Handwerkskammer Reutlingen

Hauptgeschäftsführer Eisert im Interview: Nicht ohne Handwerk

Joachim Eisert ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Reutlingen. Mit WIP sprach er über die Auswirkungen der Krise, den Fachkräftemangel und die Bedeutung des Handwerks. Trotz der schwierigen Situation ist er optimistisch.

03.06.2022

Von Moritz Siebert

Joachim Eisert. Bild: Handwerkskammer

Joachim Eisert. Bild: Handwerkskammer

Der Krieg in der Ukraine hat die Situation in der Baubranche verschärft, die Hoffnung auf konjunkturelle Erholung getrübt: Handwerksbetriebe kämpfen mit Materialknappheit und steigenden Preisen. Joachim Eisert, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Reutlingen, ist dennoch optimistisch, dass die Branche die Krise meistert.

Herr Eisert, insbesondere die stark gestiegenen Energiekosten treiben die Preise im Baugewerbe. Wo sind wir denn angelangt?

Erdgas ist ein ganz wichtiger Energieträger für die Versorgung unserer Betriebe, im Nahrungsmittelhandwerk, beim Bau oder den metallhandwerklichen Zulieferern für die Industrie. Der Preis für Erdgas ist gegenüber dem Vorjahr um 144,8 Prozent gestiegen. Wir haben eine Materialverknappung bei Ton und Kaolin, was zum Beispiel für Fliesen und Klinker benötigt wird. Da sind die Preise stark gestiegen. Der Baustahl liegt bei plus 60,4 Prozent, im Schnitt sind die Preise für Materialien um 31 Prozent gestiegen, das ist der größte Anstieg im Erzeugerbereich seit 1949. Und unter der Belastung durch gestiegene Kraftstoffpreise leiden besonders auch unsere Handwerker. Aber nicht nur die Preise sind so gigantisch, die Betriebe bekommen teilweise überhaupt kein Material mehr.

Dabei wären die Auftragsbücher der Handwerker voll. Eine ungesunde Mischung.

Ja. Ein Dachdecker bekommt dann von seinem Baustofflieferanten zum Beispiel gesagt, dass er nur 150 Quadratmeter Ziegel geliefert bekommt. Damit kann er wenig anfangen, wenn er viel mehr benötigt. Das Dach bliebe teilweise ungedeckt, was bei schlechter Witterung ein Problem ist. Außerdem blockiert er die folgenden Gewerke auf der Baustelle.

Was bedeutet das für die Unternehmen?

Das bedeutet, dass sie nicht mehr in der Lage sind, seriös und verlässlich zu kalkulieren. Der Auftraggeber verlangt verständlicherweise Festpreise. Und der Material- und Energielieferant stellt den Betrieben Tagespreise in Rechnung.

Das heißt, das Risiko tragen die Betriebe?

Das Risiko tragen sie. Es ist auch für uns nicht einfach. Wir empfehlen den Betrieben, Vereinbarungen so zu treffen, dass sie im Preis reagieren dürfen bei starken Veränderungen bei Materialkosten. Bei neuen Verträgen empfehlen wir Preisgleitklauseln. Wenn bei alten Verträgen keine Klauseln drin sind, ist das ein Problem. Bei langjährigen, verlässlichen Kunden, wird man sich einigen können. Den Rechtsweg empfehlen wir aber nur als ultima ratio, weil wir die Prozessrisiken auch nicht immer einschätzen können.

Und die Unternehmen bleiben auf den Kosten sitzen...

Manche Betriebe kommen da in Schwierigkeiten. Mir ist der Fall eines Handwerksunternehmens bekannt, das aber nicht aus unserem Bezirk kommt. Es war mit einer größeren Schulhaussanierung beauftragt, wofür es mit rund 100000 Euro Gewinn gerechnet hatte. Den Betrag hat das Unternehmen wegen gestiegener Materialkosten als Verlust eingefahren. Wenn das ein paar Mal passiert, kann ein kleiner Betrieb rasch kippen. Das ist die große Sorge im Bauhauptgewerbe.

