Horb/Stuttgart · Flashmob

Landwirte bieten der Politik die Stirn

Um ein Zeichen gegen die allgegenwärtige Überreglementierung zu setzen, versammelten sich am Mittwoch in der Abenddämmerung deutschlandweit Landwirte mit ihren Fahrzeugen.

18.12.2019

Von Manuel Fuchs

Um rund um Horb eine möglichst große Wirkung in der Öffentlichkeit zu erzielen, sammelten sich Landwirte aus der Umgebung gestern auf Brücken über die A81 und machten mit Scheinwerfern und Blinklichtern auf ihre Anliegen aufmerksam. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Um rund um Horb eine möglichst große Wirkung in der Öffentlichkeit zu erzielen, sammelten sich Landwirte aus der Umgebung gestern auf Brücken über die A81 und machten mit Scheinwerfern und Blinklichtern auf ihre Anliegen aufmerksam. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Laut dröhnt die Autobahn von unten, Lastwagenfahrer schicken solidarische Grüße mit der Hupe dazu. Bei Ahldorf haben Landwirte auf einer Brücke über die A81 sieben Traktoren in Position gebracht und alle verfügbaren Lampen und Scheinwerfer angeschaltet. Zu dem auf ganz Deutschland verteilten Schlepper-Flashmob hatte unter anderem die Bewegung „Land schafft Verbindung“ aufgerufen. Ein Flashmob ist ein Zusammentreffen im öffentlichen Raum – ausdrücklich keine Demonstration – das zufälligen Charakter ausstrahlen soll. Die Initiatoren baten darum bei der Aktion, niemanden zu behindern oder gar zu blockieren. Es gehe vielmehr um sichtbare Solidarität mit Demonstrationen in den Niederlanden und darum, „ein Zeichen zu setzen, dass die deutsche Agrar- und Wirtschaftspolitik nicht von einem gesellschaftlichen Grundkonsens getragen wird.“

Einerseits peile die Politik 30 Prozent Ökolandbau an, andererseits werde man damit an der Nachfrage vorbei produzieren, erläutert Lars Beyer, ein Nebenerwerbslandwirt aus Ahldorf und wird konkret: „Da macht man ein Geschiss wegen dem Klima, und dann kauft man Rindfleisch aus Argentinien, das uns die Preise kaputt macht.“

Ahldorfs Ortsvorsteher Hartmut Göttler ist ebenfalls mit schwerem Gerät auf der Brücke dabei. Er sieht sich selbst als Vertreter des Klimaschutzes, praktiziere ihn als Landwirt beispielsweise mit einer fünfgliedriger Fruchtfolge. Aber immer neue Reglementierungen und Verordnungen, praxisferne Gesetzgebung auf allen Ebenen und die damit verbundenen Auflagen machen ihm und anderen Landwirten immens zu schaffen. Um diese Probleme ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, nehme er am Schlepper-Flashmob teil.

Ein konkreterer Anlass hatte Landwirte aus ganz Baden-Württemberg zuvor nach Stuttgart getrieben: Das Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ stand vor dem Abschluss. Vor den finalen Beratungen ihrer Verbände hatten Landwirte zu einer „lauten, aber friedlichen“ Kundgebung in Stuttgart eingeladen. Sie signalisierten in einer gemeinsamen Erklärung Gesprächsbereitschaft „auf den Grundlagen landwirtschaftlicher Realität und guter Praxis sowie wissenschaftlicher Fachexpertisen“, um konstruktiv und nachhaltig an der Verbesserung des Artenschutzes mitzuarbeiten. Der Gesetzentwurf allerdings werde dem Ziel eines nachhaltig verbesserten Artenschutzes jedoch nicht gerecht. Als rote Linie formulieren die Landwirte, das Eckpunktepapier insgesamt abzulehnen, sobald auch nur ein landwirtschaftlicher Betrieb im Naturschutzgebiet in seiner Existenz bedroht sei.

Taktische Interessen

Nach Ansicht der Landwirte sei der Dialog um das Artenschutzbegehren von Anfang an nicht ergebnisoffen geführt worden. Der Runde Tisch habe eher einer Anhörung geglichen, und das wichtige Thema Artenschutz sei „anderen taktischen Interessen untergeordnet worden“. Außerdem basierte der Dialog nach Ansicht der Landwirte nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis. Wichtige aktuelle Forschungsergebnisse zur Biodiversität seien dem Diskurs entzogen worden – und zwar mit Vorsatz. Hierbei berufen sich die Interessensvertreter auf einen Satz des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, den er vergangene Woche im Landtag geäußert hatte – allerdings an die AfD-Fraktion gerichtet: „Eine Gruppierung, die sich weigert, [...] wissenschaftlich dargelegten Thesen andere überprüfbare entgegenzusetzen, die legt eine Axt an die freie Gesellschaft.“ Den Eckpunkten zum Schutz der Insekten in Baden-Württemberg als Weiterentwicklung des Gesetzentwurfes „Rettet die Bienen“ möchten die Vereinigungen nicht zustimmen.
Die Traktoren über der A81 waren weithin zu sehen.

Die Traktoren über der A81 waren weithin zu sehen.

Landwirte demonstrierten gestern in Stuttgart.Bild: Slawomir Niewrzol

Landwirte demonstrierten gestern in Stuttgart.Bild: Slawomir Niewrzol

„Land schafft Verbindung“

In dieser informellen Bewegung organisieren sich Landwirte – nach eigenem Bekunden vor allem jüngere – aus allen Bereichen selbst, um politische Lobbyarbeit zu leisten. Die Basisbewegung ist noch jung, erst Anfang November dieses Jahres wurde ein kommissarischer Beirat gegründet, für den jedes in der Bewegung vertretene Bundesland ein Mitglied stellt. Die zugehörige Facebook-Gruppe zählt knapp 28000 Mitglieder, eine offene Seite hat zusätzlich über 10000 Fans gesammelt. Via WhatsApp will die Bewegung sogar etwa 100000 Interessierte zusammengeführt haben.