Den Blick vernebelt

Meral Celik hat ihre Augenprothese nach Jahren akzeptiert

Mit 30 Jahren das rechte Auge für immer zu verlieren, war für Meral Celik das schlimmste Ereignis in ihrem jungen Leben. Ihr Schicksal hat die 34-jährige Eutingerin nach eigenen Angaben schon längst akzeptiert, wenn es auch nicht immer einfach sei.

27.04.2016

Von Alexandra Feinler

Der große Moment für Meral Celik: Wie fühlt sich die neue Augenprothese an, die Ocularist Thomas Jung einsetzt.Bild: fei

Der große Moment für Meral Celik: Wie fühlt sich die neue Augenprothese an, die Ocularist Thomas Jung einsetzt.Bild: fei

Eutingen. So gut es geht, öffnet Meral Celik ihr rechtes Auge. Ocularist Thomas Jung setzt eine Art rosa Saugnapf an und holt damit die Augenprothese heraus. Heute bekommt die Eutingerin eine neue. Jährlich fährt sie zum Institut für künstliche Augen, der Ruth-Müller-Welt, nach Stuttgart. Umwelteinflüsse, die zersetzende Tränenflüssigkeit, die Beschaffenheit der Augenhöhle und weitere Faktoren können der Prothese aus Kryolith-Glas zusetzen, weiß Thomas Jung. Er öffnet eine Schublade mit Farbmustern, die nur vom Experten angefertigt und unterschieden werden können. Aus dieser sucht Jung die Prothese mit der passenden Farbe heraus, um sie der des gesunden Auges von Meral Celik anzugleichen.

Bei rund 470 Grad wird die Form des Kryolith-Glases bearbeitet, das am Ende aussieht wie die Kopie der Anatomie. Mit rotem Glas werden Adern rund um die Iris platziert, sodass die Prothese immer mehr dem gesunden Auge gleicht. Während Jung Fingerspitzengefühl walten lässt, unterhält sich Meral Celik mit ihrer Begleitung. „Meine ganze Familie war schon dabei. Es ist wirklich interessant“, erzählt sie mit einem Lächeln. Einfach sei die erste Begegnung beim Ocularisten nicht gewesen: Dort habe sie dabei zum ersten Mal nach ihrem Unfall in den Spiegel geschaut.

Der Unfall geschah im Dezember 2010 bei einer Familienfeier, als ein Kind ihr Auge verletzte. Sofort wurde sie mit dem Krankenwagen ins Freudenstädter Krankenhaus gebracht, wo sie an den Notdienst nach Altensteig verwiesen wurde und schließlich bei der Augenklinik in Tübingen landete. „Es hat nicht arg geblutet“, erinnert sich Meral Celik, die sich damals noch keine Sorgen um den Erhalt ihres rechten Auges gemacht hatte. Gleich am nächsten Tag wurde sie operiert, jedoch war der Augendruck entwichen und die Linse beschädigt. Bei der zweiten Operation versuchten die Ärzte mit einer speziellen Flüssigkeit das Auge zu füllen, blickt Celik auf die schlimmste Zeit ihres Leben zurück. Gefasst sagt sie heute: „Die Ärzte haben dann gesagt, dass sie nichts mehr machen können. Das Auge muss raus.“ Damals war sie gerade einmal 32 Jahre alt und wollte die Diagnose für ihr „gutes Auge“ mit einer Sehschwäche von -10 Dioptrien gegenüber dem linken mit -12,75 nicht wahrhaben. Auch Spezialisten in Frankfurt gaben ihr keine Hoffnung auf eine Heilungschance, und so ließ sich Meral Celik am 22. Februar 2012 operieren.

„Ich hatte so große Schmerzen, dass ich nicht mehr wollte“, erzählt sie, bewegt mit verzerrtem Gesicht, von den ersten Tage nach der Operation. Als Mensch mit Handicap, der schon als Kind zahlreiche Operationen und Behandlungen über sich ergehen lassen musste, sei sie Schmerzen gewohnt. Aber „dieser Schmerz war unbeschreiblich schlimm“. Denn der ging tief unter die Haut: „Es gehen dir 1000 Dinge durch den Kopf. Warum gerade ich? Wie komm ich damit klar?“

Zwei Wochen nach der Operation sei der Ocularist im Krankenhaus gewesen, der ihr die erste Augenprothese erstellte. „Ich habe in den Spiegel geschaut und gedacht: Wieso meint es das Schicksal so schlecht mit mir?“, zweifelte Meral Celik damals an allem. Obwohl sie schon viele Schicksalsschläge hinter sich hatte, war dieser doch der härteste in ihrem jungen Leben. „Ich habe jeden Tag geheult, mich geärgert und mit allem gekämpft. Das Schlimmste war, dass die Eltern des Kindes, das mein Auge verletzt hat, nie Kontakt zu mir aufgenommen haben“, sagt sie enttäuscht, „aber irgendwann habe ich das alles akzeptiert.“

Am Anfang habe sie Schwierigkeiten mit dem räumlichen Sehvermögen gehabt, da sie alles später erkannt habe, was sich von rechts näherte. „Ich bin jedes Mal erschrocken“, hält sie ihre rechte Hand neben das Auge und fährt mit dieser in den Sichtbereich, der knapp neben dem rechten Auge aufhört. Aufgrund ihrer Behinderung schulte die gelernte Kinderpflegerin und Industriekauffrau zur Telefonistin um. Den Beruf kann sie heute aufgrund ihrer Lungensarkoidose nicht ausüben, da sie auf eine Lungentransplantation wartet und nur noch mit einer Sauerstoffflasche das Haus verlassen kann. Trotz der vielen Schicksalsschläge lacht Meral Celik – was Thomas Jung gefällt: „Mit Ihnen kann man immer ein Späßchen machen“, setzt er die neue Glasprothese ein und hält ihr den Spiegel hin. Die aktuelle ist etwas größer als zuvor, weshalb er auf die Rückmeldung gespannt ist. „Sieht gut aus. Super“, lacht Meral Celik. Nach ein paar Rückfragen meint Jung: „Dann sehen wir uns wieder in einem Jahr…“

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Erstellt:
27.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 27.04.2016, 01:00 Uhr

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