Schauspiel

Nathan und Nicht-Nathan zum Auftakt

Das Tübinger Landestheater startet die Spielzeit unterschiedlich mit Lessing und Ayad Akthars „Geächtet“.

05.10.2016

Von WILHELM TRIEBOLD

Tübingen. Hugo von Hofmannsthal nannte Gotthold Ephraim Lessings „Nathan den Weisen“ das „geistreichste Lustspiel, das wir haben“, was einigermaßen verblüfft. Denn komödiantisch wird Lessings dramatisches Gedicht nur selten gedeutet. Das LTT macht da keine Ausnahme. Dem Tübinger Landestheater gerät der Klassiker, aus dem der Schulstoff ist, allerdings arg fad zu einer eher wenig anregenden Lektion.

Rund 30 Bühnen haben den Dauerbrenner im Programm. Baden-Baden schafft es sogar, mit Ferdinand von Schirachs prozessualer Gewissensprüfung „Terror“, mit Lessings klassischem Versöhnungsdrama und mit Ayad Akhtars aktueller Identitätsbefragung „Geächtet“ die drei wichtigsten Stücke zur moralischen Hinterfragung in einer Spielzeit zu vereinen – das Toleranz-Triple sozusagen.

Tübingen schafft zum Saisonbeginn 2016/2017 immerhin den Doppelschlag. Christoph Roos? kreuzbraver „Nathan“-Inszenierung, die Lessings strapazierte Ringparabel-Fabel letztlich uninspiriert herunterbetet, folgte tags darauf mit dem hochspannenden Broadway-Import „Geächtet“ ein Voll- treffer.

Zum „Nathan“ fällt dem LTT nicht viel Neues ein. Patrick Schnicke spielt die Titelfigur als einen geruhsamen, eher geheimnislosen Handlungsreisenden des Nahen Ostens, der plötzlich in die Mühlen widerstreitender Interessen und widerstrebender Gefühle zu geraten droht. Die berühmte Ringparabel erzählt er gelassen als beruhigendes Märchen für Kinder. Die eigentliche Hauptfigur wird der junge Tempelherr, den Heiner Kock impulsiv und mit viel Schwung auf die Bühne bringt. Der eigentliche Hassprediger des Stücks, der Patriarch der Christenheit, ist mit Gotthard Sinn dagegen ein sehr heutiger katholischer Kirchenfürst hinter sanftmütiger Maske.

Misstrauen der Religionen

Auch in Akhtars Stück geht es um das Miteinander oder das Misstrauen der Religionen und nicht zuletzt um das gestörte Binnenverhältnis von Muslimen, Juden und Christen (die Konfessionslosen lassen sich getrost hinzuziehen). Die gegenseitige Achtung weicht der dauerhaften Ächtung, mittendrin ist der Anwalt Amir, der seine muslimischen Wurzeln dem vermeintlichen Respekt und der beruflichen Akzeptanz zuliebe herauszureißen versucht. Was gründlich schiefgeht, wie man sich denken kann.

Regisseur Sascha Bunges „Geächtet“ kann als Negation des letztlich optimistischen „Nathan“ verstanden werden, zu dessen Finale sich alle friedlich vertragen. In „Geächtet“ gibt es einen ewigen Verlierer, Ausgegrenzten, Gescheiterten. Es ist härtere, wahrhaftigere und wahrscheinlichere Variante. Und in diesem Fall auch besseres Theater. Wilhelm Triebold

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Erstellt:
05.10.2016, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 05.10.2016, 06:00 Uhr

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