Party unter Platanen

Nächtlicher Lärm von der Neckarinsel bringt Anwohner um den Schlaf

Grölende Betrunkene und laute Musik bis in den frühen Morgen. Im Sommer 2016 lärmten junge Leute besonders rücksichtslos zwischen den Platanen der Tübinger Neckarinsel. Bis zur Freiluft-Saison 2017 will die Stadtverwaltung das Partyvolk fürs Nachtruhe-Bedürfnis der Anwohner sensibilisieren.

20.09.2016

Von Hans-Jörg Schweizer

Nur einige Glasscherben zeugen vormittags davon, dass auf dem Fundament des einstigen Konzertpavillons in der Platanenallee nächtens ebenso lang anhaltend wie lautstark gefeiert wird. Früher traf sich die Jugend weiter hinten bei Seufzerwäldle und Wildermuth-Denkmal zu ihren Open-Air-Partys. Sehr zum Missfallen einiger Anwohner am anderen Flussufer ist damit auch der Radau näher bei ihren Wohnhäusern. Bild: Metz

Nur einige Glasscherben zeugen vormittags davon, dass auf dem Fundament des einstigen Konzertpavillons in der Platanenallee nächtens ebenso lang anhaltend wie lautstark gefeiert wird. Früher traf sich die Jugend weiter hinten bei Seufzerwäldle und Wildermuth-Denkmal zu ihren Open-Air-Partys. Sehr zum Missfallen einiger Anwohner am anderen Flussufer ist damit auch der Radau näher bei ihren Wohnhäusern. Bild: Metz

Tübingen. Die Neckarinsel als rechtsfreier Raum? Davon hatte Christine Arbogast Ende Juli im Gemeinderat gesprochen. Inzwischen relativiert die für Ordnung zuständige Erste Bürgermeisterin dieses „große Wort“ und betont, in Tübingen gebe es keine rechtsfreien Räume. Wenn sich auf der Insel 300 Leute zusammenrotten, richte der städtische Ordnungsdienst aber nicht viel aus. „Das sind geschulte Leute, die nicht unnötig auf Konfrontation gehen“, so Arbogast.

Anwohner aus Neckarhalde, Neckarbad oder Neckargasse klagen regelmäßig über grölende Betrunkene und laute Musik auf der Insel. Auch von Böllern und nächtlichen Moped-Rennen wird berichtet. Sogar unter der Woche lässt der Radau in der Platanenallee oft erst in den frühen Morgenstunden nach. Viele Anwohner am anderen Flussufer nehmen das zähneknirschend hin. Einige beschweren sich aber gerade fast täglich, wie Polizeisprecher Josef Hönes sagt. Die Polizei sei jedoch für Straftaten zuständig: Körperverletzung, Sachbeschädigung, Drogendelikte. Bei Ruhestörungen sei die Stadt gefordert. Bürgermeisterin Arbogast hält dagegen, der städtische Ordnungsdienst sei eine Freiwilligkeitsleistung der Kommune. „Wir wollen die Verantwortung wieder mehr Richtung Polizei verlagern.“

Regelmäßig würden die vier kommunalen Mitarbeiter auf ihren abendlichen Streifen durch die Altstadt angepöbelt, bestätigt Rainer Kaltenmark, der in Tübingen für die städtische Polizeibehörde zuständig ist. Zu brenzligen Situationen auf der Neckarinsel sei es aber bislang nicht gekommen. Nur vor Jahren habe ein Mitarbeiter mal bei einer Kontrolle auf der Platanenallee Prellungen davongetragen. Seine Leute seien zwar mit Pfefferspray, Handschließen, Schlagstock und stichsicherer Weste ausgerüstet, wenn den Ordnungshütern eine Insel-Party aber zu unkalkulierbar erscheint, rufen sie die Kollegen von der Polizei zur Unterstützung. „Und die kommen dann auch“, so Kaltenmark. 2015 sei die Polizei dreimal auf der Neckarinsel angerückt, berichtet Hönes. Im Jahr 2016 allerdings schon deutlich öfter.

Dass es in der Platanenallee immer häufiger hoch hergeht, bestreitet auch Arbogast nicht, die selbst nebenan in der Uhlandstraße wohnt: „Der Drang in den öffentlichen Raum hat in den letzten Jahren stetig zugenommen.“ Mit Handy und Bluetooth-Lautsprecher ist es zudem leichter denn je, spontan eine kräftig beschallte Open-Air-Party zu veranstalten. „Das ist aber ein Lärm-, und kein Sicherheitsproblem“, so Arbogast.

