Horb · Bildungswesen

Kritik „absolut ungerechtfertigt“

Der Rektor der Horber Gemeinschaftsschule, Götz Peter, weist die Vorwürfe des Philologenverbands gegen diese Schulart entschieden zurück.

11.03.2020

Von Philipp Koebnik

Götz Peter. Bild: NC

Götz Peter. Bild: NC

Der Philologenverband hat die Gemeinschaftsschulen (GMS) scharf kritisiert. Diese seien „Sammelbecken schwacher Schüler“. Gymnasiallehrer seien dort fehl am Platz, weil es nur wenige Schüler mit gymnasialem Niveau gebe. Außerdem beklagt der Verband, dass Gymnasiallehrer an GMS gemobbt und wegen ihres höheren Gehalts beneidet würden. Überdies werde es ihnen schwer gemacht, sich für eine GMS zu entscheiden, weil sie dort im Vergleich zu Gymnasien eine höhere Unterrichtsverpflichtung haben.

Der Philologenverband gilt als Interessensvertretung der Gymnasiallehrer, dabei vertritt er bei weitem nicht alle von ihnen. Laut dem Landesvorsitzenden Ralf Scholl hat der Verband in Baden-Württemberg rund 6000 aktive Mitglieder. Hinzu kommen rund 3000 passive Mitglieder (etwa Pensionäre, Referendare und Lehrer in Elternzeit). Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vertritt die Interessen von Lehrern aller Schularten. Der GEW-Landesvorsitzenden Doro Moritz zufolge zählt die Gewerkschaft im Land knapp 6000 Gymnasiallehrer als Mitglieder – Tendenz steigend.

Als er von der Kritik des Philologenverbands hörte, war er zunächst „etwas irritiert und dann auch verärgert“, sagt Götz Peter, Rektor der Horber GMS, auf Anfrage der SÜDWEST PRESSE. Er nehme die Situation im Schulalltag ganz anders wahr. Er könne nicht bestätigen, dass sich Gymnasiallehrer ungerecht behandelt fühlten oder das Leistungsniveau der Schüler schlechter sei als anderswo. Die Kritik des Verbands sei „absolut ungerechtfertigt“.

Die GMS als „Sammelbecken schwacher Schüler“? Peter: „Diese Aussage darf nicht so stehen gelassen werden.“ Die GMS bieten Chancen für alle, für schwache ebenso wie für gute Schüler. Der Rektor liefert Belege: 2018, sechs Jahre nach dem Start der GMS in Baden-Württemberg, machten die ersten GMS-Schüler ihren Realschulabschluss. Immerhin 67 Prozent absolvierten die Mittlere Reife, dabei hatten deutlich weniger von ihrer Grundschule eine Realschul-Empfehlung erhalten. Die Noten entsprachen nahezu jenen der Schüler, die die Realschule besucht hatten. Das sei ein „beachtliches“ Ergebnis und spreche für die Qualität dieser Schulart. Gleichwohl lehnt Peter das gegliederte Schulsystem nicht ab. Wer herausragend gute Noten habe und sehr motiviert sei, solle ruhig direkt aufs Gymnasium gehen, findet er.

Unter den Jugendlichen, die 2019 als erste einen Realschulabschluss an der Horber GMS machten, war laut Peter ein Mädchen, das unter Schulangst litt, als es die Grundschule verlassen hatte. Diese Angst habe sich bei ihr gelöst – dank des geringeren Drucks, gibt es an der Schule doch erst im Abschlussjahr verbindlich Noten. Mehr noch: Sie schaffte sogar einen Abschluss mit einer Eins vor dem Komma, dabei hatte sie ursprünglich eine Empfehlung für die Hauptschule erhalten, so Peter.

Peter wünscht sich mehr Schüler mit gymnasialer Empfehlung an seiner Schule. Eine Drittelung wäre der „Idealfall“. Das Miteinander- und Voneinander-Lernen zeichnet die GMS aus. Schlechtere Schüler lernen von den guten – und die guten profitieren davon, schwachen Schülern etwas zu erklären. Indes verdamme man den Frontalunterricht nicht. Allerdings werde dieser nicht 45 Minuten lang durchgezogen, sondern sei auf Input-Phasen beschränkt. Mit sogenannten Lernwege-Listen stelle man eine möglichst individuelle Förderung der Schüler sicher, indem Aufgaben auf das jeweilige Niveau zugeschnitten sei. Jeder Schüler hat einen Lehrer als persönlichen Coach, mit dem er alle zwei bis drei Wochen seinen Lernfortschritt bespricht. Außerdem schreiben die Schüler Lern-Tagebücher, und es gibt regelmäßige Lernentwicklungsgespräche mit den Eltern, die „nicht selten eine Dreiviertelstunde“ dauern.

