 3 Pfund Heller für den, der „Krauth undt Rüeben“ zwischen die Rebstöcke pflanzt.

Vom ebenfalls in der Zunftlade verwahrten „Maister Büechlein“ von 1751 fehlen Teile. Mitgliederverzeichnisse berichten von alten Wengerter-Familien wie Schiebel, Vollmer, Hofmeister, Stemmler, Stadel, Gollhofer, Ott und Sautermeister – samt Rottenburger Spitznamen wie Weindeißle, Essig, Häzer, Gogele und Köple. Ein Wengerter namens Höschle soll im 19. Jahrhundert einen kunstvoll geschnitzten Stock aus Birnbaumholz mit biblischen Szenen geschaffen haben: Da sind Adam, Lot mit Töchtern, der trunkene Noah und Kundschafter mit Lindwurm zu bestaunen.

Wo und wie die heutigen Rebleute arbeiten, erläuterten dem TAGBLATT Vorstand Bernhard Heberle und der frühere Vorstand Paul Schilling, der für seinen 1966er Ehalder Spätburgunder mit einem sensationellen württembergischen 1A-Preis ausgezeichnet wurde. Seither gab es viele weitere Einzelauszeichnungen mit Gold- und Silbermünzen für Weine der Premiumklasse von Rottenburgs Wengertern.

105 Mitglieder, 8 Hektar Fläche

Der seit Jahrzehnten mit Wendelsheim zusammengeschlossene Weingärtnerverein hat derzeit 105 Mitglieder. In Rottenburg gibt’s zwei Hektar Rebfläche im Martinsberg und vor allem in Ehalde und Neckarhalde. Wendelsheim mit Pfaffenberg und Halde hat sechs Hektar Rebfläche. Vorwiegend frühreifende Sorten wie Müller-Thurgau, Portugieser, Kerner, Spätburgunder und Lemberger sind vertreten. Die Tendenz, sagen die beiden Fachleute, gehe hin zu pilzresistenten Sorten, um Pflanzenschutzmittel zu sparen. Im Verein gibt es drei Anbau-Gemeinschaften, von denen jeweils ein Mitglied eine Ausbaumöglichkeit für den Wein haben sollte.

Mit Prognosen bezüglich Auswirkungen des Klimawandels sind die erfahrenen Wengerter zurückhaltend. 2018 hatte zu viel Sonne und zu wenig Regen, doch der vielfach prophezeite Jahrhundertwein ist noch nicht im Glas: „Dees isch no net gschwätzt!“ lacht Paul Schilling und freut sich aufs Jubiläum am Wochenende.

Großes Fest in der Zehntscheuer

Das Weingärtner-Fest beginnt am Samstag, 17. November, um 18 Uhr in der Zehntscheuer mit einem Secco-Empfang. Auf die Grußworte folgen der Festvortrag von Professor Wolfgang Urban, eine Weinprobe - mit einer früheren Württembergischen Weinprinzessin - und das Festessen. Zur musikalischen Unterhaltung spielen die Doppel-Radler.