Empfingen · Sakralkunst

Mut und Hoffnung für Trauernde

Der Rottweiler Künstler Tobias Kammerer hat in der Empfinger Aussegnungshalle mit den Arbeiten an einem Fresko begonnen.

22.08.2020

Von Emil Henger

Bevor Farbe ins Spiel kommt, bereiten der Künstler Tobias Kammerer und die freischaffende Künstlerin Joanna Weber den Untergrund auf dem Sichtbeton vor. Bild: Emil Henger

Bevor Farbe ins Spiel kommt, bereiten der Künstler Tobias Kammerer und die freischaffende Künstlerin Joanna Weber den Untergrund auf dem Sichtbeton vor. Bild: Emil Henger

Wenn die Trauergäste die Aussegnungshalle betreten, richtet sich der Blick unweigerlich auf ein Fresko, das nahezu die ganze Giebelwand einnimmt. Mit dem Farbenspiel möchte der Künstler christliche Werte ausdrücken. Inmitten des Freskos steht ein Kreuz, die zentrale Farbe ist Rot in vielen Nuancen, das sanft ins Purpur übergeht. Über der roten Malerei verweist goldgelbe Farbe auf die aufgehende Sonne. „Das ist ein Symbol eines Neuanfangs, der Auferstehung“, erklärt Kammerer den besonderen Bezug zur Aussegnungshalle, „während das Rot das Blut, Leid, Martyrium und die Liebe assoziieren soll.“

Der Kreis im Zentrum steht für den Erdkreis und die Gemeinschaft. Ein vertikaler Strich in Blau verheißt die Auferstehung und das ewige Leben. Ein zentrales Thema ist für Kammerer die Wiederkehr ins Paradies. „Ich möchte den trauernden Hinterbliebenen damit Mut machen, Hoffnung und eine Perspektive geben in einer Zeit des Abschieds und der Trauer“, erklärt der Künstler.

Symbole der Nächstenliebe

Auf der linken Wand werden goldfarbene Tafeln angebracht. Die „Sieben Werke der Barmherzigkeit“ sind eine Aufzählung von Handlungen, in denen sich christliche Nächstenliebe äußert: dem Nächsten Kleider geben, Dürstende tränken, Hungernde speisen, Fremde beherbergen, Gefangene besuchen und Kranke pflegen. Das siebte Werk der Nächstenliebe hat für Kammerer darüber hinaus, speziell im Fall der Aussegnungshalle, noch eine weitere Bedeutung. „Tote bestatten“ verweist auch auf die Großzügigkeit der Mäzenen, die den Bau der Aussegnungshalle realisierbar werden ließ. „Durch sie wird ein Abschied in Würde und Respekt ermöglicht“, führt Tobias Kammerer weiter aus. Das Rednerpult, der Leuchter und der Urnentisch sind zweifarbig gestaltet. Sämtliche Kunstwerke sollen per Lichtgestaltung, eventuell auch farbig, in Szene gesetzt werden.

Das Malen auf Beton ist für Tobias Kammerer eine Herausforderung. „Ich habe noch niemals auf diesem Werkstoff gemalt“, sagte der Künstler. Bei der Seccomalerei wird die Farbe auf den trockenen Untergrund aufgebracht. In der Mineralfarbe ist ein Bindemittel eingebracht. Die enthaltenen natürlichen Pigmente sind sehr robust und verbinden sich dauerhaft mit dem Untergrund. Bei der Freskomalerei dagegen wird zum Binden der Pigmente der noch feuchte Putz benutzt.

Die freischaffende Künstlerin Joanna Weber hat damit begonnen, den Sichtbeton mit Malerkrepp abzukleben. Sie blickt immer wieder auf eine Kopie des Gesamtwerks. Das Blatt ist in Raster eingeteilt und erleichtert damit das Aufkleben. Die Führung des Malerpinsels erfolgt dann entlang der Kreppstreifen. Was bei Malerarbeiten zu Hause die Heimwerker gehörig nervt, ist bei diesem Fresko gewollt: Wird der Streifen entfernt, dann ist eine Struktur sichtbar. Nur im oberen Drittel, beim Übergang vom roten in den gelben Bereich, gibt es eine Horizontale.

Kompromiss beim Untergrund

Apropos Sichtbeton: In den Planungen war ursprünglich die Sichtbetonklasse 4 vorgesehen. Heißt: Betonflächen mit besonders hoher gestalterischer Bedeutung. Und: aufwendig und sehr teuer. Daher, so teilt Bürgermeister Ferdinand Truffner mit, entschloss man sich für die kostengünstigere Klasse 3.

