Erziehung

Kinder und Computerspiele: mit dem Router ins Bett

„Nur noch das Spiel . . .“ – Viele Eltern sind ratlos, wenn ihre Kinder kein Ende am Computer finden. Tipps zur Konfliktlösung und Medienkompetenz.

27.11.2021

Von epd

Kein Blick mehr für die Umgebung: Stundenlanges Surfen im Netz kann problematisch werden. Foto: Anke Bingel/dpa

Kein Blick mehr für die Umgebung: Stundenlanges Surfen im Netz kann problematisch werden. Foto: Anke Bingel/dpa

Endloses Surfen auf Instagram, Spielen mit Fortnite bis in den frühen Morgen, zeitlich grenzenlose Whatsapp-Runden: Fast alle Eltern, die sich an diesem Abend im Bremer Kulturzentrum „Lagerhaus“ zu Wort melden, berichten von heftigen Konflikten mit ihren Kindern, was die Nutzung digitaler Medien angeht. „Ich kann meine Kinder doch nicht 24 Stunden lang kontrollieren, lässt sich da was blocken?“, fragt ein Vater mit verzweifeltem Unterton. Und eine Mutter berichtet, ihr 13-jähriger Sohn ziehe sich mit dem Tablet zurück und mache die Tür seines Zimmers hinter sich zu: „Dann sehen wir nichts mehr von ihm.“

Zu diesem Abend hat das Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen in Zusammenarbeit mit der Bremischen Landesmedienanstalt eingeladen. Das große Thema in den kommenden zwei Stunden ist die Medienkompetenz der Eltern. „Facebook, Instagram, Tiktok: Alles, was für die Kids völlig normal ist, ist für viele Eltern Neuland“, sagt der Bremer Medienpädagoge Markus Gerstmann, der durch den Abend führt.

Für noch mehr Zündstoff sorgen in dieser Situation die rund 100 000 iPads, mit denen die Bildungsbehörde in der Hansestadt – angefeuert durch den Distanzunterricht in der Corona-Pandemie – alle Schüler und Lehrkräfte in den vergangenen Monaten ausgestattet hat. Damit ist Bremen im Vergleich zu den anderen Bundesländern Spitze. Doch die Sache hat auch einen Haken, denn viele Kinder knacken auf den Geräten kreativ Nutzungsbeschränkungen und Jugendschutzprogramme.

„Die Pandemie war in vielerlei Hinsicht ein Booster für die Digitalisierung, nicht nur für die Chancen, sondern auch für die Risiken“, meint Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt. Ja, sie kenne Eltern, „die ernsthaft den Router abends mit ins Bett nehmen, damit die Kinder nachts mal nicht online an der Konsole spielen“. Wie es anders gehen könnte, das will die Landesmedienanstalt über die Elternabende vermitteln, denn oft sind die Kinder digital fitter als ihre Eltern.

Das Projekt ist ein echter Dauerbrenner, die Elternabende seit Jahren gut gebucht. „Völlig sicher ist nix“, meint Gerstmann, sagt aber auch: „Keine Panik.“ Er wirbt dafür, mit den Kindern offen über Gefahren zu reden, ihnen zu vertrauen und Nutzungszeiten auszuhandeln, etwa über Verträge, die im Netz als Vorlage online verfügbar sind (www.mediennutzungsvertrag.de). Und natürlich: „Mediennutzung ist immer Vorbildsache.“ Väter und Mütter, die bis in die tiefe Nacht vor dem Fernseher säßen, bräuchten sich nicht zu wundern, wenn der Nachwuchs auch kein Ende finde.

Die Frage, ob Kinder Tablets nutzen sollten, stelle sich gar nicht mehr, sagt der Bonner Suchttherapeut und Social-Media-Berater Benjamin Wockenfuß. Sie gehörten mittlerweile fest zu ihrer Lebenswelt. „Deshalb brauchen wir eine digitale Balance: Wir müssen den richtigen Umgang mit digitalen Medien finden und fördern.“ Wenn sie als Alltagswerkzeug genutzt würden, verlören sie den Nimbus des Exklusiven. „Das hilft, damit Kinder nicht gebannt vor dem Tablet hängen und weckt das Verständnis, dass digitale Medien keine Zauberwelt sind.“

„Was verboten ist, ist erst recht interessant“, betont der Bremer Medienpädagoge Gerstmann, der wenig mit der Position des Hannoverschen Experten Christoph Möller anfangen kann. Der Chefarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover widerspricht der allgemein vorherrschenden Auffassung, dass digitale Medien Lernprozesse entscheidend unterstützen könnten. Im Gegenteil lenke die Einbindung von Smartphones und Tablets im Unterricht ab und stehe einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Lernstoff eher im Wege, warnt er vor möglichen Gefahren.

„Die ‚Bravo‘ der 80er und 90er Jahre ist das Tiktok von heute“, sagt Direktorin Cornelia Holsten. Und damit Eltern diese Welten verstehen, „wäre es schlau, sich das mal anzuschauen – und eben nicht dem Impuls zu folgen: kenn ich nicht, mag ich nicht, brauch ich nicht“. Wie Gerstmann plädiert sie dafür, mit dem Nachwuchs im Dialog zu Do’s and Don’ts zu bleiben, im Zweifel jeden Tag. „Das“, sagt Gerstmann, „ist ein nerviger Aushandlungsprozess, der nie aufhört“.

Pandemie treibt Nutzung an

Dass die Corona-Pandemie die Attraktivität digitaler Medien bei Heranwachsenden 2020 kräftig in die Höhe getrieben hat, bestätigt die jüngste JIM-Studie (Jugend, Information, Medien): Die tägliche Internetnutzungsdauer stieg nach der eigenen Einschätzung der Befragten von 205 Minuten pro Tag im Vorjahr auf 258 Minuten, meist zur Unterhaltung und in sozialen Netzwerken.

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Erstellt:
27.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 10sec
zuletzt aktualisiert: 27.11.2021, 06:00 Uhr

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