Raus aus der Kreissporthalle

Landratsamt mietet vorläufig neue Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge an

Der Kreis Tübingen wird wegen rückläufiger Zahlen seine behelfsmäßige Flüchtlings-Unterkunft in der Kreissporthalle bis Ende April sukzessive räumen. Auf einer Pressekonferenz mit dem Regierungspräsidium Tübingen gaben Präsident Jörg Schmidt und Landrat Joachim Walter gestern bekannt: Die „bedarfsorientierte“ Erstaufnahmestelle“ (BEA), die derzeit zwischen RP und Landratsamt gebaut wird, überlässt das RP vorerst der Kreisbehörde, um Flüchtlinge unterzubringen.

16.04.2016

Von Christiane Hoyer

In direkter Nachbarschaft zur Flüchtlingsunterkunft des Landkreises (rechts) entsteht derzeit die Erstaufnahmestelle des Landes, die das Landratsamt ab Juni mietet.Bild: Metz

In direkter Nachbarschaft zur Flüchtlingsunterkunft des Landkreises (rechts) entsteht derzeit die Erstaufnahmestelle des Landes, die das Landratsamt ab Juni mietet.Bild: Metz

Kreis Tübingen. Aus dem Innenministerium bekam der Landrat jetzt grünes Licht für die „nachbarschaftliche Lösung“, für die Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer im März in einem Schreiben an Staatssekretär Klaus-Peter Murawski geworben hatte. Erstmals seit sieben Jahren, sagte Landrat Joachim Walter gestern Nachmittag beim Pressegespräch, sei die Zahl der neuaufgenommenen Flüchtlinge geringer als die Zahl derer, die eine der insgesamt 90 Unterkünfte im Landkreis verlassen. Die Kreisbehörde muss den Flüchtlingen für die Dauer ihres Asylverfahrens Wohnraum zur Verfügung stellen, das Land teilt die Flüchtlinge nach einem fixen Schlüssel den Landkreisen zu. Diese Kriterien, so der RP-Präsident Schmidt, ließen sich seit dem vergangenen Sommer nicht mehr aufrecht erhalten.

Überall, wo Kasernen oder andere größere Gebäudekomplexe leer standen, wurden neue Erstaufnahmestellen eingerichtet, so auch in Ergenzingen. Das Regierungspräsidium Tübingen habe nach Karlsruhe die zweithöchste Zahl an Erstaufnahmeplätzen für Flüchtlinge. Doch von den 6200 Plätzen sind derzeit laut Schmidt nur noch 900 belegt. Auch im Kreis Tübingen nahm die Zahl der Flüchtlinge, die in jeden Monat kamen, ab: von 400 im Dezember über 136 im April.

Da Walter weder vom Bund noch vom Land „seriöse Prognosen“ für 2016 erhielt, kam er „als kleiner Dorflandrat“ zu dem Schluss: „Es ist verantwortungslos, weitere Steuergelder für neue Unterkünfte oder Planungen auszugeben“. Diese würden vorläufig gestoppt oder zurückgestellt. Denn mit der neuen BEA in Tübingen kann der Landkreis ab 1. Juni eine leere Unterkunft für Flüchtlinge nutzen. Im ersten Gebäudetrakt können 125 Menschen wohnen – mit großzügigen Sozialräumen. Der zweite Bauabschnitt soll im August fertig gestellt sein und kann noch mal so viele Flüchtlinge unterbringen – Grundlage sind sieben Quadratmeter Wohnraum pro Flüchtling, viereinhalb Quadratmeter steht einem Flüchtling laut Gesetz in einer Erstaufnahmestelle zu.

Das Land investiert für den Neubau auf den Mühlbachäckern rund 12 Millionen Euro. Nun handeln RP und Landratsamt die Mietkonditionen aus. Sollte die Zahl der Flüchtlinge wieder steigen, so Schmidt, muss die Kreisbehörde, die BEA innerhalb von sechs bis acht Wochen wieder räumen. Schmidt teilte mit, dass die für 500 Plätze ausgelegte Erstaufnahmestelle in Ergenzingen „vorerst bestehen bleibt“ – dort wohnen zur Zeit noch 62 Flüchtlinge. Er könne sich aber langfristig einen „Stand-by-Modus“ für Ergenzingen vorstellen.

Bestehen bleibt, so Walter, die Tübinger Shedhalle. Andere Unterkünfte könne der Kreis jetzt den Städten und Gemeinden anbieten, die damit ihrerseits entlastet würden. Auch bei den Ausschreibungen neuer Stellen wollen RP und Landratsamt eine Pause einlegen – der Kreis hatte dafür 104 Stellen im Haushalt eingeplant, 39 sind besetzt, neun ausgeschrieben.

Walter lobte die „Hand-in-Hand-Arbeit“ mit allen Städten, Gemeinden und Ehrenamtlichen. Nach den Pfingstferien kann nach seinen Schätzungen in der Kreissporthalle wieder Sport gemacht werden. Auf Bundes-und Landesebene sei es in dieser Atempause „jetzt an der Zeit, sich schleunigst über ein Einwanderungsgesetz zu verständigen“.

Tübingens OB Boris Palmer macht für die rückläufigen Flüchtlingszahlen auch die derzeitigen „Kontrollen der Außengrenzen“ in Europa verantwortlich. Dass jetzt das Landratsamt die BEA mit Flüchtlingen belegt, wertet er auch als persönlichen Erfolg. Dies, so Palmer, habe er dem Staatssekretär vor einem Monat vorgeschlagen, damit der Stadt ein halbes Jahr Zeit für ihre Wohnbauprojekte bleibe.

Flüchtlinge: Zahlen und Begriffe

Behörden-Begriffe: Erstaufnahmestelle: Zuständig ist das Land, Flüchtlinge bleiben nur wenige Wochen und werden dann nach einem festen Schlüssel auf die Landkreise verteilt. Vorläufige Unterbringung: Zuständig sind die Landkreise. Sie müssen den Flüchtlingen für die Dauer ihres Asylverfahrens Wohnraum zur Verfügung stellen (18 Monate). Anschluss-Unterbringung: Zuständig sind die Städte und Gemeinden.

Zahlen Regierungspräsidium Tübingen: 6200 Plätze für die Erstaufnahme, davon sind derzeit 900 belegt.

Zahlen Kreis Tübingen: Insgesamt 2584 Flüchtlinge in der vorläufigen Unterkunft an 90 Standorten. April 2016: 136 neue Flüchtlinge; März 2016: 286 Flüchtlinge; Dezember 2015: 400 (Höchststand).

Zum Artikel

Erstellt:
16.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 16.04.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!