Politik

Große Zusammenhänge

Bundes- und Lokalpolitik vereinten sich beim Besuch der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken (SPD) in der Redaktion.

20.09.2018

Von Manuel Fuchs

Saskia Esken bewahrte trotz hitziger Themen einen kühlen Kopf– ihrem Fächer sei Dank. Bild: Fuchs

Saskia Esken bewahrte trotz hitziger Themen einen kühlen Kopf
– ihrem Fächer sei Dank. Bild: Fuchs

Die sind da!“ Angesprochen auf die Gewaltbereitschaft auf politischen Demonstrationen äußert sich Saskia Esken durchaus besorgt und spricht sehr deutlich von „schlafenden Strukturen“. Verfassungsfeinde, wie sie sich jüngst in Chemnitz und anderswo präsentierten, gebe es keineswegs nur in Sachsen; in diesem Punkt ist sie sich sicher.

Esken führt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ins Feld, wonach ein knappes Drittel der Bevölkerung Deutschlands „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ hege. Und die wählten keineswegs alle Parteien aus dem rechten Spektrum. „Wenn es bei uns zu einem Tötungdelikt wie in Chemnitz kommen sollte, wären vermutlich auch mit einem Schnips Tausende von Leuten mobilisierbar.“ Der Umgang mit diesen sogenannten Schläfern sei Sache des Verfassungsschutzes, „ob der jetzt seinen Job gut macht oder nicht, sei mal dahingestellt“.

(Anm. d. Red.: Zu diesem Zeitpunkt war noch nichts über Hans-Georg Maaßens Berufung vom Verfassungsschutzpräsidenten zum Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat bekannt. Dies kommentierte Esken auf twitter.com/EskenSaskia später wie folgt: „Lösung ohne Gesichtsverlust? Diese Regierung hat gerade als Ganzes ihr Gesicht verloren, und die Rechten johlen vor Begeisterung #Maassen“.)

Für den politischen Umgang mit den genannten 30 Prozent sehe sie das Gespräch als einzig denkbaren Weg. Bevor man es führen könne, müsse man aber die Betreffenden erst einmal erreichen. Das sei keineswegs so einfach, wie man es sich vielleicht vorstelle.

Wichtig ist Esken auch, eine professionelle Distanz zwischenPolitik und Medien zu wahren. Zwar würden Parteien wie Zeitungen mitunter von denselben antidemokratischen Kräften in eine Ecke gedrängt und als „Altparteien“ respektive „Lügenpresse“ diffamiert. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass man die unterschiedlichen Rollen von Parteien und Medien in einer Demokratie vermische oder die Grenzen verschwimmen lasse. „Wir haben dann vielleicht das Gefühlt, wir müssten einander retten und unterstützen. Aber genau darum geht es nicht! Wenn es bei der SPD etwas zu kritisieren gibt, dann müssen die Medien das tun – auch wenn wir an anderer Stelle von denselben Instanzen angegangen werden.“ Einzelpersonen werden unter massiven Druck gesetzt, Berufsverbände führen unverhohlen tendenziöses Videomaterial demokratiefeindlicher Gruppierungen zur Untermauerung der eigenen Position vor. „Wenn die dann noch ihre eigenen Nachrichten machen, dann wird es gefährlich.“

Eine Chance sieht sie unter anderem in der Stärkung sogenannter Qualitätsmedien. Nicht alle hätten den Sprung ins digitale Zeitalter schon gemeistert, viele Verlagshäuser müssten noch ihre Hausaufgaben erledigen. Andererseits sprössen gerade auch in der Medienbranche innovative Projekte mit hohem Qualitätsanspruch, die es zu fördern gelte. „Das kann aber keine staatliche Aufgabe sein.“ Esken nimmt dem Gedanken an eine Staatspresse schnell den Wind aus den Segeln.

Einen weiteren Ansatz sieht Esken darin, die Finanzierung demokratiefeindlicher Meinungsportale zu untergraben. Viele Unternehmen wissen gar nicht, auf welchen fragwürdigen Seiten ihre Produkte gegen Geld beworben werden; das passiert weitgehend automatisch. Macht man die Unternehmen darauf aufmerksam, können sie die unerwünschten Seiten auf eine sogenannte Blacklist setzen und damit deren Finanzierung austrocknen. „Das ist zwar nur ein erster Schritt, aber ein spürbarer“, bestätigt Esken.

Digitalisierung der Region

Damit nimmt das Gespräch so langsam den Bogen in die Digitale Welt; Eskens Steckenpferd und politisches Hauptbetätigungsfeld. Sofort steckt sie die Grenzen dieser Welt ab: „Meine Wahlkreisarbeit findet nicht bei Twitter statt.“ Stattdessen pflegt sie persönliche Kontakte, besucht Schulen und andere Institutionen. „Das Bierzelt ist nicht mein Ort“, gibt sie allerdings zu.

Der Region ihres Wahlkreises attestiert sie ein großes Potenzial in der Zivilgesellschaft. Um das zu nutzen, müssten allerdings die Kommunen gestärkt und über die Verwaltung des Notwendigen hinaus handlungsfähig gemacht werden. Wer Gemeinschaften schafft, pflegt und erhält, wie es beispielsweise Vereine regelmäßig tun, müsse auf Unterstützung bauen dürfen.

Auch biete die Digitalisierung große Möglichkeiten zur Entwicklung des ländlichen Raumes, womit keineswegs nur der Nordschwarzwald gemeint sei. Als Beispiel führt sie ein Bürger-Ruf-Taxi an, das sie im Nachbarlandkreis Calw kennengelernt habe. Die Aufnahme der Reservierungen und die Planung der Fahrten geschehe dort noch vollständig von Hand. Stünde dies auf digitalen Beinen, wäre es transparenter, effizienter und kundenfreundlicher.

Ein weiteres Beispiel sei der Bereich der Telemedizin. Die gesetzlichen Grundlagen dafür seien geschaffen, jetzt könne die Umsetzung folgen. Kommunen ohne eigenes Krankenhaus wie eben Horb könnten davon profitieren.

Voraussetzung sei allerdings ein flächendeckender und zuverlässiger Ausbau der Breitband-Verbindungen. Die Privatisierung der Post bezeichnet sie als einen großen Fehler. Damit liege die Installation schneller Internetverbindungen, die sie als staatliche Kernaufgabe begreift, jetzt in den Händen gewinnorientiert wirtschaftender Unternehmen. Auch die ungleiche Verteilung der staatlichen Förderungen macht ihr Sorgen: „Ich bin wirklich erschrocken, dass der Landkreis Calw so viel Förderung kriegt, und der Landkreis Freudenstadt nicht.“ Sie sieht die Kreise und Kommunen allerdings auch selbst in der Pflicht; Breitbandausbau sei Daseinsvorsorge.

Hoffnung auf eine spürbare Verbesserung durch die voranschreitende Digitalisierung macht Esken das Onlinezugangsgesetz, wonach Bürger ab 2025 einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen schnellen Internetzugang haben. Bereits ab 2022 will die Bundesrepublik alle kommunalen Dienstleistungen soweit wie möglich digital anbieten; dann muss niemand mehr wegen eines Standardvorgangs eine Nummer ziehen und auf dem Flur einer Behörde seinen Aufruf abwarten.

Unser Fazit aus Saskia Eskens Besuch: Wie so oft bestehen Chancen und Risiken. Wichtig bleibt, Gefahren zu kennen, zu beurteilen und entsprechend zu handeln. Stillstand oder gar Rückschritte sind keine Optionen; man kann nichts ungeschehen machen.

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Erstellt:
20.09.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 20.09.2018, 01:00 Uhr

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