Die feine Gesellschaft

Die feine Gesellschaft

In der Burleske am Schauplatz eines Fischerorts liefern sich reiche Sommergäste und arme Einheimische einen bizarren Klassenkampf.

27.01.2016

Von Dorothee Hermann

Die feine Gesellschaft

Brutalisierte Unterschicht trifft auf gleichermaßen abstoßende wohlhabende Sommerfrischler – und das alles in einer Szenerie, die aus Witzpostkarten (fassähnlicher Kommissar kämpft sich durch steile Dünen) und gemäldereifen Strandszenen von 1910 zusammengesetzt scheint.

Man könnte meinen, Regisseur Bruno Dumont („L’humanité“) hätte den schonungslosen Blick auf die Existenzkämpfe am unteren Rand der Gesellschaft hinter sich gelassen. Doch schon die Eingangsszenen zeigen dreckige, mühselige Maloche: Die Familie Brufort, Vater, Mutter, vier Söhne, kratzt Muscheln von den Felsen, um ein kärgliches Auskommen zu fristen.

Die drei jüngeren Kinder sind überhaupt nicht niedlich, sondern so, wie Kinder eben sind, die kaum etwas anderes kennen als Plackerei und Grobheit. Als Polizisten auf dem verfallenden Kleinbauernhof anrücken, weil Sommergäste spurlos verschwinden, reagieren sie ganovenmäßig mit verstocktem Schweigen. Dabei dürfte ihnen nicht entgangen sein, dass auf dem Anwesen Dinge vorgehen, die an gruselige Zerstückelungsmärchen erinnern.

Zwischen den voneinander abgeschotteten sozialen Sphären kommt es regelmäßig zum verkrampft-geschäftsmäßigen Körperkontakt: Vater Brufort (auf Deutsch: Robrecht) und der halbwüchsige Älteste (Brandon Lavieville als Lümmel „Ma Loute“) befördern die reichen Touristen nicht mit dem bereitliegenden Boot, sondern eigenhändig über den Meeresarm, der einen beliebten Strandspazierweg kreuzt.

Die Romanze, die sich zwischen „Lümmel“ und der androgynen Billie (Raph) aus dem festungsähnlichen Sommerdomizil der Reichen anbahnt, erscheint als gefährliche Grenzverletzung.

In Tübingen war „Ma Loute“ (Originaltitel) bereits zur Eröffnung der Französischen Filmtage zu bestaunen, doch der bizarre Humor lohnt auf jeden Fall ein Wiedersehen, ein Faible für genüssliche Übertreibung durch Over-Acting vorausgesetzt, samt grandios überdrehter Juliette Binoche.

Als verrückte Groteske inszeniert: Die unversöhnlichen sozialen Gegensätze im Vorfeld des Ersten Weltkriegs.

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Erstellt:
27.01.2016, 11:11 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 49sec
zuletzt aktualisiert: 27.01.2016, 11:11 Uhr

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