Grüne

Nervenprobe für Baerbock

Auf dem Parteitag am Wochenende könnte es heftige Debatten geben. Dabei kann die Kanzlerkandidatin eine Revolte gerade nicht gebrauchen.

11.06.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht ein entscheidendes Wochenende bevor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht ein entscheidendes Wochenende bevor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Für Michael Kellner waren die vergangenen Tage lang, extrem lang. Der Wahlkampfchef der Grünen hatte es mit 3280 Änderungsanträgen für den Parteitag zu tun und musste sortieren, komprimieren, telefonieren. Ab Freitag wollen die Grünen ihr Wahlprogramm bestätigen und Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin wählen. Kellners Arbeit im Vorfeld ist entscheidend. Denn es geht um mehr als nur um das Wahlprogramm. Die Grünen wollen möglichst wenig Konflikte und stattdessen zeigen, wie sie das Land umkrempeln wollen. Es soll ein Feuerwerk der Erfolgsmeldungen werden und der Start des Wettstreits um die Zukunft Deutschlands. Doch der Parteitag könnte zur Zerreißprobe werden.

Aus Sicht der politischen Konkurrenz hat der Wettstreit längst begonnen. Union und SPD schlachteten die Fehler der Grünen gnadenlos aus. Davon gab es einige. Erst musste Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Bonuszahlungen nachmelden, dann kamen Ungenauigkeiten im Lebenslauf ans Licht, schließlich gab es noch eine Benzinpreisdebatte, bei der die Grünen einmal mehr den Stempel Verbotspartei aufgedrückt bekamen. Die Grünen mussten zurückrudern und standen plötzlich als Truppe von Dilettanten da.

Baerbock entschuldigt sich

Zumindest der Diskussion über ihren Lebenslauf wollte Baerbock vor dem Bundesparteitag ein Ende setzen. Sie entschuldigte sich dafür, dass in ihrer Vita falsche Angaben standen. „Das war Mist“, sagte sie. Sie habe ihre Lektion gelernt. Für Bundesgeschäftsführer Kellner war das Thema damit erledigt. „Wir haben einige Fehler gemacht“, gab Kellner zu. Doch: „Annalena Baerbock ist die richtige Kandidatin. Sie steht für Erneuerung“, betonte er. Wie solche Fehler überhaupt passieren konnten, ließ Kellner offen.

Dem Forscher für politische Kommunikation der Universität Hohenheim, Frank Brettschneider, zufolge habe die Partei den Fehler gemacht, sich nach dem furiosen Ergebnis bei der Baden-Württembergischen Landtagswahl zu sicher zu sein. „Die Grünen dachten wohl, es geht bis zur Bundestagswahl so weiter und waren dann nicht vorbereitet. Sie konnten nicht schnell genug reagieren, als die ersten Probleme auftraten“, sagt Brettschneider. Der Schaden dieses Vorgehens sei doppelt. Jetzt werde nicht über Themen wie den Klimaschutz gesprochen, sondern über Persönliches.

Dabei wollen gerade die Grünen mit Inhalten bei der Wählerschaft punkten. Deshalb soll es am Wochenende um Themen gehen, nicht um Lebensläufe. An Debatten wird es nicht mangeln. Teile der Basis wollen einen CO2-Preis von 120 statt 60 Euro, wie es im Wahlprogramm gefordert wird, der Mindestlohn soll nicht 12, sondern 13 Euro betragen und der Ausstieg aus dem Verbrenner schon 2025 und nicht 2030 erfolgen. Eine „verbale Schlacht“ erwartet Oliver Krischer trotzdem nicht. Der grüne Fraktionsvize war zuletzt ebenfalls tagelang mit der Bewältigung der Flut von Anträgen beschäftigt. „Anders als bei früheren Parteitagen sind die großen Linien klar. Jetzt geht es um viele Detailfragen“, sagt Krischer.

Stimmt das? Die Grünen haben regen Zulauf erfahren. Bei der Bundestagswahl 2017 bestand die Partei aus 60?000 Mitgliedern, nun sind es 115?000. Viele davon sind junge, linke Aktivisten ohne politische Erfahrung und möglicherweise mit wenig Kompromissbereitschaft. Auf der anderen Seite steht die etablierte Spitze, die den Kurs in die Mitte lenken will, um in viele Richtungen anschlussfähig zu sein. Im Hintergrund rumort es, Partei- und Fraktionsmitglieder zittern dem Wochenende entgegen, weil unklar ist, ob es nicht doch zu richtigen Revolten kommt. Fraktionsvize Krischer verneint bisher, dass es eine Zerrissenheit in der Partei gebe.

Doch die besten Argumente bringen nichts, wenn man sie dem Wähler nicht vermitteln kann. Das hat etwa die Benzinpreisdebatte gezeigt. Am Ende blieb hängen, dass die Grünen Sprit teurer machen wollen und den sozial Benachteiligten schaden. Dabei ist die Anhebung des CO2-Preises längst von der Bundesregierung beschlossen.

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Erstellt:
11.06.2021, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 11.06.2021, 06:00 Uhr

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