Völkerversöhnung in den Schützengräben des Weltkriegs. Moralisch erhebend, künstlerisch zwiespältig.

Merry Christmas

Völkerversöhnung in den Schützengräben des Weltkriegs. Moralisch erhebend, künstlerisch zwiespältig.

24.11.2015

Von Uli Landthaler

Merry Christmas

Das Ereignis ist verbürgt. Im Dezember 1914 liegen sich an der Westfront deutsche, französische und britische Einheiten in ihren Schützengräben gegenüber. Ein erbarmungsloser Stellungskrieg, erst am Weihnachtstag schweigen die Waffen. Heiligabend im Schützengraben: Die Deutschen stellen Tannenbäumchen mit Kerzen auf, singen Weihnachtslieder. Unvermutet hören sie aus der Ferne, wie feindliche Soldaten auf das "Stille Nacht" einstimmen - der Anfang einer spektakulären Verbrüderung. Man wagt einen Blick aus dem Schützengraben, klettert heraus, geht aufeinander zu, redet miteinander, soweit es die Sprache zulässt. In den Offiziersunterkünften finden sich Whisky- und Champagnerrationen, mit denen auf das Fest angestoßen wird. Mehrere Tage geht das so, die Verbrüderung reicht bis zum gemeinsamen Gottesdienst und Fußballspiel.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass tatsächlich ein Soldatentenor, der seine Kameraden mit einem musikalischen Frontbesuch an Heiligabend aufmuntern will, der Impulsgeber für die Feier über Feindeslinien hinweg war. Aber dieser dramaturgische Kniff ist noch nachvollziehbar. Schließlich weiß man, dass auch Kriegsfilme ein individuelles Schicksal nachzeichnen müssen, um unter die Haut zu gehen.

Paradoxerweise ist "Merry Christmas" ein Beleg, dass auch das Gegenteil stimmen kann. Wenn sich die namenlosen Soldaten in ihren zerschlissenen Uniformen gegenüberstehen, wenn sich die verfeindeten Offiziere auf dem Schlachtfeld mit seinen schneebedeckten Leichen in die Augen schauen, dann ist das über lange Sequenzen großes, bewegendes Kino.

Vor allem Guillaume Canet als französischer Leutnant spielt unspektakulär und gerade deshalb so eindringlich den Menschen hinter dem Soldaten. Er und seine Leute versuchen rührend, sich in ihrem Schützengraben einzurichten. Sie schneiden sich gegenseitig die Haare, erzählen sich Geschichten von zuhause. Diese Szenen sind die Glanzpunkte des Films, der reportierend zwischen den Stellungen hin- und her wechselt und keinen Zweifel an seiner Position lässt, dass Feinde in Wahrheit Gleichgesinnte sind, die allesamt den Krieg hinter sich bringen und zur Familie zurückkehren möchten.

Er zeigt dabei aber auch Mentalitätsunterschiede. Daniel Brühl als deutscher Oberleutnant ist eine Juniorversion von Jürgen Prochnow in "Das Boot". Ein pragmatischer Technokrat, der den Waffenstillstand sogleich nutzen will, um die toten Soldaten vom Schlachtfeld zu bergen. Vielsagend die Szene, in der die Deutschen den französischen Leutnant zu einer Verabredung in der Hauptstadt nötigen wollen, "wenn wir Paris eingenommen haben". Die Antwort: "Sie müssen nicht erst Paris einnehmen, um mit mir ein Glas Wein zu trinken".

Sobald "Merry Christmas" näher auf das Lieben und Leiden seiner Hauptfiguren zoomt, stürzt der Film ins Kitschmilieu ab. Benno Fürmann als singender Soldat im Schützengraben mag als notwendiger dramaturgischer Fixpunkt noch angehen. Ein unsäglicher Fremdkörper ist jedoch seine Partnerin Anna (Diane Kruger), die ihm Regisseur und Autor Christian Carion an die Seite stellt. Die blonde Dänin folgt ihrem Helden sehnsuchtsvoll bis ans Schlachtfeld, schwebt wie eine singende Elfe durch die Handlung oder meistens nebenher und wirkt mit ihrer blonden Haarpracht auch unter Artilleriebeschuss wie frisch vom Stylisten. Wichtiges vorzubringen hat sie nicht, außer dass sie ihrem Liebhaber zu einer unglaubwürdigen Fahnenflucht über die feindlichen Linien überredet.

Mit der aufgepfropften Lovestory knickt die europäische Großproduktion am Ende doch vor den Regeln des Hollywood-Kinos ein, denen sie in weiten Teilen so tapfer widerstanden hat. Und untergräbt damit ein Stück weit ihre eigenen, hochgesteckten Ambitionen. Dennoch: Unter dem Strich bleibt eine anrührende Geschichtsstunde und ein zeitloses Plädoyer für Menschlichkeit und Zivilcourage übrig.