Ein Sammler fern der Heimatidylle

Mit Empathie und Emphase: Der Mössinger Museumsleiter Hermann Berner geht in den Ruhestand

Im Nichts fing er an. Weder hatte er eine Sammlung noch ein Museum. Die meiste Zeit war er unterwegs. Er suchte Gegenstände und ihre Geschichten.

24.11.2016

Von Susanne Wiedmann

Hermann Berner im ehemaligen Stoffvorführraum im Verwaltungsgebäude der Pausa. Bilder: Faden

Hermann Berner im ehemaligen Stoffvorführraum im Verwaltungsgebäude der Pausa. Bilder: Faden

„Anfangs bin ich aktiv auf die Leute zugegangen“, erinnert sich Hermann Berner. Aber manchmal, wenn er nach Objekten fragte, zögerten die Besitzer: Wenn das Ding für ein Museum interessant war, musste es wertvoll sein. Also behielten sie es lieber selbst. Es dauerte, bis die Mössinger ihm Sachen anvertrauten: „Mir wär’s recht, wenn Sie’s nemmet.“

Als Hermann Berner 1985 bei der Stadt Mössingen begann, hieß sein Arbeitsauftrag: eine Sammlung zur Mössinger Heimatgeschichte aufzubauen und ein Konzept für ein Museum zu entwickeln. Und das mit zunächst einer ABM-Stelle. Er hatte Soziologie, Empirische Kulturwissenschaften und Politik an der Universität Tübingen studiert und promoviert. Anschließend war er mit Forschungs- und Lehraufträgen beschäftigt. Als er zufällig die Annonce in der Zeitung las, hatte er gerade keine feste Stelle. Berner sprach beim damaligen Mössinger Bürgermeister Hans Auer vor, dann im Gemeinderat. Es gab noch einen zweiten Bewerber. Allerdings hatte Berner einen Heimvorteil. Er lebte seit einigen Jahren in Mössingen und kannte die Geschichte des Bauern- und Handwerkerdorfes. Sein Konkurrent war zwar spezialisiert auf die Museumsarbeit, allerdings: Er war auch ein Nordlicht. Damit konnte er in der schwäbischen Provinz nicht ausreichend punkten.

Zum Wegbereiter geworden

Aber fast hätte Hermann Berner wegen eines Fauxpas seinen Einstieg vermasselt. Nachdem er sich dem Gemeinderat vorgestellt hatte, hätte er vor der Saaltür warten müssen bis zur Entscheidung. Doch als man ihn hereinrufen und zum Sieger erklären wollte, war er längst zum Fußballtraining verschwunden.

Mehr als 30 Jahre später sitzt Hermann Berner mitten in der Ausstellung zur Geschichte der Mössinger Trink- und Wirtshauskultur. Sein dunkler Vollbart hat sich mittlerweile grau gefärbt, er trägt Jeans, aber oft traf man ihn in der Kulturscheune in schwarzen Lederhosen und Cowboystiefeln an. Seit 2002 haben die Wechselausstellungen hier ihren Platz. „Das ist die kleine Lösung“, sagt Berner. Denn eigentlich blieb er in all den Jahren ein Museumsleiter ohne Heimatmuseum. „Mittlerweile bin ich ja schon wieder zum Wegbereiter geworden“, meint der 65-Jährige. Denn immer weniger Museen würden heutzutage auf eine heimatkundliche Dauerausstellung setzen. Im Gegensatz zu damals: „Es war die Zeit des Umbruchs im Museumswesen. Auch kleinere Städte haben versucht, ein Museum aufzubauen.“ Und trotzdem bedauert er, dass er nie eine festen Ort hatte, um – vor allem die politische – Stadtgeschichte darzustellen. „Das hätte ich mir schon gewünscht.“ Immerhin hat er darauf hingesammelt. Zwei Generalstreik-Ausstellungen hat Berner zusammengestellt: Zum 70. und 80. Jahrestag. „Die erste war problemlos, es gab nur Beifall“, betont er. Doch 2013 entzündete sich der Streit um den Streik. Berner sagt: „Die besondere linke Geschichte ist manchen Mössingern ein rotes Tuch.“

Nie wollte er jedoch ein Sammelsurium vom Dreschschlegel bis zum Häkeldeckchen ausstellen. Als Sozialwissenschaftler war ihm stets wichtig, keine Heimatidylle auszubreiten. Seine Ausstellungen drehten sich um Personen, ihre Geschichte und Geschichten.

Drei Jahre nachdem er bei der Stadtverwaltung begonnen hatte, organiserte er eine erste Ausstellung im Rathausfoyer über die Mössinger Rechenmacher. „Das kam mords an“, sagt er rückblickend. Anschließend folgten Präsentationen zu den Mössinger Schnapsbrennern, Korbmachern, Schuhmachern. Als das Land einmal Fördergelder ankündigte für Ausstellungen über die Begegnung mit dem Fremden – und dabei wohl an Flüchtlinge dachte, wie Berner vermutet –, hatte er eine pfiffige Idee. Er veranschaulichte „das Fremde bei uns“: geteilte Häuser wie das Mössinger Amtshaus, Nachbarn als Fremde oder die Beuremer Elsa als Grenzgängerin. Und was passierte? Er erhielt den höchsten Landeszuschuss.

