Wer vermisst Paula?

Mössingen ist die Stadt der freien Hühner/Manche lassen sich leichter fangen

Seit dem 8. April haben die Fölls ein neues Haustier. Sohn Luis hat es gefangen und schnell gezähmt. Der Eigentümer hat sich bisher nicht gemeldet, hergeben will Luis „Paula“ ungern.

22.04.2016

Von Claudia Jochen

Luis Föll mit dem zugelaufenen Huhn Paula Rocky, das demnächst eine Unterrichtseinheit in der Langgassschule bereichern wird. Bild: Rippmann

Luis Föll mit dem zugelaufenen Huhn Paula Rocky, das demnächst eine Unterrichtseinheit in der Langgassschule bereichern wird. Bild: Rippmann

Der Leiter des Tierheims Tübingen, Felix Wagner, war nach dem Anruf von Familie Föll am Freitag Nachmittag alles andere als begeistert: „Schon wieder herrenloses Geflügel in Mössingen!“, stöhnte Wagner. Er hatte schlechte Erinnerungen an den Mössinger Friedhofshahn „Günni“. Den versuchte er wochenlang mit den Mössinger Tierfreunden einzufangen (wir berichteten im vergangenen Sommer).

Wagner erklärte sich jedoch bereit: Sollte das Tier am Wochenende nicht dingfest gemacht werden können, werde er am Montag mit Helfern anrücken. Die Kinder der Dachtelstrasse Lorent, Angel, David und allen voran Luis mit seinem Freund Sören (stolzer Käscherbesitzer) haben jedoch das herrenlose Huhn binnen zwei Stunden am selbigen Tag gefasst.

„Wir haben es über zehn Gartenzäune gejagt, es hat Haken geschlagen wie ein Hase, dann gab es Ärger mit den Nachbarn“, erzählt Luis Föll (8). Dabei hatten die Kinder ihr Vorhaben lautstark in der Nachbarschaft angekündigt, wie Luis versicherte. Mit Haselnüssen wollten sie es handzahm machen oder „bewerfen, bis es betäubt ist“. Auch Hühnerfutter von der Nachbarin bekamen sie.

Der Rädelsführer der Huhnfänger erklärt: „Ein paar Tage zuvor hatte unsere Nachbarin, die auch Hühner hat, unsere Paula eingefangen, aber sie ist wieder ausgebüxt.“ Offensichtlich ein freiheitsliebendes Tier, genau wie Günni, der Ex-Friedhofshahn, der nun in Lustnau bei Agnes Graf zum Therapiehahn ausgebildet wird. Allerdings besitzt Paula Rocky (so wurde es von Luis getauft) einen Nummernring. „Nicht zuzuordnen“, berichtete der Tierarzt Lippert in der nahe gelegenen Falltorstrasse den Eltern Föll. Nach einer Anzeige im Amtsblatt meldeten sich Hühnerbesitzer aus Öschingen und Talheim, die Hühner vermissten, jedoch: Paula war nicht ihr Huhn.

„Vielleicht hat der Besitzer so viele Hühner, dass er gar nicht gemerkt hat, das eines fehlt“, meint Luis hoffnungsfroh. „Eigentlich wollte ich immer einen Hund. Aber Hühner sind viel praktischer, da muss man nicht spazieren gehen und hat immer Frühstückseier“, grinst der kleine Mann und zeigt auf ein Areal im Garten: „Da bauen wir ein Hühnergehege, und Paula bekommt noch zwei oder drei Freunde“, strahlt er, und die Eltern runzeln die Stirn.

Widerspruch zwecklos, der kleine Herr hat schon einen Plan. Und Futter übers Wochenende hat er auch erfolgreich bei den netten Nachbarn geschnorrt. Geschäftstüchtig ist er ebenso, ein schwunghafter Eierhandel mit Sören ist in Planung.Jeden Morgen, bevor er in die Langgassschule geht, besucht er Paula. Auch nach der Schule ist der erste Weg zum ehemaligen Hasenstall, Paulas vorläufigem Zuhause. Seine Schwester Marie (3) sammelt Würmer im Kindergarten, denn: „Paula liebt Würmer“, vom Laufrad überfahrene oder vom Kompost gesammelte. Die Kinder sind eifrig dabei, das Huhn heimisch zu machen, und lassen es an nichts fehlen. „Paula fühlt sich hier sauwohl“, seufzt Luis und bewundert seinen Fang im Hasenstall, der schon fünf Eier gelegt hat.

Neulich, beim Besuch der Grundschüler in der Bücherei, zeigte sich Klassenlehrerin Ute Scholpp verwundert. Alle Kinder hatten Abenteuerbücher ausgeliehen. Luis besorgte sich noch ein Buch über Hühnerhaltung. Nach fachmännischem Austausch mit dem kleinen Experten beschloss die Lehrerin kurzerhand, dass man demnächst das Huhn und seinen Daseinszweck sowieso im Unterricht durchnehme, und zu diesem Ansinnen wäre ein Anschauungsobjekt durchaus wünschenswert. „Dann müssen wir aber zu mir nach Hause, alles andere wäre Quälerei“, krähte sodann der Dreikäsehoch. Und die Lehrerin hatte ein Einsehen.

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Erstellt:
22.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 22.04.2016, 01:00 Uhr

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