Horb · Das Mittwochs-Interview

„Lieber Stretchen als Playstation oder Netflix“

Im „Plausch um Sieben“ sprach Ex-Tennisprofi Andreas Beck über die Einnahme von Schmerzmitteln, über seine Freundschaft mit Michael Berrer und über seine schlimmste Niederlage.

01.07.2020

Von Sascha Eggebrecht und Milos Kuhn

Ex-Tennisprofi Andreas Beck musste schon mit 30 Jahren seine Karriere wegen einer Schambeinentzündung beenden. Screenshot

Ex-Tennisprofi Andreas Beck musste schon mit 30 Jahren seine Karriere wegen einer Schambeinentzündung beenden. Screenshot

SÜDWEST PRESSE: Herr Beck, Sie mussten Ihre Profi-Karriere schon im Alter von 30 Jahren beenden - zu große Schmerzen. Vor ein paar Tagen hat die Doku „Hau rein die Pille“ in der ARD für große Furore gesorgt. Welche Erfahrungen haben Sie mit Schmerzmittel während Ihrer
Karriere gemacht?

Andreas Beck: Sie haben mir meine Karriere gerettet in gewissen Situationen. Bei der letzten Verletzung habe ich dann aber fünf bis sechs Tabletten genommen, das hat der Körper dann schon gemerkt. Ich bin eigentlich auch kein Fan von Schmerztabletten.

Wie groß war der Druck, zur Tablette zu greifen – um spielen zu können? Immerhin konnten Sie ja nur Geld verdienen, wenn Sie spielen.

Der Druck war natürlich enorm groß. 2009 hatte ich ein super Jahr, da habe ich mich dann aber an meinem Ellenbogen verletzt. Es hat sich eine chronische Ellenbogenentzündung herausgestellt. Ich hätte es direkt stoppen müssen, wollte aber weiterspielen. Dann habe ich zu jedem Match eine Tablette genommen. Das war im Nachhinein ein großer Fehler.

Gab es da eine Überdosierung?

Ich habe immer die Dosis genommen, die mir die Ärzte empfohlen haben. Ich habe teilweise mit drei Tabletten gespielt, aber die Wirkung hat nicht mehr geholfen. Da wusste ich, es ist etwas Größeres.

Bereuen Sie das im Endeffekt, öfters zur Tablette gegriffen zu haben?

Jein. Natürlich hat das meinem Körper nicht gutgetan, dafür bereu ich es auch. Aber für die Karriere war es teilweise notwendig. Viele Spiele, bei denen ich angeschlagen war, wären ohne kaum möglich gewesen. Ich habe dadurch viele Spiele gewonnen. Ich sehe das ganze also mit weinendem und lachendem Auge.

Was sind nach der Karriere Ihre
größten körperlichen Probleme?

Ich hatte 2013 eine Bandscheiben-OP, da habe ich aber keine Probleme. Meine Karriere musste ich ja wegen einer komplizierten Schambeinentzündung beenden. Das merke ich sogar heute noch, wenn ich selber trainiere. Da kommen die Schmerzen immer wieder zurück. Das ist momentan die größte Baustelle.

Wie sah es bei Ihnen aus Herr Berrer, haben Sie auch zur Pille gegriffen?

Michael Berrer: Nicht wirklich, ich kann das an einer Hand abzählen, wie oft ich ein Match mit Tablette bestritten habe. Das hat natürlich auch mit Glück zu tun, aber ab einem gewissen Moment habe ich auch viel dafür getan. Ich habe es immer abgelehnt, mit Tabletten zu spielen. Manchmal ist es aber ein unvermeidlicher Gang – das Geld kommt nur rein, wenn man spielt.

Im Fußball wurde nachgewiesen, hatten Rund 42 Prozent der Fußballer Schmerzmittel im Blut, bei den Handballern waren es sogar über 60 Prozent. Wie hoch schätzen Sie die Prozentzahl im Tennis?

