Großbritannien

Nacktbilder als neues Sammelspiel

Zu Tausenden berichten Schülerinnen und Studentinnen anonym von ungewollten Berührungen, Beleidigungen und Vergewaltigungen an Schulen und Unis.

11.06.2021

Von DPA

Nacktbilder werden auf  Schulhöfen wie Trophäen geteilt. Foto: © Guitarfoto studio/Shutterstock.com

Nacktbilder werden auf Schulhöfen wie Trophäen geteilt. Foto: © Guitarfoto studio/Shutterstock.com

London. Was früher Pokémon-Karten waren, sind heute Nacktbilder von Mitschülerinnen: In Jungs-Cliquen werden sie systematisch gesammelt und auf WhatsApp oder Snapchat als Trophäen geteilt. So schildert es der Bericht der britischen Aufsichtsbehörde Ofsted zu sexueller Belästigung an britischen Schulen. Das „Sammelspiel“ ist nur eines von vielen Beispielen für den erschütternden Befund des Berichts: Sexismus und sexuelle Belästigung gehören an britischen Schulen zum Alltag.

„Die Untersuchung hat mich schockiert. Es ist alarmierend, dass viele Kinder und junge Menschen, vor allem Mädchen, das Gefühl haben, sexuelle Belästigung als Teil des Erwachsenwerdens akzeptieren zu müssen“, sagte Inspektorin Amanda Spielman, die die Ergebnisse vorstellte. Dass das Ausmaß erst jetzt ans Licht kommt, liegt auch daran, dass viele Betroffene ihre Erfahrungen bisher zumindest innerhalb der Schule für sich behalten haben – entweder aus Scham oder weil es gar keine richtigen Ansprechpartner gibt. Das Problem werde von Verantwortlichen massiv unterschätzt, hält der Bericht fest. „Entweder identifizierten sie sexuelle Belästigung und sexualisierte Sprache nicht als bedeutsame Probleme, behandeln sie nicht ernsthaft oder wissen gar nicht, dass sie passieren.“

Vor allem Mädchen kritisierten in der Befragung, dass im Unterricht nicht gelehrt werde, was respektvoller und akzeptabler Umgang miteinander sei. „Es sollte nicht unsere Verantwortung sein, Jungs zu erziehen“, sagte eines der befragten Mädchen. Einige haben die Sache bereits selbst in die Hand genommen und versuchen, über soziale Medien Aufklärung zu betreiben.

Dazu gehört auch Soma Sara, die Gründerin der Initiative „Everyone?s Invited“ (auf Deutsch: „Alle sind eingeladen“), die den Stein in Großbritannien maßgeblich ins Rollen brachte. Im vergangenen Jahr fing die 22-jährige Studentin über Instagram an, sich über sexuelle Belästigung und Gewalterfahrungen auszutauschen. „Ich war total überwältigt“, erzählt Sara über die Zeit, in der fast alle Frauen aus ihrem Umfeld ihre Erfahrungen mit ihr teilten. Als sie rund 300 Beispiele gesammelt hatte, war klar: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs.“

Mittlerweile sammeln sich auf der Seite mehr als 16 550 anonyme Berichte von britischen Schülerinnen und Studentinnen im ganzen Land. Manchester, Eton, Highgate, Swansea: Unbekanntere Colleges und staatliche Schulen gehören ebenso zu den Schauplätzen wie teure Privatschulen oder die renommierten Elite-Unis in Oxford oder Cambridge. Es geht um Mitschüler, die unter dem Tisch übergriffig werden. Um Lehrer, die ihren Schülerinnen auf die Brüste starren. Um vermeintliche Studienfreunde, die sich als Vergewaltiger herausstellen.

„Everyone?s Invited“ beschreibt sich selbst als „Bewegung, die sich dafür einsetzt, die „Vergewaltigungskultur“ auszurotten“. Soma Sara gibt zu, dass der Begriff ein extremer ist – allerdings ist er bewusst so gewählt. „Das Wort Vergewaltigung kann sich für einige Leute extrem anfühlen“, sagt die Aktivistin. „Aber es geht darum, damit wirklich eine breite, komplexe Kultur des Missbrauchs anzusprechen.“ dpa

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Erstellt:
11.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 11.06.2021, 06:00 Uhr

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