Der Rektor leugnet indes nicht, dass es für die Lehrer eine „große Herausforderung“ sei, mit den Leistungsunterschieden der Schüler umzugehen. Hinzu komme, dass es an vier Tagen pro Woche ein Ganztagesangebot gebe. Das bedeutet, dass Lehrkräfte mit vollem Stundenumfang drei komplette Tage im Einsatz sind. Das sei ein spürbarer Unterschied zur klassischen Halbtagsschule mit offenem Ganztagesangebot und erfordere „sicherlich Mehrarbeit gegenüber anderen Schularten“.

„Man muss an einer Gemeinschaftsschule arbeiten wollen und sich mit dem pädagogischen Konzept identifizieren“, betont Peter. Teamfähigkeit sei eine wichtige Voraussetzung – „der klassische Einzelkämpfer hat es schwer“. So verteilten viele Lehrer Aufgaben auf mehrere Schultern und wechselten sich ab, etwa beim Konzipieren und Korrigieren von Klausuren. Diese werden an GMS nämlich auf drei Niveaustufen geschrieben.

Seit dem Schuljahr 2013/14 gibt es laut Peter Gymnasiallehrer an der Horber GMS. Heute sind es acht von insgesamt 31 Lehrkräften. Darauf ist er „ein Stück weit stolz“ – an anderen GMS sei der Anteil der Gymnasiallehrer nämlich geringer. Er habe mit ihnen „durchweg positive“ Erfahrungen gemacht, so Peter. Drei der Gymnasiallehrer an seiner Schule übernehmen besondere Aufgaben, sind zum Beispiel Oberstudienräte. Eine von ihnen, die bereits seit 2013 an Bord ist, gleichsam die „Frau der ersten Stunde“, übernehme die Einführung von Kollegen, lässt diese also bei sich hospitieren. Ein anderer kümmert sich um eine „digitale Kommunikationsplattform“ für die Kollegen und die Schüler.

Über die unterschiedliche Besoldung – sie bewegt sich zwischen Gruppe A9 und A14 – lasse sich freilich „trefflich streiten“, sagt Peter. Er finde das „nicht unbedingt in Ordnung“. Jedoch würden Lehrgänge angeboten, wodurch ein Aufstieg, auch in höhere Besoldungsstufen, möglich sei. Generell herrsche an der Horber GMS ein offener Austausch. Unmut, Neid oder Missgunst unter Kollegen seien ihm bislang nicht zugetragen worden. Und auch zwei neue Gymnasiallehrer, die Anfang dieses Schuljahrs an seine Schule gekommen sind, fühlten sich „sehr wohl“.

Was die Gemeinschaftsschulen im Land kennzeichnet

In Gemeinschaftsschulen (GMS) in Baden-Württemberg wird der Unterricht auf drei Niveaustufen angeboten. Dabei führt das grundlegende Niveau zum Hauptschulabschluss, das mittlere Niveau zum Realschulabschluss und das erweiterte Niveau zum Abitur. An der GMS können der Haupt- und der Realschulabschluss abgelegt werden mit den gleichen Prüfungen wie an den anderen allgemeinbildenden Schulen. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, ist darüber hinaus der Wechsel in die Oberstufe eines allgemeinbildenden Gymnasiums oder an ein berufliches Gymnasium möglich. Unter bestimmten Bedingungen, etwa einer ausreichenden Schülerzahl, kann die GMS eine eigene Oberstufe und damit auch das Abitur anbieten. Statt eines Zeugnisses mit Noten erhalten die Schüler in der GMS einen detaillierten Lernentwicklungsbericht. Auf Wunsch der Eltern kann der Bericht durch Noten ergänzt werden.

In der GMS kann niemand sitzen bleiben. Die Ganztagsschule entlastet die Familien; die Lern- und Übungsphasen finden weitgehend in der Schule statt.