Andreas Beck: Ich würde sagen, dass es auf jeden Fall über 50 Prozent, also 60 bis 70 Prozent sind. Im Tennis ist man für sich alleine verantwortlich. Da ist man darauf angewiesen.

Michael Berrer: Darauf würde ich mich auch einlassen. Unter dem Leistungsdruck ist es ein großer Preis. Es geht nicht nur um Wettkämpfe, sondern auch um Training. Viele konnten ohne 200 Milligramm Ibuprofen gar nicht mehr auf den Platz gehen.

Ein Arzt hat gesagt, dass die Einnahme von Schmerzmitteln Doping sei. Wie bewerten Sie das?

Michael Berrer: Ich persönlich finde das nicht. Es ist nicht leistungssteigernd, sondern eher hemmend. Man fühlt sich schon ein bisschen benebelt.

Andreas Beck: Wenn ich die Tablette genommen habe, war ich schlapp auf dem Platz, das hat man gemerkt. Ich habe noch mehr geschwitzt, ich war eher geschwächt und nicht wirklich gut.

Sie arbeiten ja nach Ihrer Karriere nun auch als Trainer mit Jugendlichen. Schlucken die Talente
bei kleinen Wehwehchen auch Schmerztabletten?

Andreas Beck: Ich persönlich mache das nicht. Ich bin ein Trainer geworden, der Ruhepausen gönnt. Ist ein Spieler verletzt, lieber eine Woche länger Pause als zu früh anzufangen. Lieber vorher ein Match aufgeben, als zu Mitteln zu greifen. Verbieten kann ich es ihnen aber nicht.

Sie waren jahrelang auf der Tour. Welche Ratschläge geben Sie
Nachwuchsspielern, die Profis
werden wollen?

Einfach auf den Körper hören, prophylaktisch trainieren. Ich selber habe das aber auch nicht gemacht. Stretching-Einheiten, mehr für die Regeneration tun – das ist extrem wichtig. Lieber eine Stunde stretchen als Playstation oder Netflix.

Herr Berrer, haben Sie weitere Tipps?

Michael Berrer: Wir hatten schon früher viele Diskussionen. Oftmals vergisst man das aber einfach. Man möchte nach Hause und chillen, ich habe das aber durchgezogen. Auch wenn ich zu Hause mit meiner Frau etwas anschaue, setze ich mich auf den Teppich und dehne mich nochmal. Auch Besuche beim Physiotherapeuten muss man auf sich nehmen.

Apropos Tipp: Im Jahr 2010 haben Sie beide bei den US-Open in der
ersten Hauptrunde gegeneinander gespielt. Wer weiß noch das exakte Ergebnis?

Andreas Beck: Ich glaube, es war 7:6, 6:3, 6:1.

Richtig.

Herr Berrer, warum waren Sie an diesem Tag chancenlos?

Andi hatte eine extrem gute Taktik. In den vielen Trainings konnte ich an einer Hand abzählen, wie viele Matches ich im Training verloren habe. Der Andi ist ein Match-Performer, ich hatte null Chancen. Manchmal hat man eben seinen Meister gefunden, aber das ist auch in Ordnung.

Lag es auch daran, weil Sie gegen
einen Freund gespielt haben?

Andreas Beck: Für mich war das, gerade im Hinblick auf die US Open, eine schwierige Situation. Wir haben morgens, als ausgelost wurde, trainiert, und dann wurde gesagt, dass wir gegeneinander spielen. Dann habe ich mich innerlich schlecht gefühlt, weil ich wusste, dass einer von uns nach Hause fliegt. Ich wollte natürlich gewinnen, aber da war auch eine leichte Hemmung dabei. Ich bin ein emotionaler Mensch auf dem Platz. Das war schwer.

Ist es anderes gegen einen Freund
zu spielen, als gegen einen, den man nicht so sehr mag?

Wir waren beide Profisportler, wir mussten die Situation annehmen. Ich bin reingegangen und habe versucht, das Match zu nehmen wie jedes andere.

