Ärgernis

Letzter Ausweg Altpapier

Ärgernis In Horb erreichten im Juli 340 Postsendungen ihre Zieladresse nicht. Die Zustellerin hatte sie zum Großteil entsorgt - wohl wegen zu großer Arbeitsbelastung.

11.08.2018

Von Mathias Huckert

Symbolbild: ©Otto Durst - stock.adobe.com

Symbolbild: ©Otto Durst - stock.adobe.com

Ein Nachmittag Mitte Juli: Eine Leserin der SÜDWEST PRESSE begibt sich zum örtlichen Altpapiercontainer, möchte dort Pappe und Kartons loswerden. Doch am vollen Container macht sie eine Entdeckung: Mehr als 50 Briefe findet sie vor, allesamt ungeöffnet und noch nicht zugestellt. Darunter befinden sich auch amtliche Schreiben – alles im Container entsorgt. Die Nachfrage bei der nächstgelegenen Poststelle ist nicht befriedigend: „Werfen Sie die einfach in den nächsten Briefkasten, dann kommen sie ja noch an“, empfiehlt der Mitarbeiter der Deutschen Post ihr. Doch genau das tut die Horberin nicht.

Sie alarmiert die Polizei, die Briefe werden beschlagnahmt. Eine genaue Durchsuchung der Container im Horber Teilort ergibt später: Dort wurden mehr als einhundert Briefe auf diese Weise entsorgt. „Solche Fälle sind eher selten“, erklärt Markus Mast, Revierleiter in Horb. Für die Beamten liegt der Verdacht nahe, dass die zuständige Zustellerin verantwortlich ist für die weggeworfenen Briefe. Als die Polizei die Wohnung einer 22-Jährigen durchsucht, die für den Zustellbezirk zuständig ist, in dem die Briefe gefunden wurden, entdecken sie noch mehr. Insgesamt 117 weitere, nicht ausgelieferte Sendungen hat die Postzustellerin in einem Rucksack versteckt. Harri Frank vom Polizeipräsidium in Tuttlingen erklärt später: „Die junge Frau hat angegeben, dass sie sich überfordert fühlte wegen der hohen Zahl an Zustellungen.“ Gemeinsame Ermittlungen mit der Staatsanwaltschaft in Rottweil ergeben, dass insgesamt 340 Sendungen im Juli nicht zugestellt wurden.

Dass Zusteller der Deutschen Post oder anderer Lieferdienste oft unter enormem Druck arbeiten müssen, ist hinlänglich bekannt. Dennoch betont Hugo Gimber, Pressesprecher der Deutschen Post in Stuttgart: „Fälle wie der jetzt in Horb bekannt gewordene sind extrem selten.“ Er erklärt weiter: „Wir haben bundesweit in der Brief- und Paketzustellung mehr als viermal so viele Mitarbeiter eingesetzt, als Horb Einwohner hat. Sie liefern an jedem Werktag rund 59 Millionen Briefe und mehr als 4,6 Millionen Pakete aus. Natürlich können wir bei dieser Anzahl von Sendungen und Mitarbeitern Unregelmäßigkeiten nie ganz ausschließen.“

Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe

Gimber bestätigt, dass die 22-jährige Zustellerin eine Ausbildung als Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen (FKEP) bei der Post abgeschlossen hat. Das bedeutet, dass sie in ihrer Anfangszeit als Zustellerin zusätzlich ein paar Tage lang von einem erfahrenen Kollegen begleitet wurde. Ihre Anstellung bei der Post ist die Zustellerin nun los, außerdem erfüllt ihre Handlung den Tatbestand der Postunterdrückung, die mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass die junge Frau dem Druck ihrer Arbeit nicht mehr standhalten konnte?

Maik Brandenburger von der Fachgewerkschaft für die Beschäftigten der Post (DPVKOM) in Bonn zeichnet ein klares Bild vom Arbeitsalltag vieler Postzusteller: „Die Belastung ist oftmals so hoch, dass ich eher von einer Überlastung sprechen würde.“ Extrem hohe Zahlen an Sendungen müssten die Zusteller tagtäglich austragen, hinzu kämen zusätzliche Schwierigkeiten, wie etwa defekte Arbeitsgeräte. „Wenn während der Tour der Akku des E-Bikes defekt ist, wird es natürlich noch schwieriger, den Arbeitstag erfolgreich zu beenden“, so Brandenburger. Für ihre Zusteller hat die Post zwei Verfahren entwickelt, die das tägliche Ausliefern der Sendungen gewährleisten sollen: Zunächst kann eine Variante gewählt werden, bei der nach den tatsächlich abgeleisteten Stunden bezahlt wird.

Hinzu kommt die Arbeitsweise nach dem Prinzip „Wer mit der Arbeit fertig ist, kann gehen.“ Bei diesem Arbeitsmodell ist laut Hugo Gimber der Zusteller sein „eigener Herr“: Wenn etwa dienstplanmäßig eine Arbeitszeit von acht Stunden vorgesehen sei, der Zusteller aber bereits nach sechs Stunden alle Sendungen abgeliefert habe, könne er gehen, ohne dass ihm die zwei Stunden abgezogen würden. „Im Gegenzug dafür muss an einem Tag, an dem sehr viele Sendungen vorliegen, bis zu einer Stunde länger gearbeitet wurden, ohne dass diese Stunde als Überstunde zählt“, erklärt Gimber.

Welche Variante die 22-jährige Zustellerin gewählt hat, die in Horb auslieferte, ist nicht bekannt. Fest steht aber: Die Arbeit wuchs ihr über den Kopf. Wer einen genauen Blick auf die Briefkästen der Post in Horb und Umgebung wirft, der stellt fest, dass gerade Zusteller gesucht werden. Eine genannte Anforderung in der Stellenanzeige: „körperliche Belastbarkeit.“ Das ist wohl nicht übertrieben.