Selten musste man in einen Krimi so viel Hirnschmalz investieren. Aber es lohnt sich.

Memento

Selten musste man in einen Krimi so viel Hirnschmalz investieren. Aber es lohnt sich.

24.11.2015

Von che

Die Idee, dass eine Geschichte vorne anfängt und hinten aufhört, wurde im Kino immer mal wieder sabotiert. Seit Tarantino die Chronologie seines Gangsterfilms „Pulp Fiction? lustig durcheinanderwirbelte, sind Schüttel-Spielchen mit der Zeit sogar mächtig en vogue. Einen Film konsequent rückwärts zu erzählen, hat sich bis jetzt aber noch keiner getraut. Der amerikanische Independent-Regisseur Christopher Nolan hat mit seinem Thriller "Memento" als erster das Experiment gewagt - und gewonnen.

Der Film beginnt mit einer Leiche, aus der eine Kugel zurück in die Pistole gleitet. Von diesem Endpunkt der Handlung aus rollt Nolan in kurzen Kapitelchen die Geschichte eines Mannes mit einer merkwürdigen Krankheit auf. Leonard Shelby hat seit einem Überfall die Fähigkeit verloren, Wahrnehmungen im Gedächtnis abzuspeichern (computerisch formuliert: Daten vom Arbeitsspeicher auf die Festplatte zu übertragen). Jeder Gedanke, jede Beobachtung ist nach wenigen Minuten perdü. Trotz dieses Handicaps ist er davon besessen, sich an den Schuldigen (die, wie er glaubt, auch seine Frau ermordet haben) zu rächen. Fotos, Notizzettel und Tätowierungen an seinem Körper dienen Shelby als Erinnerungs-Ersatz.

Das Schöne an "Memento" ist, dass die Verkehrung der Reihenfolge nicht bloß eine abstrakte Versuchsanordnung bleibt. Die ungewohnte Struktur zwingt uns Zuschauer dazu, den Plot ständig neu zu sortieren, die imaginäre Rücklauftaste im eigenen Hirn zu suchen. Das ist erst mal ganz schön aufreibend, fügt sich allmählich aber zu einem faszinierenden Wahrnehmungserlebnis: Der Erinnerungsverlust des Helden wird physisch spürbar.

Zum Meisterwerk wird man Nolans Film dennoch nicht stempeln wollen. Lässt man "Memento" am Ende in der "richtigen" Reihenfolge Revue passieren, kommt eine ziemlich an den Haaren herbeigezogene Intrigiade heraus. Das Verdienst des Regisseurs ist es, endlich mal wieder gezeigt zu haben, dass Kino mehr sein kann als Geschichtenerzählen von A nach B. Dass in den 24 Bildern pro Sekunde mehr Formenreichtum steckt, als uns das Mainstream- und Kunstgewerbs-Kino Woche für Woche vorgaukeln möchte.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 59sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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Raptor 22.02.200612:00 Uhr

ein perfekt "ineinander" verschachtelter film. So weit ich weiß der erste film der diese Technik anwendet...

Chewbacca 31.05.200412:00 Uhr

Ein filmisches Puzzle zum Mitdenken. 8,75/10

N.N. 04.04.200412:00 Uhr

Ein perfekt konstruierter Thriller, von der Hauptrolle bis in die kleinsten Nebenrollen brillant gespielt. Ein großes Lob zudem an Christopher Nolan, der hier einmal mehr sein Talent eindrucksvoll unter Beweis stellt.