Als Ort für ein künftiges Heimatmuseum war das alte E-Werk angedacht. Und Berner hatte bereits eine Konzeption zusammengestellt. „Vom Gelände her hätte man tolle Sachen machen können. Aber Fifka wollte es nicht“, sagt Berner. Fehlende finanzielle Mittel wurden von der Stadtverwaltung als Grund genannt. Jedenfalls setzte der Bürgermeister bereits in den 1990er Jahren auf „das dezentrale Museumskonzept“. Infolgedessen wurden die Messerschmiede 2011 und das Rechenmacherhaus 2013 als historische Originalschauplätze museumsgerecht eingerichtet. Die beiden Häuser werden gut besucht und von Ehrenamtlichen betreut.

Sein Mössinger Arbeitsleben betrieb Hermann Berner, wie er sagt, „mit wechselnder Intensität“: Mit 35 Wochenstunden hat er begonnen, anschließend erhielt er eine halbe Stelle, dann reduzierte er auf zehn Wochenstunden, weil er eine halbe Stelle als Soziologe hatte, später war es wieder eine halbe Museumsstelle, zuletzt 30 Wochenstunden. Zudem arbeiten zwei wissenschaftliche Hilfskräfte in der Inventarisierung.

Die Arbeit türmte sich oft auf seinem Schreibtisch: Neben dem Alltagsgeschäft organisierte und kuratierte er insgesamt nicht nur 25 Ausstellungen. Er recherchierte und veröffentlichte zudem kulturgeschichtliche Bücher über Mössingen. „Ich bin jemand, der sich gerne auf mehrere Sachen gleichzeitig konzentriert. Manchmal ist das brutal anstrengend.“ Trotzdem war er 20 Jahre lang auch noch Sprecher des Arbeitskreises „Wissenschaftler im Museum“ des Museumsverbandes Baden-Württemberg. „Er ist wichtig für Leute, die wie ich vereinzelt in Kleinstädten sitzen, um sich mit Kollegen auszutauschen.“

Bis heute hat der Museumsleiter rund 40 000 Objekte, Alltagsgegenstände früherer Zeiten, gesammelt, die im Stotzenhof und in der Pausa lagern und zu Ausstellungen abwechselnd herausgekramt wurden. Apropos Pausa: Als die Stadt im Jahr 2006 die ehemalige Textildruckfabrik und ihre europaweit, wenn nicht weltweit, einzigartige Stoffsammlung erwarb, kam für Hermann Berner ein immenses Aufgabenfeld hinzu. Er war es nämlich, der den Wert der Stoffsammlung erkannte, als zunächst nur die Gebäude des Architekten Manfred Lehmbruck als schützenswert galten. „Guckt mal nach den Stoffen!“, forderte er, bis das Ensemble samt Stoffsammlung unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Die Zukunft im Blick

Mit viel Empathie und Emphase engagierte er sich in der Pausa, forschte zur Firmengeschichte, zu Designern und Künstlern, interviewte ehemalige Pausaner, publizierte, führte durch die historischen Räume, beantwortete Anfragen aus aller Welt, organisierte Ausstellungen wie „Werk.Stoff. Andreas Felger – Das Textile in der Kunst“, die im vergangenen Jahr in nur drei Monaten 4000 Besucher anzog. Ebensoviel Publikum strömte zur Präsentation „Schönheit im Raum“, nachdem große Bestände von Textilmustern und Entwürfen dank der Wüstenrot-Stiftung, der Kulturstiftung und der Denkmalstiftung inventarisiert und restauriert wurden.

Hermann Berner grub in der Vergangenheit, verlor die Zukunft der Pausa aber nie aus dem Blick. Längst schon hat er ein Grobkonzept für ein Textilmuseum erarbeitet. „Es ist ein riesiges Potenzial da.“ Ein Pausa-Museum war sein großes Ziel, nun ist es das Erbe für die Nachfolgerin oder den Nachfolger. „Generalstreik und Pausa sind zwei herausragende Themen in Mössingen.“

Nächsten Mittwoch ist sein letzter Arbeitstag. Künftig wird er sich wieder mehr der Soziologie widmen, über den Fußballplatz spurten und sein Motorrad antreiben. Hermann Berner kann loslassen. Er sieht das Ende als Mössinger Museumsleiter pragmatisch: „Es gibt immer wieder neue Lebensphasen. Es ist doch nicht so, dass man nichts anderes machen könnte.“

Schlüsselbund der Pausa. Aber nur einer unter mehreren.

Schlüsselbund der Pausa. Aber nur einer unter mehreren.

Die Nachfolge ist noch offen

Die Stelle der Museumsleitung wird einige Zeit vakant sein. Sie war erst Ende September ausgeschrieben worden. Die Bewerbungsfrist ist am 23. Oktober abgelaufen. Wieviele Bewerbungen im Rathaus eingegangen sind, wollte man dort auf TAGBLATT-Nachfrage nicht preisgeben. Nur so viel: Mit der Entscheidung sei Mitte Dezemberzu rechnen. Die Stelle wird auf 100 Prozent aufgestockt. Dieser Leitungsstelle wird auch das Archiv zugeordnet. Die halbe Archivstelle wird beibehalten. Zudem soll im Museum eine zusätzliche 50-Prozent-Stelle geschaffen werden.