A kiss is just a kiss? Emmanuel Mouret widerlegt locker-leicht selbst die alte Casablanca-Weisheit.

Küss mich bitte!

A kiss is just a kiss? Emmanuel Mouret widerlegt locker-leicht selbst die alte Casablanca-Weisheit.

23.11.2015

Von che

Beim Küssen, haben Forscher herausgefunden, werden an die tausend Botenstoffe ausgeschüttet. Adrenalin, Dopamin und Serotonin sorgen für Euphorie. Der Blutdruck schnellt auf 180, der Puls verdoppelt sich. Küssen, so das wissenschaftliche Fazit, ist eine natürliche Droge mit hohem Suchtpotenzial ? und dabei doch kerngesund.

Umso erstaunlicher, dass dieses körperliche Feuerwerk im Kino zur inflationär gebrauchten Bagatelle ohne tiefere Bedeutung abgesunken ist. Der neue Film von Emmanuel Mouret, den der Tübinger Arsenal-Verleih an die deutschen Leinwände bringt, lässt dem Kuss nun endlich wieder den Respekt angedeihen, der ihm gebührt.

Konsequenterweise steht am Anfang eine Verweigerung. Emilie und Gabriel ? beide glücklich unter der Haube ? sind sich zufällig über den Weg gelaufen und haben plaudernd einen wunderschönen Abend miteinander verbracht. Zum Abschied will Gabriel die Freundschaft mit Lippenkontakt besiegeln, doch Emilie ziert sich. Denn ein Kuss, so ihre feste Überzeugung, ist niemals harmlos und kann unbeabsichtigt in Teufels Küche führen. Zum Beweis erzählt sie die Geschichte von der verheirateten Judith (Virginie Ledoyen) und ihrem Kumpel Nicolas (Regisseur Mouret). Die beiden sind sich seit Jahren in enger Seelenverwandtschaft verbunden, ehe diese durch einen eher verkrampften Kuss zur heftigen Liebe gedeiht. Doch das Glück der einen stürzt andere ins Tal der Tränen.

Diese lange Rückblende wirkt anfangs künstlich, beinahe wie eine Versuchsanordnung im Labor. Aber vielleicht ist es gerade diese kalkulierte (und durchaus amüsante) Steifheit der Inszenierung, die die Sache so authentisch macht ? schließlich eignet dem wirklichen Leben selten der Glanz einer Lovestory aus Hollywood. Jedenfalls wird man mit jeder Minute mehr in den Sog dieser so simplen wie komplizierten Amour gerissen, die wohl jeden Zuschauer mit Anknüpfungspunkten aus dem eigenen (Liebes-)Leben versorgt.

Mit seinem vierten Spielfilm hat der erst 38-jährige Mouret ? er war 2006 Gast der Französischen Filmtage ? endgültig zu seinem Vorbild Eric Rohmer aufgeschlossen. Vielleicht ist er sogar noch besser. Denn während der Altmeister seinem Personal oft unpassend Philosophisches in den Mund legt, lässt Mouret die Seinen mit einfacher und doch eleganter Konversation die elementaren Dinge des Alltags ausloten ? wie zum Beispiel einen arglosen Kuss mit seinen mal paradiesischen, mal höllischen Nebenwirkungen.

Küss mich bitte!