Horb · Justiz

Mordvorwurf gegen einen Angeklagten wackelt

In einem formal unverbindlichen Hinweis legte die Rottweiler Schwurgerichtskammer die Möglichkeit dar, ein Angeklagter alleine könnte die Schuld am Tod Michael Riechers tragen.

09.12.2019

Von Manuel Fuchs

Am Landgericht Rottweil wird am Montag erneut über den getöteten Nordstetter Michael Riecher verhandelt. Bild: Manuel Fuchs

Am Landgericht Rottweil wird am Montag erneut über den getöteten Nordstetter Michael Riecher verhandelt. Bild: Manuel Fuchs

Die 1. Schwurgerichtskammer des Rottweiler Landgerichts gab noch am Vormittag des gestrigen Verhandlungstages einige sogenannte Hinweise nach Paragraf 265 der Strafprozessordnung. Die Tat könne sich am Abend des 2. November 2018 tatsächlich so zugetragen haben, wie es der zweite Angeklagte in seiner Einlassung geschildert hatte: Demnach habe erste Angeklagte Michael Riecher in dessen Nordstetter Wohnung erwürgt. Der zweite Angeklagte sei davon so überrascht, regelrecht überrumpelt gewesen. Er habe die Tat, die er überdies nicht präzise erkannt habe, nicht verhindern können.

Sollte die Kammer ihrem Urteil dieses Szenario zugrundelegen, sei für den ersten Angeklagten eine Verurteilung als Alleintäter wegen Mordes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung möglich, was grundsätzlich eine lebenslängliche Gefängnisstrafe bedeutet. Für den zweiten Angeklagten komme eine Verurteilung wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung in Betracht; eine Mitschuld am Tod Michael Riechers sei in diesem Szenario nicht gegeben. Je nachdem, wie das Gericht weitere Details des Tatgeschehens beurteilt, welche die Schwere der Tat bestimmen, ist eine Gefängnisstrafe zwischen einem halben und zehn Jahren möglich.

Rechtsanwalt Alexander Hamburg, ein Verteidiger des ersten Angeklagten, reagierte auf die Hinweise der Kammer mit der Bitte, die Verhandlung für 15 Minuten zu unterbrechen, was der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer umgehend gewährte.

Ein Anwalt der Nebenklage äußerte in der Verhandlungspause entgegen der Hinweise der Kammer gegenüber der SÜDWEST PRESSE die Ansicht, dass der zweite Angeklagte des Tod Michael Riechers „wenigstens leichtfertig“ mitverursacht habe. Hierfür sieht Paragraf 251 des Strafgesetzbuchs eine Freiheitsstrafe von nicht unter 10 Jahren vor. Oberstaatsanwalt Dr. Christoph Kalkschmid erinnerte zudem an seine bereits geäußerte Einschätzung fest, der zweite Angeklagte sei auch gemäß seiner eigenen Darstellung der Tötungshandlung mitschuldig, weil er nicht eingegriffen habe.

Formal hat die Kammer mit ihren Hinweisen lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sie das geschilderte Szenario für denkbar hält. Ein Vorgriff auf das tatsächliche Urteil sind solche Hinweise theoretisch nicht. In der Praxis der Rechtsprechung greifen sie jedoch häufig den Tendenzen des Urteils vor, meinten einige erfahrene Prozessbeteiligte.

Als die Verhandlung – nach deutlich mehr als einer Viertelstunde Pause – fortgesetzt wurde, beantragte Hamburg umgehend eine erneute Unterbrechung, in der er einen unaufschiebbaren Antrag formulieren wolle. Oberstaatsanwalt Kalkschmidt äußerte sich skeptisch, dass eine solche Unterbrechung nach einfachen Hinweisen der Kammer angemessen sei: „Wenn die Verteidigung einen Antrag stellen möchte, möge sie dies tun“, schlug Kalkschmid vor – allerdings ohne zusätzliche Beratungszeit. Richter Münzer forderte Rechtsanwalt Hamburg auf, seinen Antrag zu bezeichnen, worauf dieser knapp „Befangenheitsantrag“ antwortete. Daraufhin verfügte Münzer eine Rückstellung: „Der Antrag kann ohne Rechtsverlust am Ende des heutigen Sitzungstages gestellt werden.“

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Erstellt:
09.12.2019, 13:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 09.12.2019, 13:00 Uhr

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