Michael Berrer: Ich wusste nicht, wie ich mich richtig verhalten sollte. Da hätte ich mich damals mehr damit auseinandersetzen müssen. Ich konnte mit der Situation null umgehen. Ich konnte nicht mal mehr mit Andi essen gehen.

Andreas Beck: Das hat wiederum mich mental belastet, warum ist der Michi jetzt so, warum geht er mir aus dem Weg? Das hat mich mehr beschäftigt.

Wie hat sich zwischen Ihnen die Freundschaft entwickelt?

Andreas Beck: Unsere Freundschaft ist besser geworden, weil wir viel entspannter geworden sind. Der Druck ist abgefallen, wir helfen uns gegenseitig extrem, schätzen uns unglaublich. Immer wenn ich Fragen habe, kann ich den Michi fragen.

Was bedeutet Freundschaft auf der Tour – sucht man nach einer Niederlage auch mal Trost?

Andreas Beck: Während der Profi-Karriere nicht. Mein Trainerstab war nach Niederlagen da und meine Frau. Sie war für mich der größte Freund in dieser Zeit.

Michael Berrer: Ich wollte mich nicht so offenbaren, obwohl das eigentlich völliger Schwachsinn ist. Man lernt aber dazu. Niederlagen habe ich also mit mir selbst ausgemacht, was aber okay funktioniert hat.

Stichwort Niederlage: Herr Beck, Sie haben in einem Interview gesagt, der schlimmste Moment Ihrer Karriere war die Niederlage im entscheidenden Davis-Cup-Match gegen Spanien. Damals unterlagen Sie Ferrero in fünf Sätzen. Warum war dieser Niederlage besonders bitter?

Ich bin ja ein extremer Teamspieler. Die Niederlage war wirklich so schlimm, weil ich wusste, wir sind nicht im Halbfinale und ich konnte das Team nicht weiterbringen. Es hat an dem Tag einfach nicht gereicht, auch wenn ich alles gegeben habe. Der Juan war einfach besser und erfahrener. Innerlich hatte ich großen Druck. Das war für mich sehr schlimm, ich weiß noch wie ich danach auf der Bank saß und so fertig mit der Welt war, dass ich lange geweint habe. Da ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Bei der Pressekonferenz wurde die Frage gestellt, wie ich mich als Depp der Nation fühle. Das hat mich mitgenommen. Am nächsten Tag musste ich nach Stuttgart und da kam dann nochmal alles hoch.

Sie haben insgesamt vier Mal für Deutschland gespielt. Hat das Spielen für Deutschland für Sie einen größeren Stellenwert gehabt, als bei einem Grand-Slam-Turnier aufzuschlagen?

Definitiv. Es gibt nicht schöneres, als für sein Land aufzuschlagen. Wenn man beim Opening auf den Platz geht und die Nationalhymne hört, da muss ich mir eine Träne verdrücken. Ich würde Davis Cup Titel gegenüber einem Grand Slam Titel eintauschen.

Wie finden Sie das neue Format
des Davis Cups, ist das wirklich eine Abstufung gegenüber des alten?

Ich finde das neue Format überhaupt nicht gut. Es kommt keine Stimmung mehr auf. Das ist unfair gegenüber anderen Ländern, wenn ein Standort wie Madrid ausgewählt wird. Das zeichnet doch eigentlich den Davis Cup aus, als Heimmannschaft den Zuspruch der Zuschauer zu bekommen. Das ist insgesamt schon sehr schade, auch im Hinblick auf die Abschaffung des Best of Five. Aber da sieht man: Geld regiert die Welt.

Sie haben es im Jahr 2009 bis auf Rang 33 der ATP-Weltrangliste geschafft, wurden zweimal Deutscher Einzelmeister und standen in einem 250er-Endspiel. Blicken Sie demnach auf eine erfolgreiche Karriere zurück?

Ich bin mit meiner Karriere im Reinen. Wie gesagt, ich hätte definitiv mehr erreichen können, wenn ich noch professioneller gewesen wäre, gerade im Hinblick auf das Thema Regeneration. Dann hätte es für noch mehr reichen können. Ich bin aber im Großen und Ganzen zufrieden.

