Zuwanderung

Mit den gesammelten Ideen geht es jetzt in die Gremien

Das 6. Rottenburger Integrationsforum entwickelte Ideen, wie sich Vereine und Initiativen interkulturell öffnen können

28.11.2016

Von Fred Keicher

Zielvorstellungen auf der Pinnwand fixiert. Bild: Stadtverwaltung

Zielvorstellungen auf der Pinnwand fixiert. Bild: Stadtverwaltung

Am Ende formulierte Klaus Maier, der Vorsitzende des Turnvereins, ein utopisches Ziel: „Dass wir in zwei Jahren das Integrationsforum nicht mehr brauchen.“ Mit irgendwann in den nächsten Jahren wäre er auch zufrieden. Da hatte das 6. Rottenburger Integrationsforum am Samstag in der Mensa des Paul-Klee-Gymnasiums nach sehr gut strukturierter Arbeit die Fragen abgearbeitet: Wo stehen wir? Was sind die Ziele? Wie erreichen wir das? Auf den Pinnwänden sammelten sich Zettel mit Ideen, die jetzt in die Gremien gehen.

Über 60 Diskutanten waren gekommen, darunter alle drei Bürgermeister. OB Stephan Neher fiel durch präzise Nachfragen auf. Anfangs hatte er für Heiterkeit gesorgt, als er von einem Flüchtling erzählte der in einem Dorfverein Fußball spielt, aber unzufrieden ist. Das sei nicht sein Niveau. „Unter den Flüchtlingen gibt es Talente zu entdecken“, sagte der OB. Wie sich Vereine erfolgreich öffnen, darüber referierten der Diplom-Sportler Torsten Schnittker von Landessportverband Baden-Württemberg und der Sportsoziologe David Scholz vom Württembergischen Landessportbund. „Sport per se ist nicht integrativ“, warnte Schnittker. Da müsse man sich nur mal die Spiele in der Kreisklasse anschauen. Auf die Idee ein Programm „Integration durch Sport“ aufzulegen, sei zuerst der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble gekommen angesichts der Spätaussiedler Ende der 1980er Jahre. Man hatte also Zeit, Illusionen abzubauen, als man dieses Jahr das Programm für Flüchtlinge öffnete. Sport habe positive Effekte, weil der Umgang mit Misserfolg und Konflikten gelernt werde und die Eingliederung in hierarchische Strukturen.

Auch Vereine müssten lernen. Sie sollten sich kritisch von außen betrachten. Sie könnten andere Sportarten anbieten. Schnittker nannte Gorodki und Sambo, die unter russischstämmigen Aussiedlern populär seien, oder Kricket. Vor allem müsse den Flüchtlingen das System des deutschen Sportvereins erklärt werden. David Scholz beschrieb Hilfen für Flüchtlinge von ermäßigten Mitgliedsbeiträgen bis zum Versicherungsschutz.

Wie es in Rottenburg aussieht, wollte die städtische Integrationsbeauftragte Ourania Kougioumtzidou von ihren Interviewpartnern wissen. Klaus Maier bedauerte, dass sein TVR keinen Fußball anbiete: „Da hat man’s leichter.“ TVR-Abteilungsleiter Faustball Egon Hartrampf erzählte begeistert, dass er schon drei arabische Wörter kenne: das für schneller, das für langsamer und besonders das für Geduld.

Vor fast drei Jahren sind sie aus Gambia nach Rottenburg gekommen: Koro Kebbe, Kemo Jabbi und Seikou Suwareh. Weil es ihm langweilig war, ging Jabbi hinüber nach Kiebingen und hat gefragt ob mit Fußball spielen könne. Jetzt kennt er dort Leute und wird eingeladen. Nur seinen Trainer verstehe er nicht, der spreche „Hochschwäbisch“. Koro Kebbe ging zum FC Rottenburg, will aber im nächsten Jahr zur Eintracht wechseln. Da lachten seine Zuhörer.

Mit Blockflötenunterricht in der Schule haben die Schwestern Nesrin (15) und Sila (13) Cirak aus Seebronn angefangen. Jetzt spielt die eine Klarinette beim Seebronner Musikverein, die andere Tenorhorn – mal Fasnetsmusik, mal Weihnachtslieder. Zum türkischen Folkloretanz gehen die beiden nach Herrenberg. Als Brückenbauerinnen nehmen sie ihre Seebronner Freunde mit.

Seit anderthalb Jahren ist Reinhard Kilian Ehrenmitglied beim Chor Drushba. Weil er zwei russische Lieder (Kalinka, Moskauer Nächte) auf Deutsch singen kann, vermutete er. Oksana Kanzler stellte den Verein vor, der die russische Folklore pflegt. OB Neher fragte, weshalb sie einen eigenen Verein gegründet hätten. Er könne sich den Drushba als Abteilung eines Gesangvereins vorstellen. Kanzler erwiderte: „Wir sind speziell, wir singen und wir tanzen.“

Geduld hatte Jürgen Zeeb: „Ich bin vor 50 Jahren aus dem Ammertal nach Rottenburg emigriert, jetzt bin ich auch integriert.“ Er ist Mitglied der Marinekameradschaft und singt im Shanty-Chor. Dort treffen sich viele seefahrende Nationen, Italiener etwa und Griechen.

Bei der Schlussrunde wurde viel über Kommunikation geredet, aber auch, dass man Angebote zusammenführen müsse: „Nicht jeder braucht ein Asylcafé.“ Die Umbenennung der Weihnachtsfeier in Winterfeier wurde abgelehnt, Schnittker hatte diesen Vorschlag gemacht. Eine Frau mit Migrationshintergrund sagte: „In diesem Land muss eine Weihnachtsfeier Weihnachtsfeier heißen und Zuckerfest Zuckerfest.“