Er darf Beamter bleiben

Landgericht: Zehnmonatige Bewährungsstrafe gegen Reutlinger Ex-Steueramts-Chef

Das Tübinger Landgericht hat den langjährigen Leiter des Reutlinger Steueramts gestern wegen Untreue in drei Fällen zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

09.04.2016

Von Matthias Reichert

Reutlingen. Damit blieb die Kleine Strafkammer deutlich unter dem Urteil des Reutlinger Amtsgerichts, das im November 2014 eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen besonders schwerer Untreue verhängt hat. Staatsanwalt Florian Fauser forderte nach umfangreicher Beweisaufnahme in der Berufung am Landgericht noch eine vierzehnmonatige Bewährungsstrafe, während Verteidiger Thorsten Zebisch auf Freispruch plädierte (wir haben berichtet).

Bei einer Strafe von zwölf Monaten oder mehr hätte der Angeklagte seinen Beamtenstatus verloren – inklusive aller Pensionsansprüche. Die Kammer habe das lange diskutiert, sagte der Vorsitzende Richter Armin Ernst in der Urteilsbegründung. „Wir sehen auch die menschliche Komponente. Wir haben die menschliche Tragik gesehen, deshalb wollten wir Ihnen den beamtenrechtlichen Todesstoß nicht versetzen.“

Freilich hatte der Angeklagte kein Geständnis abgelegt, und auch das Motiv für sein Handeln blieb unklar. Der 59-Jährige wurde nur in drei Fällen verurteilt, in drei weiteren Fällen sprach ihn die Strafkammer frei. In letzteren Fällen sollte er, so der Vorwurf, bei zwei Spielhallenbetreibern in Metzingen und Reutlingen keine Gewerbesteuer erhoben haben. Der Mann habe in zwei dieser Fälle einfach nichts gemacht: „Wir können nicht ausschließen, dass sie bei Ihnen untergegangen sind“, so der Richter. „Wir sehen keine Motivation für Sie, zu tricksen.“ Hier habe der 59-Jährige möglicherweise nur grob fahrlässig gehandelt, das reiche nicht für eine Verurteilung aus –  auch wenn in seiner Aussage „einiges stinke“, wie es der Richter formulierte.

Anders sah es bei der Betreiberin einer Spielothek in der Reutlinger Wilhelmstraße aus. Hier habe der Beamte aktiv ins Computersystem eingegriffen. Er habe im Jahr 2010, so der Richter, Gewerbesteuer-Bescheide für 2008 und 2009 auf Null gesetzt, worauf auch keine Vorauszahlungen fällig wurden. Und nachdem eine Amtsmitarbeiterin dann für das Jahr 2010 rund 28 000 Euro Gewerbesteuer gegen die Spielothek-Betreiberin festsetzte, habe er zwei Monate später den korrekt abgefassten Bescheid kassiert und auf Null festgesetzt.

Dadurch habe die Stadt bis heute keine Gewerbesteuer von der Frau kassiert. Zudem ballten sich bei dieser die Forderungen, als 2014 auch noch Vergnügungssteuer fällig wurde. Der Angeklagte beteuerte hingegen, er habe die Forderungen nur nach hinten schieben wollen, wie bei einer Stundung. „Daran glauben wir nicht“, so Ernst.

Der Mann habe massiv pflichtwidrig gehandelt und massiv manipuliert: „Es war Ihr Plan, die Forderungen in die Verjährung gehen zu lassen“, so Ernst. Der Angeklagte habe für die Frau auch Widerspruchsschreiben gegen seine eigenen Steuerforderungen aufgesetzt. Und früher soll er für sie durchgedrückt haben, dass sie keine Vergnügungssteuer abführen musste.

Der Mann habe völlig unauffällig gelebt, in finanziell geordneten Verhältnissen, so Ernst. Fest stehe nur, dass er Quittungen über Vergnügungssteuer nicht weitergeleitet habe. Über die Motive könne man nur spekulieren – der Richter stellte eine mögliche Liebesbeziehung zur Spielothek-Betreiberin oder eine Spielsucht des Angeklagten in den Raum. In den drei abgeurteilten Fällen lag die Gewerbesteuer, die der Stadt entging, bei mehr als 63 000 Euro. Weil nicht auszuschließen sei, dass das Geld vor der Verjährung teils nachträglich noch hätte eingefordert werden können, veranschlagten Staatsanwalt und Kammer für den tatsächlichen Schaden eine niedrigere Summe. Der Mann habe die Stadt aber dem „Risiko eines erheblichen Totalverlustes“ ausgesetzt, argumentierte der Richter.

Den 59-Jährigen angezeigt hatte Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn im November 2013 nach Hinweisen von Mitarbeitern. Seither ist der Mann suspendiert. Er hatte seit 1972 für die Stadtverwaltung gearbeitet, 1984 wechselte er zum Steueramt, das er seit 2002 geleitet hatte. Zu seinen Gunsten sprach, dass er sich in all den Jahren sonst nichts zuschulden kommen ließ.

Auf den Verurteilten kommen noch Regress-Forderungen für entgangene Steuern zu. Das Gericht sprach die Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Als Auflage muss der Mann 5000 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen. Ob die Staatsanwaltschaft in Revision geht, ist noch nicht heraus.

Info Vorsitzender Richter: Armin Ernst; Schöffen: Ludger Horst Wilhelm Hüning und Klaus Lang. Staatsanwalt: Florian Fauser. Verteidiger: Alexander Kubik, Thorsten Zebisch.

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Erstellt:
09.04.2016, 02:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 09.04.2016, 02:00 Uhr

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