Freudenstadt · Advent

Markt, Modenschau und Führung

Weihnacht im ehemaligen Freudenstädter Grandhotel Waldlust: Hunderte Besucher fühlten sich am Samstag und Sonntag um ein gutes Jahrhundert in der Zeit zurück versetzt.

03.12.2019

Von Dunja Bernhard

Weihnachten in der Waldlust bedeutete Eintauchen in die Blütezeit des Grandhotels. Bild: Karl-Heinz Kuball

Weihnachten in der Waldlust bedeutete Eintauchen in die Blütezeit des Grandhotels. Bild: Karl-Heinz Kuball

Den Zeitsprung in Jugendstil und Belle Epoque machten Sissis Erben möglich. Die Gruppe um die Villingerin Petra Haller bespielte die Salons im Erdgeschoss der „Waldlust“ mit einem illustren Weihnachtsmarkt. Die Frauen hinter den Ständen trugen ausladende Kleider und ausgefallene Hüte im Stil der Gründerzeit und des Jugendstils. Sie boten Wollprodukte, Olivenöl und Tee an, Schmuck und Schirme passend zu ihrer Mode, Lampen aus Weingläsern und Weihnachtsgrüße in Mini-Konfitüregläsern. Haller hatte allerhand Antikes dabei: Hausrat aus einem Sozialen Laden, historische Romane secondhand, Dekoartikel, die sie mit Seiten alter Wörterbüchern beklebt hatte. Im edlen Ambiente der „Waldlust“ wirkte selbst Trödel wie eine Kostbarkeit.

Die Klasse 4b der Hartranft Grundschule verkaufte selbst gebackene Kekse und Gebasteltes. Den Erlös verwenden die Schüler/innen für eine Klassenfahrt aus einen Bauernhof. Je mehr das Tageslicht schwand und nur noch schummrige Lampen die Szenerie beleuchteten, desto heimeliger wurde die Stimmung.

Die Besucher flanierten durch den Markt und nahmen dann im Ballsaal Platz. Denn die dortige Atmosphäre, die hundert Jahre alten Charme atmet, muss man einfach genießen. Die Denkmalfreunde boten Torten und Kaffee, aber auch Chili con Carne und Linseneintopf an. Zwischen den Programmpunkten spielte ein Pianist unaufdringlich auf einem weißen Flügel.

Anja Bagus las aus einem ihrer fantastisch, mystischen Bücher. Sissis Erben zeigten auf einer Modenschau, wie Damen vor über einhundert Jahren gekleidet waren. Die Besucher erfuhren, dass Reifröcke vor Mitte des 19. Jahrhunderts aus einem Stoffgemisch aus Pferdehaar und Leinen gefertigt waren, der Krinoline. Später ersetzten Stahlbänder das Rosshaar.

Kleider als Statussymbol

Zunächst hatten die Kleider kurze Oberteile, Pagodenärmel und eine sogenannte Schneckentaille. Ab 1870 lösten die Tournürenkleider die Krinoline ab. Die neue Mode betonte den Po durch auf unnatürliche Weise. Um die Taille waren die Kleider nun eng geschnitten. In der Viktorianischen Mode galt: Je später der Tag, desto tiefer durfte der Ausschnitt sein. Wer venezianische Spitze trug, zeigte damit, dass der Mann Geld hatte. Sie war teurer als Spitze aus dem Schwarzwald. „Das waren so die kleinen Sticheleien der Frauen untereinander“, sagte Haller. In der Belle Epoque lehnten sich die Kleider an die natürlichen Formen des weiblichen Körpers an, aber die Röcke hatten verschwenderisch viel Stoff und eine Schleppe. Wieder zeigten die Frauen dadurch ihren Wohlstand.

Während die wohlhabenden Frauen prächtige Kleider und Hüte trugen, kleidete sich der Gentleman des 19. Jahrhunderts in schlichtes Schwarz, jedoch aus bestem Tuch. Den Kopf bedeckte ein Zylinder, den Mann zusammenklappen und unter dem Arm tragen konnte, der Chapeau claque. Der Gehstock wies dezent auf den Stand des Trägers hin. Im Knauf verbargen sich Degen, Kompass, Uhr oder auch ein Röhrchen Schnaps. Wie leergefegt war der Ballsaal stets, wenn eine Führung durchs Haus anstand. Jeweils rund sechzig Leute nahmen am Samstag daran teil, Sonntag waren es noch mehr. Die „Waldlust“ gehörte einst der Hoteldynastie Luz. 1900 als Sommerhaus erbaut, wurde sie 1903 zum Luxushotel erweitert und erreichte nach dem Zweiten Weltkrieg die heutige Größe. Die Rückwände der verglasten Balkone waren einst Außenwände, davon zeugen noch heute Schindeln und Fensterläden.

Reiseziel reicher Amerikaner

„Die Hautevolee der Welt kam in den 1920er-Jahren zur Kur nach Freudenstadt“, sagte Siegfried Schmidt, Vorsitzender des Vereins für Kulturdenkmale und SÜDWEST-PRESSE-Redakteur. Könige und Königinnen residierten in der Waldlust. Später war das Hotel Reiseziel von reichen Amerikanern. Das im Jugendstil begonnene Gebäude, das im vorderen Teil einen Salon für Herren und getrennt davon einen für Damen hatte, zeigt in seiner späteren, durchgängigen Gestaltung „Belle Epoque in Reinform“, sagte Schmidt. 2005 wurde der Hotelbetrieb endgültig eingestellt. Damals habe das Gebäude schon ein Sanierungsstau gehabt. Der einstige Glanz war verblichen.

Dass sich der ehrenamtliche Einsatz der Denkmalfreunde lohnt, sahen die Besucher beim Rundgang. Neben dem Ballsaal mit Kassettendecke und Stucksäulen, großer Tanzfläche und Musikermuschel, hat das Hotel eine unverkleidete Jugendstiltreppe in Schiffsbauweise. Im zweiten Obergeschoss erkundeten die Besucher verschiedene Suiten mit herrlichen Ausblicken. In der Waldsuite ist noch das Originalbad mit Marmorwanne erhalten. „Wir sind seit 14 Jahren in einem Lost Place tätig, der uns nicht gehört“, sagte Schmidt. Das Hotel mit 5000 Quadratmetern Wohnfläche und 14000 Quadratmetern Grundstück ist in Privatbesitz. Die Denkmalfreunde erarbeiten neben dem Erhalt und der teilweisen Renovierung ein Konzept für eine weitere Nutzung.

Events als Lobbyarbeit

Events wie „Weihnacht in der Waldlust“ seien auch Lobbytage, sagte Schmidt. Menschen sollen auf das Potenzials des Hotels aufmerksam werden. Am Wochenende hatten die Besucher großes Interesse an der Geschichte des Hauses, an Fördermöglichkeiten, Plänen zur Sanierung und der Frage, wie es mit der Waldlust weitergehen kann. In den Sommermonaten ist schon jetzt eine Übernachtung im Hotel möglich; in einer großzügigen Suite mit Wintergarten.