Immenhausen

Landwirtschaft: Abhängig von Himmel und Erde

Das Wetter ist einer der Hauptproduktionsfaktoren in der Landwirtschaft. Unberechenbar, schon immer, aber durch den Klimawandel häufen sich Extremwetterereignisse wie Hagel, Hitzewellen oder Starkregen. Veränderungen, mit denen sich der Immenhäuser Landwirt Jörg Kautt und seine Kollegen aus der Region arrangieren müssen.

28.10.2021

Von Birgit Pflock-Rutten

Jörg Kautt. Bild: Ulrich Metz

Jörg Kautt. Bild: Ulrich Metz

Vom Säen bis zur Ernte sind die Bauern abhängig von der Natur: „Wenn das Wetter nicht mitspielt, dann tut‘s halt ned“, bringt es Landwirt Jörg Kautt, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Tübingen, auf den Punkt. Wenn das Saatgut schlechte Startbedingungen hatte beispielsweise. Oder wenn man nicht rechtzeitig vor dem Regen dreschen konnte – dann gibt es mangels Qualität eben kein Brot-, sondern Futtergetreide.

Schlechtes Wetter gab es schon immer. Aber inzwischen stellt der Klimawandel mit seinen zunehmenden Extremwetterereignissen die landwirtschaftliche Pflanzenproduktion vor neue Herausforderungen. War es in den vergangenen Jahren viel zu trocken, machte in diesem Jahr die Nässe den Landwirten zu schaffen. Im Juni fegte ein heftiges Unwetter mit Starkregen und dicken Hagelkörnern über Rottenburg, Tübingen und Reutlingen. Dementsprechend sah es auch auf den Feldern aus. Jörg Kautt hatte bis zu 90 Prozent Hagelschaden an Roggen und Weizen zu verzeichnen – seine Kollegen in Kusterdingen hatten teilweise sogar einen vollständigen Ernteverlust.

Glücklicherweise greift in diesen Fällen die Hagelversicherung – wenn man denn eine hat. „Man kann sich gegen viel versichern, auch gegen Starkregen, aber wenn man nur noch für Versicherungen lebt, wird’s schwierig“, sagt Kautt. In den 50er-Jahren wurden die Felder seiner Vaters komplett verhagelt, alles war kaputt. Ein existenzielles Problem, seine Eltern waren damals nicht versichert. „Aber gleich danach!“sagt Kautt und fügt hinzu: „Heute geht es uns so gut wie noch nie. Früher musste man ums nackte Überleben kämpfen.“

Nach dem Hagelunwetter rettete auch der nachfolgende Sommer den Ertrag nur bedingt: Die Kartoffelernte ist in diesem Jahr, so Kautt, eher suboptimal ausgefallen – aufgrund der Nachtfröste, der langen nassen Phasen und dem Hagel. „Es gab viele kleine Knollen“, beschreibt er das Ernteergebnis.

Beim Getreide ist nicht alles dem Hagel zum Opfer gefallen. Die Ernte fiel dennoch unterschiedlich aus. „Ich hab von vielen gehört, dass sie sich mehr versprochen haben, als nachher rausgekommen ist“, berichtet Kautt. Und die Maisernte sei lageabhängig: Wo es nicht gehagelt habe, sei sie stellenweise so gut wie nie.

Strategien gegen den Klimawandel

Als Kreisbauernvorsitzender ist Jörg Kautt eng in Kontakt mit seinen Kollegen. „Natürlich gibt es Überlegungen, wie man sich für die Zukunft wappnet und wie wir im Pflanzenbau auf zunehmende Hitzeperioden eingehen können.“ Um auf Sommertrockenheit zu reagieren, seien beim Getreide eher Sorten von Vorteil, die früher reif werden. „So verschenkt man vielleicht ein wenig Masse, weil sie nicht so lange reifen, dafür verhindert man aber einen Totalausfall“, so Kautt. „Trotzdem bleibt es wie eine Lotterie: Entwickelt man eine Strategie gegen Hitzewellen – dann kommt ein Jahr mit langen Starkregenphasen.“ Jörg Kautt setzt daher auch auf den Anbau mehrerer Kulturen. „Wenn ich unterschiedliche Kulturen habe, ist ein Totalausfall geringer als wenn ich nur eine habe.“

Anpassung ist in der Landwirtschaft ein langwieriger Prozess. Man hat immer nur eine Saison, neue Sorten auszuprobieren. „Ein Jahr bei uns in der Branche ist nicht viel.“ DIE richtige Strategie gibt es seiner Meinung nach sowieso nicht. Für jeden einzelnen Landwirt gelten andere Voraussetzungen: Hochfläche, Tallage – und allem voran die Bodenbeschaffenheit.

Die Böden versorgen die Pflanzen mit Nährstoffen und Wasser. Mit der Art der Bodenbearbeitung können Landwirte dazu beitragen, die Wachstumsbedingungen für die Kulturpflanzen zu verbessern. Das herkömmliche Pflügen beispielsweise greift tief in die Bodenstruktur ein und führt zu Humusabbau. Eine flache Bodenbearbeitung mit einem Leichtgrubber oder die Direktsaat dagegen machen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln notwendig, um unerwünschte Beikräuter im Zaum zu halten. „Es ist ein Spagat, den wir vollziehen müssen“, so Kautt. Er macht für sich die Rechnung auf: „Pflanzenschutzmittel kosten Geld, wenn ich das nicht ausgeben muss, umso besser. Ich persönlich setze darauf, immer mehr gesunde und resistente Getreidesorten zu wählen. Lieber verzichte ich auf etwas Ertrag und muss nicht dauernd aufpassen, wann der Pilz kommt.“ Weitere Strategien sind die Einhaltung von Fruchtfolgen und die Einsaat von Zwischenfrüchten gegen das Austrocknen des Bodens.

Klimawandel, Ökologie, Reduktion an Pflanzenschutzmitteln – die Landwirtschaft ist im Umbruch. „Und da müssen wir hier in der Region das Rad nicht neu erfinden.“ Er und seine Kollegen sind regelmäßig im Austausch mit Kollegen, beispielsweise aus Trockengebieten in Österreich, oder sie informieren sich über das Internet, welche Wege Landwirte in anderen Ländern oder Regionen mit ähnlichen Voraussetzungen gehen.

„Alle Bauern wissen: Unsere Basis ist eine funktionierende Natur, wenn diese aus dem Gleichgewicht kommt, leidet der Ertrag.“ Daher müsste es, trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen Zwänge, in ihrem eigenen Interesse sein, für gesunde Pflanzen einen lebendigen Boden zu erhalten. Oder wie Jörg Kautt es ausdrückt: „Die Bodenmikroorganismen spielen in Symbiose mit den Nutzpflanzen eine entscheidende Rolle. Wir müssen darauf achten, dass es dene Kerle gut geht!“

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Erstellt:
28.10.2021, 15:32 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 28sec
zuletzt aktualisiert: 28.10.2021, 15:32 Uhr

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