„Ein Netz, das uns auffängt“

Mitarbeiterin meldet sich: Vorwürfe gegen Bruderhaus Diakonie nach Messerattacke haltlos

Ein Mann geht mit dem Messer auf einen anderen los. Es werden Vorwürfe laut: Hätte die Tat verhindert werden können? Denn der Täter war in psychischer Behandlung und wurde von der Bruderhaus Diakonie in Horb ambulant betreut. Doch das greift zu kurz: Der Täter war voll geschäftsfähig, eine Zwangseinweisung ohne den Willen des Betroffenen ist nicht möglich. Eine ehemalige Klientin des Bruderhauses nimmt die Einrichtung in Schutz.

09.03.2016

Von dagmar stepper

Horb. Die Messerattacke am 1. März in Horb war tagelang Stadtgespräch. Am frühen Nachmittag hatte ein 36-Jährige im Eingangsbereich des Kauflands auf einen 37-Jährigen eingestochen und ihn lebensgefährlich verletzt. Das Opfer wurde mit dem Hubschrauber in die Klinik geflogen. Der Mann überlebte, ist auf dem Weg der Besserung. Der Täter wurde in eine psychische Fachklinik eingewiesen. Nach dem Angriff sickerten Einzelheiten durch: Opfer und Täter haben sich gekannt. Der Täter ist wegen Körperverletzung vorbestraft und bei der Bruderhaus Diakonie in Horb wegen seiner psychischer Erkrankung in ambulanter Behandlung.

Die Wellen schlagen hoch. In Leserbriefen, in den sozialen Netzwerken und auf der Straße wird der Fall heftig diskutiert. Der vorherrschende Tenor: Das hätte verhindert werden können. Vor allem auf die Bruderhaus Diakonie hagelt es Vorwürfe. Dr. Ulrich Wiedemann aus Eutingen spricht in seinem Leserbrief von „Versagen“. Die Vergangenheit des Täters wird aufgegriffen und die Frage gestellt: Warum durfte er sich frei in Horb bewegen?

Von Bruderhaus-Seite wird eins klar gestellt: „Wie leisten eine ambulante Betreuung. Wir sind nicht der gesetzliche Betreuer“, betont Sabine Steininger, Leitung Stiftungsmanagement Kommunikation. Der 36-Jährige sei voll geschäftsfähig und habe bislang für sich selbst entschieden. Die Bruderhaus Diakonie sei fast täglich in der von vier Klienten bewohnten Wohnung in Horb. Damit wird mehr geleistet als die zwei bis drei vorgesehenen Besuche. „Wir haben die Betreuung sichergestellt, für die wir den Auftrag bekommen haben“, sagt Steininger weiter. Mehr möchte sie zu dem Fall nicht sagen: „Ich bitte um Verständnis, dass die Bruderhaus Diakonie keine Details zu Klienten herausgeben darf. Auch steht es uns nicht zu, Stellungnahmen außerhalb unseres Auftrags abzugeben“, schreibt sie in einer E-Mail. Für weitere Auskünfte verweist sie auf das Landratsamt Freudenstadt, das als Kostenträger die Entscheidungen trifft.

Das Kreissozialamt zahlt die Hilfe für die Eingliederung von Menschen mit Behinderung. „Dazu gehören auch psychische Erkrankungen“, sagt Landratsamts-Sprecherin Sabine Eisele. Die Hilfe kann ambulant oder stationär gewährt werden. Das Angebot an Leistungen wird beim Gespräch mit den Betroffenen festgelegt. „Ob eine Person ambulant oder stationär untergebracht wird, ist stets eine fachliche und rechtliche Entscheidung, die nicht von den Unterbringungskosten abhängig gemacht werden kann“, betont sie. Eisele bezieht Stellung zu Vorwürfen, dass hier an falscher Stelle gespart werde. Auch Beschwerden von Anwohnern würden ernst genommen und – wenn notwendig – in strikte Verhaltensregeln münden. Wichtig bei der ganzen Sache, so Eisele: „Eine Zwangseinweisung gegen den erklärten Willen des Betroffenen ohne unmittelbare konkrete Gründe ist in einem Rechtsstaat nicht möglich.“ (Siehe Infokasten)