Aus der Sicht des Künstlers wäre eine plane Fläche mit gleichmäßiger Färbung geeigneter gewesen. Er betrachtet es aber von der pragmatischen Seite: „Man muss das Gesamtkunstwerk betrachten und auf sich wirken lassen.“ Gewohnt humorig hierzu der Kommentar von Bürgermeister Ferdinand Truffner: „Auch das Leben hat manchmal Macken.“

Der Entwurf, den der Künstler dem Spenderehepaar Pius und Irene Brändle, dem mit der Bauleitung beauftragten Empfinger Büro Gfrörer und der Kommune vorgestellt hat, kam bei allen gut an. Der Bürgermeister war regelrecht begeistert. Der evangelische Pfarrer Christoph Gruber vermittelte den Künstler. Beide hatten sich beim Radiosender Antenne 1 Neckarburg kennengelernt. Dort spricht der Pfarrer regelmäßig „Momente zum Nachdenken“.

Der 1968 in Rottweil geborene Tobias Kammerer hat in vielen Kirchen Deutschlands und Österreichs, wo er in Wien Malerei, Bildhauerei und Architektur studierte, seine Spuren hinterlassen. Sein Vater hatte ihn 1983 dazu gedrängt, in Österreich eine Malerlehre anzufangen. Fortan holte er sein komplettes Rüstzeug als Künstler in der Alpenrepublik.

Stark geprägt habe ihn sein Schaffen in der Ukraine. Nach der Rückgabe der Kirchen und Kulturgüter staatlicherseits an deutsche Gemeinden hat Kammerer im Wesentlichen von der Landeskirche München die Aufträge erhalten; die sakralen Gegenstände waren weitgehend zerstört.

Ab 1995 hat er in Kiew und dann in Odessa sehr viel in der St.-Paul-Kirche gearbeitet. Sie gehört zur Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine. Kirchenfenster, Ambo oder Altar – sein moderner Stil kam nicht immer gut an. „Die Menschen waren zunächst irritiert“, hatte er festgestellt. „Aber mit der Zeit haben sie die Veränderungen gut angenommen.“ 15 Jahre lang sollte sein Engagement in der Ukraine dauern. Er habe noch nie eine solche Herzlichkeit und Akzeptanz von der Bevölkerung erfahren. Diese Zeit sei die wichtigste Station in seinem bisherigen Schaffen gewesen, betont Kammerer.

Skizze des künftigen Freskos für die Giebelwand. Privatbild

Skizze des künftigen Freskos für die Giebelwand. Privatbild

Sieben Werke der Barmherzigkeit (von links): Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Hungrige speisen, Tote bestatten, Nackte kleiden, Fremde beherbergen und Dürstende tränken. Privatbild

Sieben Werke der Barmherzigkeit (von links): Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Hungrige speisen, Tote bestatten, Nackte kleiden, Fremde beherbergen und Dürstende tränken. Privatbild

Kammerer wird am 14. November .1968 in Rottweil geboren. Er wächst in der fünften Generation einer Malerfamilie auf. 1983 bis 1986: Malerlehre des österreichischen Malerhandwerks in Baden-Leesdorf, Österreich; 1986-1992: Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Malerei bei Prof. Arik Brauer und Prof. Josef Mikl; 1991-1992: Mitarbeit in der Meisterklasse für Architektur bei Prof. Gustav Peichl an der Akademie der bildenden Künste in Wien; 1992: Magister Artium, Akademie der bildenden Künste in Wien; 1992-1994: Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Bildhauerei bei Prof. Bruno Gironcoli; 1992-1993: Lehrtätigkeit an der Höheren Technischen Lehranstalt Baden bei Wien, Aufbaulehrgang Kolleg für Bautechnik, Ausbildungszweig Farbe & Gestaltung; seit 1999 Mitglied des Verbandes Bildender Künstler und Künstlerinnen Württemberg; 2011: Am 27. Oktober bricht während der Kuppelausmalung in Troschenreuth das Deckengerüst durch. Tragischer Sturz aus acht Metern Höhe, in der Folge eine eineinhalbjährige Arbeitsunterbrechung; 2014: Wiederaufnahme neuer Raum-Ausmalungen mit Assistenz.

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Erstellt:
22.08.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 53sec
zuletzt aktualisiert: 22.08.2020, 01:00 Uhr

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