Außerdem

Liebe AfD, es ist in Ordnung, dass Du da bist, aber ...

Benjamin Breitmaier philosophiert über den journalistischen Umgang mit einer Partei

03.09.2021

Von Benjamin Breitmaier

Ich freue mich als Demokrat aufrichtig, dass es Dich gibt, liebe AfD. Dein Dasein zeigt, dass Meinungspluralismus in unserer Gesellschaft keine hohle Phrase ist. Ich kann mich noch gut an Deine Anfänge erinnern. Damals, als Bernd Kölmel in Nagold über europäische Finanzpolitik referierte. „So schlimm ist es ja gar nicht“, dachte ich. Doch schon damals sah ich vereinzelt die Symbole der Identitären Bewegung, die der Landesverfassungsschutz zum „weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial“ zählt.

Ich durfte über die Jahre einige Gespräche mit Deinen Vertretern führen. Es waren teils gute Gespräch, trotz politischer Positionen, wie sie weiter nicht auseinanderliegen könnten – wir sind schließlich alles Menschen, was meiner Meinung nach bedingt, dem Gegenüber mit einem grundsätzlichen Respekt zu begegnen.

Es folgt ein dickes „Aber“. Liebe AfD, keine andere Partei ringt uns derart viel Arbeitsaufwand ab, keine andere Partei jongliert mit derart vielen Halb- und Unwahrheiten. Das haben wir auch bei dem Interview mit Marcus Lotzin gemerkt, dem Kandidaten für den Wahlkreis 280. Nur ein Beispiel: Er behauptete eiskalt, dass Karl Lauterbach wenig mit Epidemiologie zu tun hat. Das stimmt einfach nicht. Jetzt hat die Recherche mich nur gut 5 Minuten auf Wikipedia gekostet (Lauterbach hat einen Master of Public Health mit den Schwerpunkten Epidemiologie und „Health Policy and Management“ an der Harvard Universität), aber andere Halbwahrheiten zu enttarnen, ist oft unvergleichbar schwerer. Noch ein Beispiel: Lotzin sagte wörtlich (grammatikalisch geglättet): „Selbst hier haben sich seit 2015 durch den Flüchtlingsstrom die sozialen Ausgaben verdoppelt im Landkreis Calw-Freudenstadt.“ Es sind diese Aussagen, die einfach scheinen, griffig, puh, doppelt so viel Geld, nur wegen Flüchtlingen. Der Satz entspricht nicht der Wahrheit. Ich habe beim Landratsamt Freudenstadt nachgefragt. Erstens ist die Kostenstruktur derart kompliziert, dass sich so eine pauschale Aussage nur schwerlich treffen lässt. Und selbst wenn man alle erdenklichen Kosten für Geflüchtete mit reinrechnet, kommt man nicht auf eine Verdopplung. Außerdem hat mir die Pressesprecherin gesagt, dass bei ihnen noch nie ein Herr Lotzin nachgefragt hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Kreis Calw anders aussieht. Andererseits wird uns als Vertretern der Presse von keiner anderen Partei derart oft vorgeworfen, sie zu benachteiligen. Aktuell in einem Leserbrief von Rodolfo Panetta. Der gute Rodolfo meint, wir hätten die CDU bevorteilt, indem wir eine Pressemitteilung ins Blatt hoben, wenngleich eine AfD-Mitteilung in der Schublade verschwand. Grundsätzlich ist das nicht falsch, doch es fehlt, wie so oft, der Kontext. Das Atomkraftwerk, für das die Delegation demonstrierte, stand eben nicht im Horber Heiligenfeld, sondern weit außerhalb unseres Verbreitungsgebiets, der CDU-Termin war direkt vor Ort. Nehmen wir an, Klaus Mack demonstriert in Mannheim für weniger Steuern auf schwarze Anzüge. Wir hätten seine Pressemitteilung ebenso im Gully versenkt.

Zweiter Punkt, warum wir uns als Pressevertreter schwer mit Dir tun, liebe AfD: Egal wie gemäßigt manche Deiner Vertreter wirken, wir wissen, dass Deine Mitglieder nicht nur vereinzelt, sondern in weiten Teilen rechtsextrem sind. Der Bundesverfassungsschutz hat „den Flügel“ als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ eingestuft, im Osten unterstützten ihn vor seiner Auflösung laut Sicherheitsbehörden 40 Prozent der Mitglieder. Das Beispiel Höcke ist dabei nur das anschaulichste. Der Verfassungsschutz selbst geht bei dem guten Mann davon aus, dass er in einer NPD-Zeitschrift Artikel veröffentlichte, die astreines faschistisches Gedankengut enthalten. Den Islam hinter den Bosporus drängen? Uns von unseren Moralvorstellungen verabschieden? Das ist einfach nicht mehr mit unserem Grundgesetz vereinbar. Jetzt meinen meine Gesprächspartner jedes Mal, Höcke wäre nicht die gesamte AfD, wieder so eine Halbwahrheit, in Anbetracht des immensen Einflusses, den der Thüringer auf das Wahlprogramm hatte. Ein Wahlprogramm, das jeder Kandidat und jede AfD-Kandidatin bewirbt. Daneben gibt es immer wieder diese hässlichen Geschichten. Ich erinnere hier beispielhaft an den Fall eines ehemals engen Vertrauten von Alexander Gauland persönlich, der darüber schwadronierte, Migranten „erschießen“ oder „vergasen“ zu wollen.

Dieses „G’schirr“ haben wir einfach mit keiner anderen Partei. Trotzdem sprechen wir oft in Redaktionskonferenzen darüber, darauf zu achten, Dich nicht zu benachteiligen, das gehört zu unserem Berufsethos. Das mag manchmal schmerzhaft sein, aber das halten wir aus.