Mit dem richtigen Biss

Stuttgart. Der Vampir streckt seine Hand nach der jungen Frau im roten Kleid aus. Ohne zu zögern legt Sarah ihre Hand in seine. In einer aggressiven Bewegung zieht er sie an seine Brust. Graf von Krolock entblößt seine langen Fangzähne und rammt sie in ihre Kehle. „Stopp! Thank you“, ruft der Regisseur Cornelius Baltus und unterbricht die Musical-Probe im Tanzsaal.

Mit dem Biss beginnt die totale Finsternis für Sarah. Gleichzeitig soll das Drama um die Nachtgestalten die Musical-Szene in Stuttgart zurück ins Rampenlicht holen. Mit dem Musical „Tanz der Vampire“ will sich das Stage Palladium Theater Stuttgart aus der Corona-Gruft retten. Ursula Neuß, die Geschäftsführerin des Musical-Unternehmens „Stage Entertainment Germany“, hat der durch die Pandemie verursachte Stillstand hart getroffen „Wir legen seit anderthalb Jahren drauf.“

Stage Entertainment ist einer der größten deutschen Musical-Produzenten, der neben zwei Häusern in Stuttgart fünf weitere in Hamburg und zwei in Berlin betreibt. Vom Staat habe die Firma Zuschüsse erhalten, anfangs 180 000 Euro Soforthilfe in Hamburg, im Moment kämen weitere 100 000 Euro pro Theater dazu. Außerdem habe „ein riesiger Batzen aus dem Kurzarbeitergeld“ geholfen. Das Unternehmen habe sich von 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung getrennt. „Das war ein schmerzhafter Einschnitt. Mehr geht jetzt auch nicht“, sagt Neuß. Die Umsatzverluste in Millionenhöhe habe all das aber nicht ausgeglichen.

Nicht an der Kunst gespart

Nicht gespart habe das Unternehmen dagegen an kreativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Das ist das, womit wir zaubern, womit wir Geld verdienen wollen.“ An keiner Stelle habe man Investitionen in neue Produktionen gestoppt. Mit ebendiesen soll die Stuttgarter Musicalwelt jetzt auferstehen.

Am 5. Oktober lecken zuerst die Vampire Blut und feiern Premiere. Cornelius Baltus, der das Kult-Musical 2000 nach Deutschland holte, führt auch jetzt Regie. Einige Dinge hat er verändert, auch wegen Corona. „Wenn man die Show kennt, weiß man: eine Erfolgsquote ist, wie die Vampire rein- und rausmarschieren“, sagt Baltus bei der Probe. Dennoch muss auch hier dem Virus Tribut gezollt werden: Der Marsch der Vampire durch das Publikum entfällt. Für Baltus auch positiv: „Wir haben neue Lösungen gefunden.“ Die aber will er noch nicht verraten.

„Immer in Bewegung bleiben“, ist seine Philosophie. Keine Vorstellung soll der anderen gleichen. Somit wollte Baltus das Musical auch „im Klang modernisieren.“ Das möchte er unter anderem mit dem Hauptdarsteller Filippo Strocchi schaffen, der dem Grafen von Krolock seine Pop-Rock-Stimme leiht und den mächtigen Blutsauger bereits von 2019 bis 2020 in Oberhausen verkörperte. Der 39-jährige Italiener ist nicht das einzige bekannte Gesicht: Diana Schnierer spielte 2017 in Wien und 2019 in Oberhausen schon die Sarah, und Raphael Groß verkörperte 2016, 2017 und 2019 den schüchternen Vampirjäger Alfred.

Der Erfolg von Tanz der Vampire, ist sich Baltus sicher, „it's the actors!“ Zu deren Schutz werde während der Aufführungen versucht, in zwei Welten zu spielen: In der einen befindet sich der Cast, in der anderen das Publikum. „Die Darsteller werden täglich getestet“, sagt Ursula Neuß. Für das Publikum gelten Kontaktnachverfolgung, 3G-Nachweis und Maskenpflicht. So sollen 100 Prozent der Sitze gefüllt werden. Eine spezielle Belüftung im Zuschauerraum verringere das Ansteckungsrisiko zusätzlich.

Viele Menschen scheuten sich noch, ins Theater zu gehen, meint Neuß. Tanzende Vampire, Alfred beim Kampf um die Rettung seiner heimlichen Liebe zu beobachten und Zeuge zu sein, wie Sarah dem Vampir-Grafen verfällt. „Ich glaube es ist das persönliche Erleben, das einen zurückbringt“, sagt sie. Was die Vampire angeht, so wird bei der Probe klar: Nach über einem Jahr ohne Bühne sind sie durstig – durstig nach Auftritten und Applaus.