Hundertfache Fahrraddiebe geschnappt

Mutmaßliche Einbrechertruppe soll für Hagellocher Hallenbrand verantwortlich sein

Die Polizei hat am Dienstag eine mutmaßliche Diebesbande geschnappt, die seit Sommer 2015 Hunderte Fahrräder und viel landwirtschaftliches Kleingerät in und rund um Tübingen gestohlen haben soll.

25.11.2016

Von Hans-Jörg Schweizer

Am 7. September kontrollierte die Bundespolizei kurz vor der österreichischen Grenze bei Traunstein einen Kleintransporter: im Laderaum 50 geklaute Fahrräder, mindestens 34 davon aus Tübingen. Laut Polizei wurden passende Räder auf Bestellung gestohlen. Wenn die Diebe in Deutschland eine Ladung zusammenhatten, forderten sie den Transporter aus Bosnien an, den zwei als Touristen getarnte Fahrer nach Tuzla chauffierten. Bild: Polizei

Am 7. September kontrollierte die Bundespolizei kurz vor der österreichischen Grenze bei Traunstein einen Kleintransporter: im Laderaum 50 geklaute Fahrräder, mindestens 34 davon aus Tübingen. Laut Polizei wurden passende Räder auf Bestellung gestohlen. Wenn die Diebe in Deutschland eine Ladung zusammenhatten, forderten sie den Transporter aus Bosnien an, den zwei als Touristen getarnte Fahrer nach Tuzla chauffierten. Bild: Polizei

Zugriff am Dienstagmorgen: Mehr als 80 Polizisten durchsuchten diese Woche acht Wohnungen und zwei Schrotthandlungen in Tübingen, Gomaringen, Mössingen, Dettingen/Erms sowie in Eberbach im Rhein-Neckar-Kreis. Sieben Männer nahmen die Beamten dabei fest.

Die Männer im Alter zwischen 19 und 50 Jahren sind dringend verdächtig, seit Sommer 2015 mehr als 300 Fahrräder in und um Tübingen gestohlen zu haben. Außerdem soll die mutmaßliche Diebesbande für 100 Einbrüche in Schuppenkolonien, in Hallen und auf Schrottplätzen im Tübinger Kreisgebiet und darüber hinaus verantwortlich sein. Meist stahlen sie dort Kleingeräte. Auch der Großbrand einer landwirtschaftlichen Lagerhalle bei Hagelloch in der Nacht zum 23. Oktober geht auf das Konto der Gruppe. Das berichteten am Freitag Polizei und Staatsanwaltschaft.

Polizeisprecher Josef Hönes lässt keinen Zweifel daran, dass ein 20-Jähriger aus der Gruppe der Festgenommenen das Hagellocher Feuer gelegt hat. Und zwar, um Spuren eines Einbruchs zu vernichten, den er in der Brandnacht zusammen mit zwei weiteren Tätern beging. Hönes will aber nicht genauer verraten, wie die Kripo gerade diesen jungen Mann als den Brandstifter überführen konnte: „Da geht es um verdeckte Maßnahmen, und unsere Taktik verrate ich nicht.“ Manche der Beschuldigten hätten aber bereits Geständnisse abgelegt.

Im September 2016 war die Tübinger Fahrraddiebstahl-Quote sprunghaft angestiegen. Ganz ähnlich wie schon im September 2015, als die Anzahl solcher Delikte von normalerweise etwa 40 Fällen pro Monat plötzlich auf über 100 kletterte. Die Tübinger Polizei ermittelte im Spätsommer gegen die Insassen eines dunklen Transporters, der im Zusammenhang mit dem Diebstahl hochwertiger Räder aufgefallen war. Dabei gerieten weitere mutmaßliche Fahrraddiebe ins Visier der Ermittler. Deren Verdacht erhärtete sich Anfang September, als der Zoll nahe der österreichischen Grenze bei Traunstein einen Kleintransporter kontrollierte: voller geklauter Fahrräder und Kleingeräte aus der Tübinger Gegend (wir berichteten). Fahrer und Beifahrer dieses Fiat Ducato, zwei Bosnier, ließen die Behörden in Bayern zunächst wieder laufen. Bei der Tübinger Polizei wurde aber die Ermittlungsgruppe „Ducato“ eingerichtet: Die neun Beamten der Kripo und des Tübinger Polizeireviers fanden nach und nach mit „verdeckten Ermittlungen“ Täterstrukturen und einzelne Taten heraus. Offenbar vollzogen die Ermittler dabei auch anhand von Mobilfunkdaten die Bewegungen ihrer Verdächtigen nach.

Aufgeschreckt durch die Kontrolle bei Traunstein verlegte sich die Gruppe ab Oktober vom Fahrradklau auf Einbrüche in Schuppen, Werks- und Lagerhallen – unter anderem in Reutlingen, Pfullingen, Rottenburg, Altingen, Burladingen, Gomaringen und Öschingen. Außerdem waren die Diebe auf Schrottplätzen in Herrenberg, Biesingen und Aidlingen am Werk. Zum Beuteschema der Diebe zählten nun Baumaschinen, Garten- und Elektrogeräte sowie Metallschrott und Kraftstoffe wie Kabel oder Autobatterien.

