Hochfinanzbasar mit Galionsfigur

Nach umbaubedingter Schließzeit öffnet die Kunsthalle mit der Ausstellung „Kapitalströmung“

Ganz fertig geworden sei man bis zur Pressekonferenz nicht, 85 Prozent der Ausstellung stehe, aber bis zur Eröffnung kriege man das hin, sagt Holger Kube Ventura, der Kurator und künstlerische Vorstand der Kunsthalle.

10.03.2017

Von Peter Ertle

Filip Markiewicz‘ assoziative Bleistiftzeichnungen zu aktuellen Geschehnissen in Form riesiger Euroscheine in der Kunsthalle. Bild: Metz

Filip Markiewicz‘ assoziative Bleistiftzeichnungen zu aktuellen Geschehnissen in Form riesiger Euroscheine in der Kunsthalle. Bild: Metz

Und es hat ja auch seine Vorzüge. Schon beim ersten Rumschauen zuckt man kurz etwas zusammen: Der Presse-Nebenmann zeichnet plötzlich in einem Bild herum. Ach so, das ist der Künstler selbst, Filip Markiewicz, dem man so ein bisschen zusehen darf, wie er an Ort und Stelle eine seiner extra für die Ausstellung gefertigte Zeichnung vervollständigt. Toll!

Später, beim offiziellen Rundgang, als der Kurator gerade über die Werke Johanna Kandls spricht, kommt die Wiener Künstlerin irgendwann selbst dazu und ergänzt das ein oder andere.

Im nächsten Raum trifft man Gunter Reski auf einer Leiter stehend beim Montieren seiner Ausdrucke an, „du unterbrichst mich, wenn ich etwas Falsches sage“. Aber Kube Ventura sagt dann nichts Falsches, Reski unterbricht nicht. Sie sind also alle noch da, die Kunsthalle noch ein bisschen Atelier, so viel Leben war hier selten. Und worum geht’s?

Panama-Papiere, Lux-Leaks

Es geht darum, dass uns Begriffe wie Panama-Papiere, Lux-Leaks, Wetten mit ungedeckter Kreditausfallversicherung und andere Rätsel aus dem Hochfinanzhandel medial um die Ohren fliegen, ohne dass wir eine rechte Vorstellung davon bekommen, was das sein und vor allem, was es mit unserem Leben zu tun haben könnte. Diese Schau 13 zeitgenössischer Künstler aus sieben Ländern will uns Kapitalströmungen erlebbar machen, nicht analytisch, nicht journalistisch, nicht aus einem Buch der Wirtschaftswissenschaften – sondern künstlerisch, assoziativ, metaphorisch.

Manchmal wird die Anschaulichkeit allerdings ganz konkret realistisch: Endlich sehen wir, wie Briefkastenfirmen oder Freilager aussehen. Das italienische Künstlerduo Paolo Woods und Gabriele Galimberti hat sich in sogenannten Steuerparadiesen umgesehen und fotografiert.

Einen hausinternen Rekord gibt es zu vermelden: In dieser Schau steht das Größte jemals in der Kunsthalle ausgestellte Werk, der Digitaldruck „Venedig Refugee“ von Holger Wüst. Venedig, früher bedeutendster europäischer Handelsplatz, wird bei Wüst zum Schauplatz von Flüchtlingszelten, Polizei, Bundesgrenzschutz und einem Touristen-Kreuzschiff mit einer riesigen Marx-Büste als Galionsfigur. Alles im Netz zusammengesucht und collagiert. Ulrich Wüst wiederum hat Szenen von heute nicht mehr gültigen Geldscheinen stark vergrößert, ästhetisch reizvoll, aber auch sprechend: Die Szenen erzählen von Arbeit, Familie, Wohlstand, so setzten die Scheine das Geld in Bezug zu unseren Wertvorstellungen. Und heute? Auf den Euroscheinen ist nur eine repräsentative Architektur, Sterne und eine Unterschrift. Was sagt das über unsere gewandelte Beziehung zum Geld?

Solange wir es überhaupt noch behalten dürfen und nicht sowieso, das ist der Trend, zukünftig alles bargeldlos vonstatten gehen soll. Damit wir dann wenigstens noch eine Erinnerung davon haben, wie es war, mit dem Geld , hat Gabriel Kuri die Embleme verschiedener Geldbankomaten, wie sie uns in den Städten entgegenleuchten, in eine Vitrine verbannt, wo sie sich nun recht selbstreferentiell gegenseitig anstrahlen. Außerdem hängt da noch ein Beutel Wasser, ein Fetisch, halb Monstranz der Liquidität, halb Infusionsbeutel. Kapitalismus am Tropf?

