Ein artistisches Brillantfeuerwerk von Angst einflößender Schönheit.

Mulholland Drive

Ein artistisches Brillantfeuerwerk von Angst einflößender Schönheit.

24.11.2015

Von che

Mulholland Drive

Man muss ja nicht alles verstehen, meinte leicht resigniert ein Zuschauer am Ausgang. Stimmt. Wer krampfhaft versucht, im vertrackten Geschehen von "Mulholland Drive" nach schnöder Logik zu suchen, verdirbt sich selber den Spaß. Seien wir lieber wie kleine Kinder, die sich staunend daran ergötzen, was ihnen der große Zauberer David Lynch ("Blue Velvet", "Lost Highway") diesmal an unergründlichen Mysterien auftischt.

Dabei beginnt "Mulholland Drive" für einen Lynch-Film erstaunlich konventionell. Eine dunkelhaarige Schöne, die sich Rita nennt, verliert bei einem Autounfall das Gedächtnis und verkriecht sich in einer fremden Wohnung. Dort trifft sie auf die blonde Betty, die sich gerade anschickt, in Hollywood als Starlet zu reüssieren. Die beiden Frauen verlieben sich, und Betty möchte Rita helfen, die Vergangenheit zu ergründen. Dabei stoßen sie auf eine Tasche voller Geld, eine Leiche und den Argwohn der Mafia. So weit: ein ziemlich straighter Psychothriller.

Doch die Irritationen lassen nicht lange auf sich warten. Ein Killer, der aus Ungeschick ein ulkiges Blutbad anrichtet, wird anschließend spurlos aus der Handlung gezappt. Auch der breit ausgewalzte Seitenstrang mit einem offenbar dem jungen Wim Wenders nachempfundenen Schnösel-Regisseur steht zunächst beziehungslos neben dem Kriminalfall. Im letzten Drittel bricht dann der letzte Rest an erzählerischer Logik in sich zusammen. Die Hauptfiguren werden mit neuen Identitäten ausstaffiert, und Lynch scheint mit dem gleichen Personal eine völlig andere Geschichte zu erzählen.

Wie diese Realitäts-, Traum- und Film-im-Film-Ebenen miteinander in Beziehung stehen - diese Frage kann man am Cineasten-Stammtisch viele Nächte lang durchdiskutieren. Es gibt auch Internet-Foren, wo militante Lynch-Fans die Story auf ihre kulturkritische und psychoanalytische Substanz abklopfen. Vielleicht ist aber alles auch nur fauler Zauber, ein wirrer Zusammenschnitt von Bruchstücken einer nie zu Ende gedrehten Fernsehserie.

Doch selbst das würde nichts daran ändern, dass es Lynch fast so gut wie weiland Alfred Hitchcock in "Vertigo" gelingt, eine in Tabuzonen der Psyche zielende Stimmung zu erzeugen. Meisterhaft komponierte Bilder, ein nimmer versiegendes Grundbrummen dicht an der Hörgrenze und nicht zuletzt die ein Mysterium eigener Art verkörpernde Naomi Watts (als Betty) fügen sich zu einem bedrohlich brodelnden Hexenkessel, der mindestens für wohligen Grusel sorgt, vielleicht sogar an verborgenen Seelensphären rührt.

Und auch wenn es nach dem bisher Gesagten keiner mehr glauben mag: Es ist dies der bislang warmherzigste und humorvollste Film von David Lynch.