Erbeutete Notstromaggregate, Motorsägen und ähnliches Gerät lagerten die Täter in Depots ein, um sie später – als Touristen getarnt – nach Tuzla in Bosnien zu schaffen. Dort betrieb die Familie des mutmaßlichen Anführers der Gruppe eine Firma für Gebrauchtmaschinen, über die das Diebesgut weiterverkauft wurde. Bei einer Durchsuchung der dortigen Firmenräume beschlagnahmte die bosnische Polizei Waren im Wert von 200 000 Euro.

Es handle sich dennoch nicht um einen mafiösen Familien-Clan, sagt Polizeisprecher Hönes. Er geht davon aus, dass seine Kollegen bei den Razzien vom Dienstag alle Täter erwischt haben. Alle bis auf einen, der offenbar noch in Bosnien untergetaucht ist. Sieben Transportfahrzeuge sowie Bargeld und Wertstoffe im Gesamtwert von weiteren 200 000 Euro stellten die Beamten im Steinlachtal sicher.

Die Rädelsführer der Bande seien die beiden 19 und 20 Jahre alten Bosnier, die Anfang September mit dem Kleintransporter unterwegs waren und bei Traunstein dem Zoll ins Netz gingen. Laut Hönes machten sie im Kreis Tübingen mit einem weiteren Bosnier gemeinsame Sache, einem 49-jährigen Schrotthändler aus Gomaringen. Die Haupttäter machten sich aber augenscheinlich nicht selbst die Hände bei Diebstählen und Einbrüchen schmutzig. Für die Beutezüge heuerten sie in Tübingen Asylbewerber im Alter zwischen 20 und 50 Jahren aus Bosnien und Serbien an.

Am vergangenen Sonntagabend nahmen Polizeibeamte bei einer allgemeinen Fahrzeugkontrolle in Weilheim zwei zu der Gruppe gehörende Tatverdächtige fest, die gerade mit Diebesgut im Auto vom Beutezug in einem Dußlinger Schuppengebiet kamen. Als die Polizei in diesem Zusammenhang Wind von einer unmittelbar bevorstehenden Transportfahrt nach Tuzla bekam, verschafften sich die Ermittler am Montag die nötigen richterlichen Beschlüsse, um am Dienstagmorgen die zwei Schrotthandlungen im Steinlachtal und acht Wohnungen zu durchsuchen.

Alle sieben Festgenommenen sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Die Polizei versucht auch, zu ermitteln, ob die Beschuldigten etwas mit der Ammerbucher Schuppenbrandserie vom Sommer 2016 zu tun haben. „Ich glaube das aber eher nicht“, sagt Polizeisprecher Hönes. Denn bei zig Einbrüchen, die wahrscheinlich aufs Konto der Gruppe gehen, sei lediglich einmal Feuer gelegt worden.

Nur 34 von mindestens 300 Fahrrädern aus Tübingen wurden sichergestellt.

Am Freibad, am Kepler-Gymnasium und an vielen anderen Orten im Tübinger Stadtgebiet verzeichnete die Polizei mehr als 300 Fahrraddiebstähle, die sie nun der mutmaßlichen Diebesbande zuschreibt.

Bestohlene Fahrradbesitzer schöpfen vermutlich Hoffnung, dass sie dank des Ermittlungserfolgs der Polizei bald ihre verschwundenen Velos zurückbekommen könnten. Von mindestens 300 in Tübingen gestohlenen Rädern hat die Polizei jedoch bisher lediglich 34 sichergestellt. Alle waren in dem bei Traunstein kontrollierten Kleintransporter. Die meisten der 2015 und 2016 in Tübingen geklauten Trekking- und Rennräder mit einem durchschnittlichen Wert von 600 Euro wurden womöglich bereits in Bosnien weiterverkauft.

Ob die Behörden in Tuzla noch weitere Fahrräder aus Tübingen aufstöbern, ist ungewiss, so Polizeisprecher Josef Hönes. Die schwierigen Ermittlungen über Verbindungsbeamte in Bosnien stünden ganz am Anfang. Die Polizei werde aber die früheren Fälle von Fahrraddiebstahl in Tübingen und der Umgebung mit den Ergebnissen der Ermittlungsgruppe Ducato abgleichen.

Wer die Rahmennummer notiert oder gleich einen Fahrradpass ausstellt, hilft damit der Polizei, sollte das Rad geklaut werden. In solchen Fällen sei es relativ einfach, wiedergefundene Räder ihren wahren Eigentümern zuzuordnen, so Hönes. Fahrradbeschreibungen von Farbe, Marke und Modell mit sichergestelltem Diebesgut abzugleichen, bedeutet hingegen aufwändiges Aktenwälzen.

Zum Dossier: Die Ducatobande

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Erstellt:
25.11.2016, 09:49 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 01sec
zuletzt aktualisiert: 25.11.2016, 09:49 Uhr

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