Horb·Schmelztiegel Horb

Mit den Schwaben großgeworden

Seit 2001 lebt die Venezolanerin Liza Cortez in Horb. Sie fühlt sich wohl und gut integriert – nur an das deutsche Wetter kann sie sich nicht gewöhnen.

13.04.2019

Von Philipp Koebnik

Liza Cortez würde nach Venezuela zurückkehren, wenn sich die Situation dort bessert. Bild: Karl-Heinz Kuball

Liza Cortez würde nach Venezuela zurückkehren, wenn sich die Situation dort bessert. Bild: Karl-Heinz Kuball

Tanzen ist Liza Cortez’ große Leidenschaft. Gerne feiert sie bei den regelmäßigen Latino-Partys im Horber Kulturhaus Kloster. Und immer dienstags und sonntags gibt die sportliche Venezolanerin dort Zumba-Kurse. Dabei handelt es sich um ein Fitness-Konzept, das in den 1990er-Jahren in Kolumbien entstand und Aerobic mit lateinamerikanischen sowie internationalen Tänzen kombiniert. „Ich tanze sehr, sehr gerne“, sagt die 46-Jährige, „aber nicht nur zu Latino-Musik, auch zu Techno“.

Die Zumba-Kurse sind vor allem ein Hobby. Ihren Lebensunterhalt verdient Cortez als Mitarbeiterin in der Logistikabteilung eines Glatter Unternehmens. Während ihr älterer, 22-jähriger Sohn bereits eine eigene Wohnung hat, lebt ihr 14-jähriger Sohn noch zu Hause. Die beiden wohnen auf dem Hohenberg, gemeinsam mit einem von Cortez’ Brüdern. Insgesamt hat sie acht Geschwister, die auf der ganzen Welt verstreut leben: Zwei Brüder hat es nach Panama verschlagen, zwei Schwestern leben in Italien, eine Schwester in Brasilien, und die übrigen zwei Schwestern in Venezuela. Cortez’ Mutter hat mehr als 20 Enkelkinder und inzwischen auch drei Urenkel. „Wir sind eine riesengroße Familie.“

Die seit Jahren schwierige Lage in dem südamerikanischen Land ist der Grund dafür, dass ein Großteil der Familie heute woanders lebt. Cortez verfolgt die Entwicklungen in Venezuela mit Sorge. Sie war zuletzt 2011 dort und besuchte ihre Eltern. „Es tut mir weh, dass es in einem eigentlich reichen Land so viel Armut gibt“, sagt Cortez. Ob es unter einem Präsidenten Juan Guaidó besser werden würde? „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Jedoch: „Es werden noch viele Leute ums Leben kommen“, ist sie überzeugt.

Sie selbst hat Venezuela indes nicht aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen verlassen. „Ich war happy zu Hause“, betont sie. Cortez lebte seinerzeit auf der Isla Margarita. Die karibische Insel hat rund 450000 Einwohner. Dort hatte sie einen Horber kennengelernt, dem sie schließlich in die kleine Stadt am Neckar folgte.

Die Ehe, die daraus entstand, ist inzwischen geschieden. Aber Cortez blieb in Horb. Sie fühle sich „sehr gut integriert“, betont sie. „Die Menschen in Deutschland sind für mich wie ein zweites Zuhause.“ Manchmal dauere es ein bisschen, bis man in Kontakt komme, doch habe sie die Erfahrung gemacht: „Wenn man ehrlich ist, öffnen sich die Leute.“

Unter ihren Freunden und Bekannten sind einige Leute aus Lateinamerika, aber auch Deutsche. Eine ihrer beiden besten Freundinnen ist Deutsche, die andere Argentinierin. Und auch wenn sie schon Ende 20 war, als sie nach Horb kam, sei sie doch gleichsam „mit den Schwaben großgeworden“, wie sie lächelnd sagt.

Dabei konnte sie praktisch kein Wort Deutsch, als sie hierher kam. Die Sprache eignete sie sich bei Gesprächen auf der Straße oder im Supermarkt. Erst 2009 besuchte sie einen Deutschkurs – und schloss ihn sogleich als Klassenbeste ab.

Einen Tag für eine Maß

Einiges von dem, was als typisch deutsch gilt, lernte Cortez in den vergangenen Jahren zu schätzen. Die hiesige Ordentlichkeit mag sie. Vorbildlich findet sie auch das System der Mülltrennung und Recyclings. Davon könnten sich viele andere Länder eine Scheibe abschneiden, lobt Cortez. „Mir gefällt die deutsche Kultur.“ Allerdings: So viel trinken wie die Deutschen könne sie nicht. Als sie vor einigen Jahren mal auf dem Cannstatter Wasen war, habe sie den ganzen Tag gebraucht, um ihre Maß leerzukriegen, erzählt sie lachend.

Was das Essen angeht, bleibt Cortez ihrer Heimat treu. Sie koche vor allem südamerikanische Gerichte. Die venezolanische Kulinarik vermittelt sie auch gerne den Horbern. Im vergangenen Jahr betreute Cortez auf dem Fest der Kulturen einen eigenen Stand, an dem sie venezolanisches Essen und Getränke verkaufte: Arepas (runde Maisfladen), Papelón con limón (ein Erfrischungsgetränk aus Limonensaft, Wasser und Zuckerrohrsaft) sowie die in ganz Lateinamerika verbreiteten Empanadas (gefüllte Teigtaschen).

Fasnet ja, Sauerkraut nein

Aber auch schwäbische beziehungsweise deutsche Gerichte schmecken ihr. Kässpätzle, Braten, Knödel – das mag sie alles. Schlachtplatte hingegen ist nicht so ihre Sache, obwohl es etwas ähnliches auch in Venezuela gibt. Und richtig grässlich finde sie Sauerkraut, sagt Cortez und lacht. Die 46-Jährige lacht überhaupt sehr viel und gerne. Ist die Fasnet dann nicht genau das Richtige für sie? Nicht so ganz, wie sie sagt. In den ersten Jahren in Horb habe sie sich die Umzüge stets gerne angeschaut. Doch irgendwann dachte sie: Das ist ja immer das Gleiche. Deshalb verzichtet sie inzwischen darauf. Allerdings: Das Feiern am Abend, nach dem Umzug, das lasse sie sich nicht entgehen: „Wenn die Party beginnt, bin ich dabei“, betont sie. Und lacht.

Bei aller Sympathie für ihre nicht mehr ganz so neue Heimat fühlt sich Cortez jedoch nicht als Deutsche: „Ich habe mich integriert, aber ich bin immer noch Venezolanerin“, sagt sie und lacht. Wäre die Situation in Venezuela eine andere, mit mehr Sicherheit und wirtschaftlicher Prosperität, würde sie gerne zurückkehren, wie sie freimütig einräumt. Zumal sie das Wetter in Deutschland gar nicht mag. Viel zu kalt sei es hierzulande: „Ich bin schon lange hier, aber daran gewöhne ich mich nicht“, sagt sie lachend. Schließlich sei es doch herrlich, praktisch jeden Tag in T-Shirt, kurzer Hose oder Rock rausgehen zu können. Nun ja, wer wollte ihr da widersprechen?

Zur Serie

Aus mehr als 80 Nationen kommen die Einwohner Horbs: In der Serie Horber Schmelztiegel kommen sie zu Wort und berichten darüber, Wie sie in Horb gelandet sind, wie sie ihre Kultur hier ausleben und welchen Einfluss die deutsche Kultur auf sie und ihre Verwandten genommen hat.

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Erstellt:
13.04.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 50sec
zuletzt aktualisiert: 13.04.2019, 01:00 Uhr

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