Empfingen · Interview

„Man braucht immer eine Nase“

Figurenspieler Matthias Jungermann erklärt vor den Auftritten in Empfingen und Wiesenstetten, wie Bibel-Gleichnisse sich mit Obst und Gemüse darstellen lassen und warum beim Programm „Radieschenfieber“ keine Radieschen vorkommen.

17.09.2020

Von Cristina Priotto

Matthias Jungermann verwendet eine Ananas, um das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Objekttheater zu erzählen.Bild: Aidan McEvoy

Matthias Jungermann verwendet eine Ananas, um das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Objekttheater zu erzählen.Bild: Aidan McEvoy

SÜDWEST PRESSE: Herr Jungermann, wie kommt man auf die Idee, Gemüse und Obst für die Darstellung
biblischer Gleichnisse einzusetzen?

Matthias Jungermann: Ich mag es gerne, Gegenstände zu benutzen, die man aus dem Alltag kennt. Obst und Gemüse hat jeder zu Hause, das ist ein ganz niederschwelliger Einstieg, keine komplizierte Puppe, die man bauen oder kaufen muss. Mein Hauptantrieb ist es, Gegenstände aus dem Alltag in neue Zusammenhänge zu bringen. Jesus nutzte diese Methode auch: Er nahm Sachen aus dem Alltag der Leute und packte darum herum eine Geschichte.

Weshalb sind Sie von Figuren auf
Objekte und speziell Obst und
Gemüse umgestiegen?

Hmm (lacht). Vom Handwerklichen macht es keinen Unterschied, ob ich eine Puppe oder eine Banane spiele. Die Banane kennt jeder, und ich kann es hinterher aufessen. Ich spiele mit Lebensmitteln, aber immer so, dass ich ihnen ihre Würde belasse.

Ein Wald aus Lauch und Brokkoli ist ja noch erkennbar. Aber welche
Parallelen sehen Sie zwischen einer Ananas und Vätern, Bananen und Männern oder Ingwer und dem
barmherzigen Samariter?

Es braucht immer mindestens eine Eigenschaft, die der Gegenstand und der Dargestellte gemeinsam haben, damit der Gegenstand eine bestimmte Rolle spielen kann. Die Ananas ist groß und stark wie der Vater.

Erkennen die Zuschauer auf Anhieb, was Sie als wen darstellen möchten?

Manchmal schon, manchmal spreche ich darüber, zum Beispiel, wenn die Paprika als Schwein auftaucht – wegen des grünen Stempels als Rüsssel. Ich leite die Fantasie der Zuschauer an.

Was war das bislang witzigste
Missverständnis?

(überlegt lange) Da fällt mir nichts ein.

Gab es auch schon mal Kritik seitens eines Pfarrers / Gläubigen / einer Kirchengemeinde, die es für Blasphemie hielten, was Sie machen?

In der Geschichte von Levi wird Jesus als Mineralwasserflasche dargestellt. Da sage ich: „Das ist Jesus, der ist eine Flasche“, sage aber im nächsten Moment: „Das ist nicht so gemeint, aber er hat mal gesagt: ‚Ich bin das Wasser des Lebens‘, also passt es und ist sogar lebendig, weil es sprudelt.“ Wenn sich jemand daran gestört hat, wurde mir dies zumindest nicht zurückgemeldet. Vielleicht behalten solche Leute es für sich. Ich bin erklärend und fromm genug, dass das zu verzeihen ist – ich mache das mit Würde und nicht, um den Witz zu machen. Mit Lebensmitteln Theater zu spielen, ist an sich schon ein Konventionsbruch, denn es heißt immer: „Mit Lebensmitteln spielt man nicht“. Aber hinterher isst man es ja auf.

Wie kamen Sie auf den Programm-namen „Radieschenfieber“?
Tauchen die im Programm auch auf?

Leider gibt es gar keine Radieschen in dem Programm, das ist nur der Name. Dafür habe ich mir überlegt: Warum sind die so klein und rot? Vielleicht haben die Fieber? Ich habe einen Namen gewählt, der die Leute neugierig macht – und das funktioniert.

Wie definieren Sie, wo bei Obst
oder Gemüse oben, unten, vorne
und hinten ist?

Man braucht immer eine Nase oder ein Auge oder zumindest eine Richtung. Meistens finde ich eher eine Richtung im Sinne von Nase, die ist dann vorne.

Aber bei glattem, rundem Gemüse? Da wird es schwierig, da muss man die Fantasie einschalten und gucken, wo man Gesichter und Formen von Gesichtern in den Objekten findet. Genauso muss man sich überlegen: Wie bewegt es sich fort: Hüpft es, kriecht es oder schleicht es? Und wie kann es schauen?

Was passiert nach der Vorstellung mit den Lebensmitteln? Dürfen
die Zuschauer das von Ihnen
verwendete Obst und Gemüse in
Corona-Zeiten wie sonst auch essen?

Man müsste es, aber wegen Corona geht das derzeit nicht. Ich kaufe daher alles doppelt ein und verteile das, was ich nicht auf dem Tisch hatte, nach dem Auftritt ans Publikum. Das Gemüse und Obst, das ich auf dem Tisch hatte, verspeise ich hinterher selbst.

Mit dem Programm „Radieschen-
fieber“ gastierten Sie 2016 schon einmal in Empfingen. Was erwartet das Publikum diesmal Neues?

Es sind sicher neue Geschichten dabei, aber auch Klassiker.

Wollen Sie schon Näheres verraten? Eigentlich nicht, das mache ich lieber dynamisch vor Ort, abhängig davon, wie alt die Kinder und Erwachsenen im Publikum sind. Nur soviel: Bei der Kinder-Variante setze ich nur Obst und Gemüse ein, beim Erwachsenenprogramm auch andere Gegenstände.

Figurenspieler, Regisseur und Hochschuldozent

Matthias Jungermann wurde 1977 in Rendsburg in Schleswig-Holstein geboren. Mit 13 Jahren entdeckte er das Puppenspiel und begeisterte sich für Spiel und Bau der Puppen der „Muppet-Show“. 1992 gründete er mit Freunden die Gruppe „The Puppets“.

Ab 1998 studierte Jungermann Figurentheater an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Seither hat Matthias Jungermann etliche Theaterprojekte realisiert und unter anderem als Gastspieler in „Die Walküre“ von Richard Wagner und als Figurenspieler in „Turandot“ an der Staatsoper Stuttgart mitgewirkt sowie als Erzähler und Figurenspieler in der Kinderoper „Der Schweinehirt“ von Gerhard Schedl und in „Meister Pedros Puppenspiel“ von Manuel de Falla in der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart agiert. Zudem baute er zahlreiche Figuren, etwa für das „theater martinshof 11“ in Kirchentellinsfurt und für das „Chawwerush-Theater“ in Herxheim. 2003 schloss Jungermann das Studium als Darstellender Künstler und Figurenspieler ab und ist seither als selbstständiger freischaffender Figurenspieler mit verschiedenen Stücken und als Regisseur unterwegs. Das Programm „Radieschenfieber“ hieß 2003 erst „Ein appetitliches Nummernprogramm“ und erzählt biblische Gleichnisse mit Obst und Gemüse. Zudem war Jungermann Dozent an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Stuttgart im Studiengang

Figurentheater tätig.

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Erstellt:
17.09.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 47sec
zuletzt aktualisiert: 17.09.2020, 01:00 Uhr

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