Sicherheitslage besser als früher

2015 habe es auf der Neckarinsel noch Ärger mit polizeibekannten aggressiven Gruppen gegeben. Inzwischen gehe es, abgesehen von gelegentlichen Rangeleien, friedlich zu. Massenschlägereien gebe es auf der Insel ebenso wenig wie einen Drogenschwerpunkt. „Es wird ,nur‘ getrunken. Das allerdings nicht zu knapp.“ Die Platanenallee ist auch aus Sicht der Polizei kein krimineller Brennpunkt, so Hönes. „Es ist klar, dass man, wenn man Jugendliche kontrolliert, den einen oder anderen mit Marihuana erwischt“, räumt der Polizeisprecher ein. Das sei aber nicht vergleichbar mit der inzwischen aufgelösten Drogendealerszene der vergangenen Jahre im Alten Botanischen Garten.

Gerade weil die Neckarinsel als friedlicher Ort gilt, kommen laut Arbogast viele Leute zum Feiern dorthin. In den Abendstunden eher Jugendliche, nachts die Über-Zwanzigjährigen. Die Sicherheitslage in der Platanenallee sei sogar besser als früher, so Arbogast. Dort feiern Jugendliche meist friedlich. Früher mischten sie sich am Hauptbahnhof unter die weniger friedlichen Mitglieder „einer gewissen Drogenszene“.

Dennoch: Die Anwohner leiden unter dem Radau von der Insel. Regelmäßig stellen Ordnungsdienstmitarbeiter dort Personalien fest, leeren die alkoholischen Getränke der Jugendlichen aus und beschlagnahmen Tabak oder auch mal eine zu laut aufgedrehte Bluetooth-Box. Platzverweise würden fast täglich ausgesprochen, so Kaltenmark: „Ich sehe da im Moment kein Vollzugsdefizit. Unsere beste Waffe ist aber eine gute Argumentation.“

Bis kommenden Sommer will die Stadtverwaltung deshalb von einer Kreativagentur eine „pfiffige Kampagne“ entwickeln lassen, um junge Leute für das Nachtruhebedürfnis der Neckar-Anrainer zu sensibilisieren, berichtet Arbogast. Möglicherweise könne auch beim für 2017 geplanten Jugendcafé in der Europastraße ein attraktiver Ort zum Feiern entstehen.

Die Idee, man könnte die Neckarinsel nachts für die Öffentlichkeit sperren, lehnt Arbogast indes ebenso ab wie OB Boris Palmer. „Jetzt ist es erst mal kalt“, sagt die Bürgermeisterin und hofft, dass damit auch die Partysaison zu Ende geht.

UND DIE PLATANEN blicken stumm auf der ganzen Insel rum ... Zeichnung: Buchegger

UND DIE PLATANEN blicken stumm auf der ganzen Insel rum ... Zeichnung: Buchegger

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Erstellt:
20.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 20.09.2016, 01:00 Uhr

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Altstadtbewohner 20.09.201613:01 Uhr

Dr. Arbogast hat die Wahrheit offen formuliert und rudert nun zurück. Warum? Weil diese Wahrheit die Stadtverwaltung in die Pflicht nimmt, aus der sie sich offenstichtlich weiterhin stehlen möchte.
Probates Mittel: Man beauftragt eine Agentur eine "pfiffige Kampagne" zu entwickeln. Man könnte laut lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Wer ernsthaft glaubt mit einer solchen Kampagne sturzbetrunkene oder bekiffte Jugendliche zu erreichen, ist an Blauäugigkeit kaum zu überbieten.
Diese Aktion ist nichts als (steuergeldverschwendende) Augenwischerei.
Das einzige was helfen würde, wäre eine höhere Präsenz der Polizei und des Ordnungsamtes ... und zwar nicht erst nachdem Beschwerden eingehen, sondern über einen längeren Zeitraum hin täglich auf Eigeninitiative der Ordnungskräfte.
Es steht zu befürchten, dass die Stadtverwaltung erst dann wirklich aktiv werden wird, wenn es nicht mehr um Nachtruhe geht, sondern um Geld ... der Wert der Immobilen entlang der Neckarinstel wird sinken.

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