Zu der rechtlichen Seite gesellt sich eine menschliche: die pauschale Verurteilung von psychisch kranken Menschen. Daran erinnert Claudia Haas. Die ganzen Diskussionen und Kommentare in der Zeitung und auf Facebook hat sie dazu bewogen, zu uns in die Redaktion zu kommen. Sie kennt die Bruderhaus Diakonie, war selbst Klientin, arbeitet nun in der Werkstatt. Sie sei selbst psychisch erkrankt und wird zwei Mal in der Woche ambulant betreut. „Ich glaube nicht, dass die Bruderhaus Diakonie die Tat hätte verhindern können“, sagt die 42-Jährige. „Dazu hätte der Täter 24 Stunden am Tag bewacht werden müssen und ich finde nicht, dass man jemanden generell einfach wegsperren darf.“ Das Opfer tut ihr leid, sie wünscht ihm gute Besserung. Dennoch warnt sie vor der Stigmatisierung von psychisch Kranken: „Wenn man sagt, dass man psychisch krank ist, läuft man Gefahr, dass die Menschen sich vor einem fürchten und uns am liebsten verschlossen weit weg sehen würden.“ Das sei aber finsteres Mittelalter. Es stört sie ebenfalls, dass der geplante Neubau der Bruderhaus Diakonie auf dem Horber Hohenberg für körperliche und geistig Behinderte nun ebenfalls in Misskredit geraten ist. „Viele von uns haben viel mehr Achtung und sind im Umgang mit anderen Menschen viel respektvoller, weil eine psychische Krankheit in anderen Dingen stark macht“, sagt sie.

Die Bruderhaus Diakonie ist für Haas ein sehr wichtige Einrichtung. „Sie ist wie in Netz, das uns auffängt, wenn wir fallen.“ Sie und ihr jetziger Mann werden seit Jahren dort betreut. Durch die Werkstatt, die Tagesstätte, das stationäre und ambulante Wohnen eröffnet das Bruderhaus eine Fülle an Chancen: „Ich hätte mein Leben sonst nicht so im Griff.“ Jahrelang litt sie an ihrer Krankheit, an ihrem ersten Ehemann, dachte, dass sie diesen Teufelskreis nicht würde durchbrechen können. Jetzt hat sie mit ihrem zweiten Mann eine Wohnung in Waldachtal, eine Arbeit in der Bruderhaus-Werkstatt – sie ist glücklich. Und hat einen Wunsch: „Ich appelliere, hinter die Menschen zu sehen und nicht, weil einer von uns zum Täter wurde, alle und alles infrage zu stellen.“

Was sagt die Rechtsprechung?

Eine Zwangseinweisung gegen den Willen eines Klienten ist aus rechtlichen Gründen so gut wie nicht möglich. „Das geht nur mit Genehmigung des Amtsgerichts und nur in ganz, ganz schwerwiegenden Fällen“, sagt Landratsamts-Sprecherin Sabine Eisele. Die Anforderungen an diese Genehmigungen seien in den vergangenen Jahren durch die Gerichte deutlich erhöht worden. Auch die rechtliche Betreuung durch Dritte sei nicht so ohne weiteres möglich. Das müsse ein Notariat entscheiden. Doch für die Zwangseinweisung oder einen gesetzlichen Betreuer müssten ausreichend Anhaltspunkte vorliegen. „In diesem Fall haben die dem Sozialamt bekannten Ereignisse nicht ausgereicht, um eine zwangsweise Unterbringung oder die Anordnung einer Betreuung zu rechtfertigen“, sagt sie. Und weiter: „Eine vorsorgliche zwangsweise Unterbringung oder eine vorsorgliche rechtliche Betreuung gegen den erklärten Willen des Betroffenen ohne unmittelbare konkrete Gründe ist in einem Rechtsstaat nicht möglich.“

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Erstellt:
09.03.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 51sec
zuletzt aktualisiert: 09.03.2016, 01:00 Uhr

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