Fußball-Weltmeisterschaft

Nationalmannschaft: Diese Problemfälle beschäftigen den Bundestrainer

Nach der Auftaktpleite muss Löw den Titelverteidiger auf Trab bringen, die Defensive stabilisieren und das Angriffsspiel neu beleben.

19.06.2018

Von ARMIN GRASMUCK

Am Boden (von oben): Thomas Müller, Mats Hummels, Jerome Boateng, Sami Khedira und Mesut Özil. Foto: Fotos: imago(2) ULMER Pressebildagentur/ DeFodi, AFP, getty images, action press

Am Boden (von oben): Thomas Müller, Mats Hummels, Jerome Boateng, Sami Khedira und Mesut Özil. Foto: Fotos: imago(2) ULMER Pressebildagentur/ DeFodi, AFP, getty images, action press

Moskau. Die Analyse, die Mats Hummels nach dem 0:1 in der Auftaktpartie gegen Mexiko formulierte, war klar, strukturiert und präzise. Jene Attribute, auf die sich nur wenige der deutschen Akteure in den 90 Minuten zuvor berufen konnten. „Wenn sieben oder acht Spieler offensiv spielen, dann ist klar, dass die offensive Wucht größer ist als die defensive Stabilität“, sagte der Innenverteidiger, der vor dem Gegentreffer selbst einen entscheidenden Zweikampf verloren und damit seinen Teil zu der Pleite beigetragen hatte: „Das ist das, was ich intern oft anspreche. Das fruchtet anscheinend noch nicht so ganz. Unsere Absicherung steht nicht gut, das muss man sagen – oft waren nur Jerome und ich hinten. So haben sie uns gnadenlos ausgekontert.“

Tatsächlich wirkte die Elf des Weltmeisters über weite Strecken des Spiels schlecht sortiert, auch gedanklich indisponiert und spielerisch limitiert. Nach dem über weite Phasen ungenügenden Auftritt stehen die Deutschen in ihrer zweiten Partie am Samstag in Sotschi gegen Schweden bereits gehörig unter Zugzwang. Finden Hummels und Kollegen erneut keine Mittel, sich zu stabilisieren, droht dem Titelverteidiger bereits in der Gruppenphase das Aus. Es liegt an Bundestrainer Joachim Löw, sein Konzept zu überdenken und die Mentalität seiner Spieler zu hinterfragen. Außer Manuel Neuer blieben im Duell mit den Mexikanern praktisch alle deutschen Akteure weit unter ihren Möglichkeiten. Entsprechend lang ist die Liste der akuten Problemfälle.

Durchsichtige Strategie. Aus der Startelf für die Partie gegen Mexiko machte Löw kein großes Geheimnis. Er setzte auf acht Weltmeister, wollte damit Stärke demonstrieren und wurde negativ überrascht – weil die vermeintlichen Spitzenkräfte enttäuschten. Auch schien der Bundestrainer von der Taktik des Gegner überfahren. Die Mexikaner attackierten keineswegs, wie im Confed- Cup vor einem Jahr, als die Deutschen 4:1 gewannen, in der Hälfte des Gegners. Sie ließen sich zurückfallen und konterten eiskalt. „Das haben wir so erwartet“, sagte Löw, doch fehlte den Spielern offenbar das passende Rezept.

Die wackligen Weltmeister. Speziell Sami Khedira, Thomas Müller und Mesut Özil, aber auch die Innenverteidiger Hummels und Jerome Boateng agierten träge und wenig inspiriert. Die Spieler, die das Gerüst der Mannschaft bilden sollten, ließen über weite Phasen den natürlichen Biss vermissen, sie wirkten überspielt und mit sich selbst beschäftigt. Ein klares Indiz waren die übertriebenen Wortgefechte, die sich Müller praktisch das ganze Spiel lang mit dem Schiedsrichter leistete. Selbst Kroos fiel mehr durch unwirsche Gestik als durch starke Pässe auf. Und Özil? Dauertrab mit hängenden Schultern.

Löchrige Abwehr. Es war schwer zu begreifen, wie leicht die deutsche Defensive von den pfiffigen Mexikanern ausgehebelt wurde. Ein verlorener Zweikampf am gegnerischen Strafraum, dann ging es blitzschnell. Mit vier, fünf Mann stießen Mittelstürmer Chicharito und Co. auf die zeitweise völlig entblößte Abwehr der Deutschen – weil die Außenverteidiger Joshua Kimmich und Marvin Plattenhardt scheinbar gedankenlos zu weit nach vorne gestoßen waren und Khedira offensichtlich die Geschwindigkeit für die atemberaubend schnellen Tempowechsel fehlte.

