Engagement

Lehrstunde für Bürgerversteher

Frank Brettschneider bläute zahlreichen Kommunalpolitikern und etlichen Bürgern beim Bürgerempfang in Sulz ein, wie Bürgerbeteiligung klappt.

17.05.2018

Von Cristina Priotto

„Was machen wir, wenn uns blanker Hass entgegenschlägt?“, fragte SPD-Stadtrat Klaus Schätzle (mit Mikrofon) beim Bürgerempfang in derlebhaften Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Frank Brettschneider. Dieses Thema trieb auch andere Mandatsträger um. Bilder: Priotto

„Was machen wir, wenn uns blanker Hass entgegenschlägt?“, fragte SPD-Stadtrat Klaus Schätzle (mit Mikrofon) beim Bürgerempfang in der lebhaften Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Frank Brettschneider. Dieses Thema trieb auch andere Mandatsträger um. Bilder: Priotto

Wir hätten das eigentlich alles mitschreiben sollen“, stellte Klaus Schätzle am Dienstagabend nach dem Vortrag von Frank Brettschneider fest. Außer dem SPD-Stadtrat war nahezu das halbe Sulzer Gremium zum Bürgerempfang ins Foyer der Stadthalle gekommen.

Über die große Resonanz von insgesamt zirka 50 Besuchern zeigte sich auch Bürgermeister Gerd Hieber sehr erfreut und betonte: „Bürgerbeteiligung ist ein lebendiger Prozess, der nie stehenbleiben sollte und sich weiterentwickeln muss“.

Brettschneider, der an der Universität Hohenheim seit 2006 den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft innehat, zeigte den gebannt lauschenden Zuhörern in einem rund einstündigen Referat anhand zahlreicher Beispiele auf lebhafte, kurzweilige und bisweilen unterhaltsame Weise, wie Bürger erfolgreich in Großprojekte einbezogen werden sollten.

Proteste gegen Infrastrukturvorhaben haben in den vergangenen 30 Jahren zugenommen, stellte der 53-Jährige fest. Die „Spiegel“-Diagnose einer „Dagegen-Republik“ wollte Frank Brettschneider dennoch nicht gelten lassen. „Die Interessen werden heute aber artikuliert“, nannte der Professor eine wichtige Veränderung.

Vom „Sankt-Florians-Prinzip“ zeugten die Ergebnisse einer Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie, die der Referent präsentierte: Demnach sah die Mehrheit der Bürger zwar Bedarf für den Ausbau von Energie- und Entsorgungsprojekten, in der Nähe des eigenen Wohnumfelds lehnte das Gros solche Maßnahmen jedoch ab. Dabei genüge es oftmals schon, anstelle von abschreckenden Begriffen wie „großes Bauprojekt“ oder „Erweiterung“ harmlosere Bezeichnungen zu verwenden, verriet der Experte.

Als weitere Gründe für Proteste nannte Frank Brettschneider projektbezogene Protestgründe, die sich wegen Risiken, Kosten oder unklarem Nutzen äußerten. Insbesondere der Nutzen müsse daher herausgearbeitet und kommuniziert werden. Wahrgenommene Ungerechtigkeit, etwa bei der Bündelung von neuer Infrastruktur an einem Ort, das Gefühl gerade in kleinen Teilorten, als minderwertig wahrgenommen zu werden, ein Vertrauensverlust sowie mangelnde Transparenz und zu wenig Diskussion über Alternativen – all dies bringt Bürger regelmäßig auf die Palme.

„Gründe wie Individual- gegen Gemeinwohlinteressen sollte man nicht verteufeln“, riet der Hochschul-Professor. Auch Erstere seien berechtigt. Aufgabe von Gemeinderäten sei es, viele Individualinteressen unter einen Hut zu bringen. Zudem gelte es zu beachten, dass Risiken im öffentlichen Bereich weniger akzeptiert würden als im privaten Bereich. „Wenn Menschen mitwirken können, reduziert sich der Widerstand“, sprach sich der Fachmann klar für Bürgerbeteiligung aus.

Wie Beteiligung und Kommunikation konkret aussehen können, machte Brettschneider deutlich. Nur zu informieren, reiche nicht aus. „Es geht immer darum, mit den Bürgern zu reden und ihnen Feedback zu geben“, appellierte der 53-Jährige. Daraus ergäben sich bessere Ergebnisse und ein Gemeinschaftsgefühl. Es gebe allerdings auch Projekte, „die man nicht schönreden kann“.

In der Diskussion schilderte Robert Trautwein Frust, wenn Abgeordnete sich nur punktuell einbrächten, aber den Gemeinderat den Rest „ausbaden“ ließen, einschließlich Bürgerprotesten. Politik, Verwaltung und Bürger dürften sich nicht als Gegner sehen, appellierte Frank Brettschneider.

Der städtische Beauftragte für Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement, Hans-Ulrich Händel, fragte mehrere Teilnehmer nach deren Idealvorstellung einer guten Bürgerbeteiligung. „Dass es unvoreingenommen, nicht nachtragend und offen ist“, meinte CDU-Stadtrat Trautwein. Bürgermeister Hieber erhofft sich davon „einen Mehrwert für unsere Stadt“, Gabriele Brucker (GAL), „dass mehr Leute sich stärker mit der Kommune identifizieren und für Projekte engagieren“.

Bei Häppchen des Teams von „Unser Laden“ aus Sigmarswangen tauschten sich die Besucher im Anschluss an den Vortrag und die Diskussion noch lange aus.

Sprach anschaulich und gut verständlich: Frank Brettschneider.

Sprach anschaulich und gut verständlich: Frank Brettschneider.

Acht Grundregeln für gute Bürgerbeteiligung:

Bürger frühzeitig einbeziehen

aufgeschlossene und wertschätzende Grundhaltung

Einbeziehung unterschiedlicher Interessen (Männer/Frauen, Alte/Junge)

klare Rahmenbedingungen

professionelle Prozessgestaltung für Fairness und Transparenz

Fakten umfassend klären

verständlich kommunizieren

vielfältige Beteiligungs- und Kommunikationsinstrumente nutzen

Zum Artikel

Erstellt:
17.05.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 17.05.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Aus diesem Ressort
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!