Vorhang auf für die 33. Französischen Filmtage!

Nicht immer nur die Schnuckelfilme

Deutschlands größtes frankophones Festival zeigt vom 2. bis 9. November über hundert Filme. Zum Auftakt gibt es eine burleske Komödie. Stargast ist Daniel Cohn-Bendit.

29.10.2016

Von che/ust

Ein Kommissar wie aus einem Louis-de-Funès-Film soll ein Verbrechen aufklären, die feine Gesellschaft schaut zu: „Ma loute“ ist der Eröffnungsfilm des Festivals.

Ein Kommissar wie aus einem Louis-de-Funès-Film soll ein Verbrechen aufklären, die feine Gesellschaft schaut zu: „Ma loute“ ist der Eröffnungsfilm des Festivals.

Französische Filmtage gibt’s in Tübingen ja eigentlich immer. Zumindest verging im letzten halben Jahr kaum eine Woche, in dem nicht ein neuer Film aus der Grande Nation in die hiesigen Kinos kam. In der so verzweifelten wie meist vergeblichen Hoffnung auf einen Nachfolger der Blockbuster „Ziemlich beste Freunde“ und „Monsieur Claude und seine Töchter“ werfen die deutschen Verleiher fast alles ins Rennen, was aus dem Nachbarland kommt und das Herz zu wärmen verspricht – halbwegs aufgegangen ist diese Rechnung aber nur bei „Birnenkuchen mit Lavendel“. Einen Eindruck von der Vielfalt und dem Reichtum des französischen Kinos bekommt man in einer solchen Schnuckelfilm-Attacke natürlich nicht. Aber dafür gibt es ja die echten Französischen Filmtage.

Zwar wird auch Deutschlands größtes frankophones Filmfestival wieder mit einer Komödie eröffnet – allerdings einer sehr speziellen. Dafür bürgt schon der Name des Regisseurs, Bruno Dumont, dessen minimalistische Sozialdramen unter Filmkunst-Cracks höchste Reputation genießen. Mit „Ma loute – Die feine Gesellschaft“ zeigt er sich nun von einer ganz neuen Seite. Die burleske Provinzposse führt um das Jahr 1910 an einen Küstenort in der Normandie, wo sich reiche Sommergäste und arme Einheimische einen bizarren Klassenkampf liefern. Dumont kommt am Mittwoch, 2. November, zur Eröffnung ins Kino Museum. Die Stars des Films – Juliette Binoche, Fabrice Luchini, Valeria Bruni Tedeschi – wird man allerdings nur auf der Leinwand bewundern können.

Das gilt auch für den Rest des Festivals. Dem Gelegenheits-Kinogänger bekannte Namen finden sich nicht auf der dennoch prall gefüllten Gästeliste. Aber vielleicht lässt sich ja der ein oder andere Star von morgen entdecken. So bringt Bruno Dumont die von ihm selbst entdeckte Jung-Schauspielerin Raph mit zur Eröffnung. Das weckt Erinnerungen an Julie Delpy, die vor 30 Jahren als noch unbekannte Kino-Novizin im Tübinger Rampenlicht stand. Als hoffnungsvolles Talent gilt auch der Teenager Corentin Fila, der in dem Schülerdrama „Quand on a 17 ans“ von Altmeister André Téchiné einen starken ersten Leinwand-Auftritt hingelegt hat.

Wer mit den Leuten vom Film lieber diskutiert, anstatt sie anzuschmachten, kommt ohnehin auf seine Kosten. So wird mit etlichen Gästen die im Vorjahr gestartete Reihe mit Filmen zur aktuellen politischen Lage in Frankreich fortgesetzt. Zündstoff liefert vor allem eine schockierende Dokumentation aus unkommentierten Interviews und Propaganda-Material islamistischer Fanatiker. „Salafistes“ heißt der Film von François Margolin. Der Regisseur kommt gegen Ende der Filmtage, am Dienstag, 8. November, nach Tübingen.

Auch zum altgedienten „Fokus Afrika“ des Festivals werden zahlreiche Filmemacher erwartet. Nicht zuletzt werden etliche Regisseure, die im Wettbewerb um den besten Nachwuchsfilm vertreten sind, ihre Werke persönlich in Tübingen vorstellen. Und dann gibt es ja doch noch einen „Stargast“ – auch wenn dieser mit Kino, so weit bekannt, wenig zu schaffen hat. Der Altachtundsechziger, Grünen-Veteran und deutsch-französische Grenzgänger Daniel Cohn-Bendit wird sich am Donnerstag, 3. November, um 18.30 Uhr im Kupferbau im Interview mit Ex-Filmtage-Leiterin Stefanie Schneider zur politischen Situation in Frankreich äußern.  

Ein regionaler Schwerpunkt ist diesmal die Schweiz. „Ein komisches Land“, findet Festivalleiter Christopher Buchholz. „Da guckt man in den verschiedenen Landesteilen nicht die Filme der anderen an.“ Dabei habe die Schweiz eine große filmische Tradition, ohne dass man dabei an „Heidi“ denken müsse. Eine witzige Antwort auf das idyllische Verhältnis zwischen „Heidi“ und ihrem Großvater „Almöhi“ sei etwa „Sweet Girls“, eine irrwitzige Komödie, in der zwei Mädchen, die alten Leute beseitigen wollen, die den raren Wohnraum verstopfen.

Vertreten wird die Schweiz bei den Filmtagen auch durch den Regisseur Lionel Baier, der außer dem experimentellen, einem fast vollständig mit dem Handy gedrehten Film („Low Cost“), schon viele Genres ausprobierte. Seine Filme sind sehr persönlich, setzen sich mit Schwulsein auseinander und darüber hinaus auch mit Identität und Heimat.

Gibt’s jetzt also gar nichts fürs Herz und Gemüt? Doch, doch. Ein Favorit für die Nachfolge des letztjährigen Publikumshits „Birnenkuchen mit Lavendel“ wäre etwa „Adopte un veuf“. In der Erfolgskomödie beschließt ein Witwer, sein einsam gewordenes Leben mit einer Wohngemeinschaft aufzupäppeln. Wir wünschen: bonne projection!

Filmtage jetzt auch in Reutlingen

Zu den gewohnten Spielstätten in Tübingen, Rottenburg, Mössingen und Stuttgart ist jetzt auch das Kamino in Reutlingen gekommen. Infos zum Programm und Kartenreservierungen für Tübingen unter der Festival-Nummer 0 70 71 / 56 96 56, andernorts bei den Kinos selber.

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Erstellt:
29.10.2016, 23:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 29.10.2016, 23:00 Uhr

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