Was hat Ihnen der Tennissport gegeben?

Tennissport war und ist mein Leben. Ich bin dankbar, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und so toll unterstützt wurde, meine Eltern, den WTB, den DTB – ich bin für die Unterstützung dankbar und glücklich, das erlebt zu haben und neue Kulturen und Länder kennenzulernen. Sei es das Essen oder Sightseeing.

Sie haben ja auch gegen Federer, Nadal und Djorkovic gespielt. Warum hat aus Ihrer Sicht dieses Trio die letzten 15 Jahre im Tennis dominiert?

Da muss man auch sagen, die drei Spieler sind Ausnahmetalente. Jeder Spieler hat sein Talent, was der andere nicht hat. Wenn man die drei sieht, die reisen mit einem Staff von acht bis zehn Leuten, dass die so gut vorbereitet sind, ist verständlich. Wenn man es sich leisten kann, einen Physio mitnehmen zu können, hilft es sehr, im Tennis weiterzukommen.

Herr Berrer, fallen Ihnen noch weitere Gründe ein?

Michael Berrer: Sie haben sich den Status schon verdient, aber das, was Andi gesagt hat, macht schon einen Unterschied. Sie haben auch immer die gleichen Bedingungen. Sie spielen immer auf den größten Plätzen beispielsweise. Das haben sie sich aber erarbeitet über die Jahre, es ist trotzdem ein anderer Sport. Es wird spannend, wenn die US Open nur noch mit einem Betreuer gespielt werden.

Wie schon anfangs erwähnt haben Sie, Herr Beck, Ihre Karriere mit 30 Jahren beendet. Wie wichtig war es da für Sie, dass Sie gleich ein Angebot als Trainer in einer Stuttgarter Tennisakademie auf dem Tisch liegen hatten?

Andreas Beck: Das war sehr wichtig. Es war selbstverständlich, als Trainer anzufangen zu arbeiten. Ich wollte ambitionierten Kindern mein Wissen weitergeben. Ich bin dankbar, dass ich den Job machen darf. Wenn die Kinder das Funkeln in den Augen haben – das ist das schönste Zeichen für einen Trainer.

Gibt es im Moment deutsche Talente, die Sascha Zverev in naher Zukunft folgen könnten?

Klar, haben wir super Leute. Maxi Materer, Rudi Mollig – super Talente. Auch nach Sascha wird einer kommen, die Gegebenheiten sind ja da.

Im Moment trainieren Sie Talente, könnten Sie sich auch vorstellen, mit einem gestandenen Profi als Coach durch die Welt zu reisen?

Vorstellen könnte ich mir das schon. Ob ich das wirklich machen will, so viel zu reisen, muss ich mir natürlich überlegen. Das hat Vor- und Nachteile, mit Profis zu trainieren. Ist ein Angebot da, überlegt man sich das natürlich auch.

Und Ihre Frau würde das
mitmachen?

Sie kannte das ja nicht anders. Egal, was ich mache, sie unterstützt mich zu 100 Prozent. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Zur Person

Andreas Beck (5. Februar 1986 in Weingarten) ist ein ehemaliger deutscher Tennisspieler. Ein wichtiger Erfolg in seiner Karriere war der Gewinn der Deutschen Meisterschaften in Biberach am 9. Dezember 2007. Neben dem Sieg beim Challengerturnier in Sarajevo 2006 gehören auch der Gewinn der baden-württembergischen Meisterschaft 2007 und der deutschen Juniorenmeisterschaft 2003 zu seinen bemerkenswerten Titeln. Auf der ATP World Tour erreichte er 2009 in Gstaad sein einziges Finale. In diesem Jahr erreichte er mit Platz 33 auch seine höchste Platzierung der ATP-Weltrangliste. . 2016 beendete er seine Karriere und ist nun Tennis-Trainer.

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Erstellt:
01.07.2020, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 01.07.2020, 01:00 Uhr

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