Bruchteil eines Wimpernschlags

Wie Kuri geht auch Gunter Reski in seinem „Raumjournal für Schweinezyklen“ den Weg des vorweggenommenen Rückblicks auf unsere Geldwelt. „40 Prozent aller Transaktionen an der Börse wurden im Bruchteil eines Wimpernschlags abgewickelt“ lesen wir da. Nein, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen! Außer dass es eben noch genau so ist.

Eine Straßenflohmarktszene aus Krakau wiederum wird mit dem Satz „You can win when markets fall and when markets rise“ als große Merksatz-Bildinschrift aus der Hochfinanzwelt in ein völlig anderes Licht getaucht – eine beliebte Kontrasttechnik der Tempera/Holz-Arbeiten Johanna Kandls.

Der Frankfurter Florian Haas hat mit dem zweitgrößten Werk der Ausstellung ein schon im Mittelalter beliebtes Motiv ins Hier und Jetzt transportiert: In seinem Digitaldruck „Frankfurter Totentanz“ ist die Stadt von Skeletten bevölkert, Skelette in den Hochhäusern, im Vergnügungsviertel, Skelette auch die gegen die Finanzvampire demonstrierenden Menschen.

Ist all dies nun politisch? Aber ja, enorm! Nur will es Kube Ventura nicht so nennen, weil damit so schnell Belehrung, linke Kritik und eine in Dienst gestellte Kunst assoziiert wird. Er spricht lieber von einer gesellschaftlich relevanten Kunst, die hoffentlich auch Menschen interessiere, die es sonst nicht so mit der Kunst haben.

Schaulust sollten sie mitbringen und etwas Freude am Bizarren, wie es beispielsweise Christin Lahr zelebriert. Die Professorin für Medienkunst überweist in einem Akt, den man vielleicht kritisch-affirmativen Dadaismus nennen könnte, seit acht Jahren jeden Tag einen Cent zusammen mit jeweils 108 Zeichen aus „Das Kapital“ von Marx an das Bundesministerium für Finanzen – jeder Cent verursacht Verwaltungskosten von etwa einem Euro – um der herrschenden politischen Ökonomie sowie sinnentleertem Bürokratismus mit der Geste des Schenkens zu begegnen. So weit, so gut. Aber sind nicht auf dem Kunstmarkt selbst in höchstem Maße leere, irrationale Wertkreisläufe und Kursschwankungen zu beobachten? Darauf spielen die Arbeiten der Kopenhagener Künstlergruppe „Superflex“ an. Sie haben zum einen Hans Haackes kinetische Skulptur „Blaues Segel“, eine Ikone der Kunstgeschichte aus dem Jahr 1964, kopiert und umgewidmet, außerdem bieten sie selbst aufgenommene Raubkopie-DVDs mit Videofilmen anderer Künstler, anderer Ausstellungen wie auf einem Basar an.

Ach ja – Herr Marx

Die Basaridee wird weiter hinten in einer Arbeit Johanna Kandls aufgegriffen, und letztlich ist auch der afrikanische Blumenhändler, den Sven Johne in „Roses from Africa“ im Kopf des Zuschauers evoziert ein Echo. So gehen die Arbeiten in den Dialog, Kube Ventura hilft ihnen dabei gelegentlich mit dienlicher Platzierung.

Ach – da ist ja auch Herr Marx wieder. Zwar soeben gestorben und auch nur im Film, aber die Schauspieler, die in diesem Video von Mark Boulos (Amsterdam, Genf) für die Rolle des Grabredners Friedrich Engels gecastet werden, stehen unter dem Druck, sich so gut wie möglich verkaufen zu müssen. Gehört irgendwie auch dazu.

Die zeitnahen Veranstaltungen des Begleitprogramms

Samstag, 11. März,

13 Uhr:

Lecture Performance „Macht Geschenke: The Making Of Capital – Über die Ökonomie des Schenkens oder die Kunst, ein Nilpferd mit der Goldwaage zu wiegen“ von Christin Lahr (Berlin). Mit ihrer täglichen Mikrospende auf das zentrale Konto der Bundesrepublik Deutschland markiert die Künstlerin einen nachhaltigen Impuls und bringt die Bilanz des Staates aus dem Gleichgewicht.

Samstag, 11.,

Sonntag, 12. März,

ganztägig:

Gespräche über Kapital und Macht – mit Christin Lahr (Berlin). Die Künstlerin erzählt ganztägig in persönlichen Gesprächen von ihren Langzeitprojekten und gibt bildhafte Einblicke in das Wesen von Bürokratie, Geld- und Zahlungsverkehr, Macht und Kapital.

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Erstellt:
10.03.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 13sec
zuletzt aktualisiert: 10.03.2017, 01:00 Uhr

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