Angriff ohne Bumms. Seit dem Rückzug des Top-Torjägers Miroslav Klose fehlt der deutschen Elf ein Vollstrecker der Weltklasse. Timo Werner bekam in seinem WM-Debüt zu spüren, wie hoch die Ansprüche auf dem internationalen Parkett sind. Er kam nur selten gefährlich vor das Tor – auch weil den Kollegen im Mittelfeld einmal mehr die Ideen fehlten, schnell und direkt in den Strafraum zu passen oder zu flanken. Mario Gomez kam erst in der 80. Minute ins Spiel.

Löw und sein Trainerstab arbeiteten den Fehlstart hinter verschlossenen Türen im Mannschaftsquartier in Watutinki auf. Heute fliegt die deutsche Auswahl nach Sotschi an die Schwarzmeerküste – zum ersten Schlüsselspiel auf der schwierigen Mission Titelverteidigung.

In der Partie gegen Mexiko musste Bundestrainer Joachim Löw am Spielfeldrand miterleben, wie sich sie Mannschaft blamierte der Weltmeister verlor seine Auftaktpartie höchst überraschend 0:1. Foto: Federico Gambarini/dpa

In der Partie gegen Mexiko musste Bundestrainer Joachim Löw am Spielfeldrand miterleben, wie sich sie Mannschaft blamierte der Weltmeister verlor seine Auftaktpartie höchst überraschend 0:1. Foto: Federico Gambarini/dpa

Torjäger aus Dortmund: Marco Reus Foto: I. Fassbender/dpa

Torjäger aus Dortmund: Marco Reus Foto: I. Fassbender/dpa

Fußballwelt staunt über den Fehlstart

Die riesige Blamage, die sich der Weltmeister in seinem ersten Auftritt in Russland leistete, hat für Schlagzeilen rund um den Globus gesorgt. Selbstverständlich kamen die leidenschaftlichsten Beiträge aus Mexiko, dem Land, das den überraschenden 1:0-Erfolg feiern durfte. „Historischer Triumph gegen Deutschland. Tor des Lebens, Siegtor, WM-Tor. Unglaublicher Sieg und heldenhaft. Alles passte, selbst das schlechte Spiel der Deutschen“, so schrieb die Zeitung El Universal. Und das Blatt Heraldo de Mexico schwelgte im schweren Pathos: „Mexikos Fußballer schrieben die brillanteste Seite in ihrer WM-Geschichte. Die letzten zehn Minuten waren ein heroischer Widerstand gegen die Teutonen.“

Das spanische Fachblatt Sport bemühte die breiten Letter: „DAS IST EINE BOMBE! Mexiko haut Deutschland weg! Ein wunderschönes Tor von Hirving Lozano erledigt den aktuellen Weltmeister. Deutschland wirkte oft steril und zu durchsichtig.“

Italiens Gazzetta dello Sport spannte den großen Bogen: „In der modernen Welt gibt es keine Sicherheiten mehr: Päpste können zurücktreten, ein Mensch wie Trump kann zum US-Präsidenten werden und Deutschland kann beim ersten WM-Match verlieren.“

In L’Equipe stand: „Der Weltmeister schon unter Druck. Instabil und unfähig zum Spielaufbau ist der Titelverteidiger schon zu Beginn gefallen. In Mexiko überwog die Skepsis, jetzt bebte die Erde.“

Abstrakt präsentierte sich die argentinische Zeitschrift Ole in ihrer Analyse: „Wie, Weltmeister? Was geht mich deine Ehrenrunde in Brasilien an? Was kümmern mich deine galaktischen Namen? Mexiko fehlte vollkommen der Respekt vor Deutschland.“

Die Brasilianer, bei der Heim-WM vor vier Jahren durch das 1:7 im Halbfinale gegen die Deutschen schwer gebeutelt, betrachten die Pleite des Rivalen mit gemischten Gefühlen. O Tempo schrieb: „Jeder Konter der Mexikaner war für die Deutschen ein ‚Gott stehe uns bei‘. Aber der 1:0-Triumph Mexikos könnte Brasilien ausgerechnet Deutschland im Achtelfinale bescheren.“

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Erstellt:
19.06.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 49sec
zuletzt aktualisiert: 19.06.2018, 06:00 Uhr

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