Keinen Quadratmeter hergeben

Naturschützer, Stadträte und Stadtverwaltung diskutierten über die Klinikums-Erweiterung

Auf seinem Schreibtisch, sagte Bernd Selbmann, stehe ein Bild. Darauf ist Tübingen 1968 zu sehen. Dem Leiter des Landesamtes für Vermögen und Bau verdeutliche das, „in welchen Planungshorizonten wir denken müssen“, wenn es um die Erweiterung des Uni-Klinikums bis 2050 geht.

16.11.2016

Von Moritz Hagemann

Am Rand des Steinenbergs, der sich im Bildvordergrund erstreckt, ist mittig das neue Parkhaus zu erkennen. Wie viel vom Steinenberg einmal vom Klinikum bebaut werden darf, darum ging es am Montagabend im „Steinenbergforum“. Bild: Grohe

Am Rand des Steinenbergs, der sich im Bildvordergrund erstreckt, ist mittig das neue Parkhaus zu erkennen. Wie viel vom Steinenberg einmal vom Klinikum bebaut werden darf, darum ging es am Montagabend im „Steinenbergforum“. Bild: Grohe

Der aktuelle Flächennutzungsplan stammt aus den 80er-Jahren. Darin liegt das Problem: „Damals hat der Naturschutz keine wichtige Rolle gespielt“, beklagte der Tübinger Naturschützer Martin Engelhardt. Er war einer der Hauptkritiker der Erweiterungspläne, die am Montagabend im Steinenbergforum mit rund 50 Interessierten im Kinderklinik-Hörsaal diskutiert wurden. Dieses Forum, eine Art Bürgerinitiative, setzt sich gegen die Bebauung des Steinenbergs ein.

Nicht in den Wald eingreifen

Im Flächennutzungsplan ist ein 36 000 Quadratmeter großes Areal auf dem Steinenberg als Nutzungsfläche ausgewiesen. Etwa ein Drittel davon will das Klinikum in Anspruch nehmen. „Keinen Quadratmeter davon wollen wir abgeben“, sagte Engelhardt. Er betonte, dass er für eine Erweiterung naturfreundlichere Alternativen sehe. Die seien von der Stadt „nicht oder zu wenig“ betrachtet worden. Nämlich südlich des unteren Steinenbergweges sowie beim Parkhaus Ebenhalde. Stadtplanerin Barbara Landwehr versprach, diese Flächen nochmals zu untersuchen. Ein Vorschlag von Grünen-Stadtrat Bernd Gugel, der das Waldgebiet nördlich der BG-Klinik in Betracht zog, kommt für Engelhardt nicht infrage: „In den Wald würde ich nicht eingreifen.“

Warum aber stemmen sich die Umweltschützer so gegen die Erweiterung auf dem Steinenberg? Zum einen werden negative Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere und die biologische Vielfalt erwartet. Die Stadt lässt dies nochmals untersuchen. Zum anderen sei der Steinenberg für die wachsende Weststadt ein wichtiges Naherholungsgebiet, sagte Barbara Herzog (Bürgerinitiative Weststadt).

Aus bautechnischer Sicht, so Selbmann, sei der Steinenberg „wesentlich weniger anspruchsvoll“ als das Gebiet in der Oberen Sarchhalde. Dort hat Selbmann am Montagabend ebenfalls zwei Bebauungsvarianten präsentiert. Engelhardt betonte, die Sarchhalde sei „das kleinere Übel“, aber auch nicht bedenkenlos bebaubar. In der Sarchhalde liegt die Nutzfläche zwischen 19 000 und 22 000 Quadratmetern. Am unteren Ende davon ist in Richtung Käsenbach ein Grüngürtel eingeplant. Den bezeichnete Engelhardt als „wertloseste Fläche. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen“. Baubürgermeister Cord Soehlke argumentierte jedoch mit stadtbautechnischen Gründen: Dieser Teil des Käsenbach-Tals müsse frei bleiben, das sei im Sinne der Anwohner.

Eine langjährige Mitarbeiterin des Klinikums gab zu bedenken, dass die Obere Sarchhalde „ein wichtiges Gebiet für die Kaltluftentstehung“ sei. Das bekräftigte Engelhardt, sagte aber auch, dass dies „kein unüberwindliches Hindernis“ sein sollte. Das nickte auch Soehlke ab.

Ursula Rath, Vorstandsmitglied des Umweltzentrums Tübingen, bezweifelte, dass eine Erweiterung in diesem Maße notwendig sei. Sie sagte, die Kliniken seien morgens und mittags zwar überflutet, hätten am Abend aber freie Kapazitäten. Dem entgegnete Stadträtin Ulrike Ernemann (CDU) energisch, die Großgeräte würden von 7.30 Uhr bis 21 Uhr laufen, „und die Mitarbeiter sollten auch ein Privatleben haben“. Ernemann leitet am Klinikum die Neuroradiologie.

Auch der Verkehr war ein Thema. Soehlke sprach von einem „Riesenproblem“, von „Schnell- und Direktbussen“, dazu sei die geplante Stadtbahn zu beachten. Der große Fehler aus verkehrstechnischer Sicht, sagte Soehlke, sei längst passiert: „Die Entscheidung, mit den Kliniken auf den Schnarrenberg zu gehen, war eine der falschesten der Stadtgeschichte.“

Die Veranstaltung am Montagabend, betonte Soehlke, sei „ein Einblick in die Werkstatt“ gewesen, „wir sind noch nicht am Ende der Planung“. Doch Gegner der Steinenberg-Bebauung fühlen sich zu spät eingebunden. Soehlke, Selbmann und Klinikums-Chef Michael Bamberg betonten, wie wichtig ihnen Transparenz sei. Die nächste Debatte mit dem Forum soll folgen.

Im Januar in den Planungsausschuss

Ende Oktober hatten Klinikum, Land und Universität der Stadt einen Kompromiss unterbreitet, wonach sie auf Flächen am Steinenberg verzichten und dort nur ein gutes Drittel bebauen würden. Oberbürgermeister Boris Palmer äußerte im TAGBLATT, dass er diese Variante mittragen würde. Zusätzliche Flächen für die Erweiterung haben die vier genannten Parteien in der Oberen Sarchhalde gefunden. Im Januar sollen die Pläne für die Erweiterung des Klinikums und der Forschungsanstalten im Planungsausschuss präsentiert werden. Im Sommer soll auch der neue Flächennutzungsplan stehen.