Vielen Betrieben macht auch das geplante Öl- und Gas-Embargo gegen Russland Sorgen, das die EU diskutiert. Zu möglichen Auswirkungen gehen die Meinungen auseinander. Wie ist Ihre Einschätzung?

Ich halte mich da mit einer Prognose zurück. Man kann nur hoffen, dass wir Versorgungseinschränkungen, die im Raum stehen, verkraften werden. Aber wenn die Preise exorbitant ansteigen, dann ist es schwierig, von verkraften zu reden. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks in Berlin mit Präsident Wollseifer an der Spitze hat es immerhin geschafft, mit der Bundesnetzagentur einen ständigen Kommunikationskanal zu vereinbaren, damit im Fall von Totalstopps die Gasversorgung von versorgungsrelevanten Handwerksbetrieben möglichst sichergestellt werden kann.

Die Preise im Bau steigen, gleichzeitig haben wir eine Inflation. Das könnte dazu führen, dass die Baukonjunktur abnimmt, weil Bauwilligen das Risiko zu groß wird.

Es hängt immer von der Zielgruppe ab. Ein Normalverdiener, der gespart hat, wird sich überlegen, ob er bei den steigenden Preisen überhaupt mithalten kann. Aber in den Einkommensklassen, in denen in den letzten Jahren durch die florierende Wirtschaft oder mit Aktien und Immobilien viel verdient wurde, da ist noch eine Finanzkraft da, auch bei gestiegenen Preisen.

Und Bedarf an Wohnungen besteht.

Ja der besteht. Auch der Bedarf an hochwertigen handwerklichen Leistungen ist vorhanden. Es geht nicht ohne Handwerk. Das bestätigt die Politik auch immer in Sonntagsreden. Bei politischen Weichenstellungen, die etwa eine noch stärkere Wertschätzung der beruflichen Bildung zum Inhalt haben müssten, wird das dann aber doch nicht so deutlich.

Sie sprechen eine weitere Herausforderung der Branche an: den Fachkräftemangel.

Es bleibt insgesamt schwierig, die jungen Menschen zu begeistern, es ist eine Daueraufgabe. Wir müssen immer wieder den Stellenwert des Handwerks deutlich machen, bei Lehrern, Eltern, jungen Menschen, dass es sich um sichere Arbeitsplätze handelt. Nehmen Sie den Elektrotechniker oder den Anlagenmechaniker, die dienen der Versorgung der Bevölkerung.

Was tut die Kammer denn, um junge Leute für das Handwerk zu gewinnen?

Wir machen schon viel mit Werbekampagnen. Wir versuchen, mit modernen Medien junge Menschen zu erreichen. Die Unternehmen müssen aber auch einsehen, dass sich dieses Bild im Betrieb widerspiegeln muss, was wir in modernen Kampagnen zeigen. Lehrjahre sind zwar keine Herrenjahre, heißt es. Aber man muss heute mit Auszubildenden anders umgehen, als man es noch vor Jahrzehnten getan hat. Das Umfeld muss stimmen. Und die Bezahlung als Gesellin oder Geselle muss stimmen, auch damit wir nicht so hohe Abwanderungszahlen haben. Da arbeiten wir mit den Betrieben dran. Wir benötigen ja auch Betriebsnachfolger, Leute, die Interesse daran haben, einen Betrieb zu managen.

Was macht Ihnen Hoffnung in der Krise?

Wie schon gesagt, ohne Handwerk wird es nicht gehen. Allein schon die Energiewende ist ohne Handwerk nicht denkbar. Hochmoderne Wärmepumpentechnologie, Gebäudedämmung, Solaranlagen, Lade-Infrastruktur, moderne Gebäudeleittechnik: All die Dinge sind ohne handwerkliche Fachkräfte nicht durchzuführen. Und da bin ich auch optimistisch, dass wir die Krise meistern werden. Wir haben viele Krisen im Handwerk gemeistert und wir werden auch durch diese nicht einfache Zeit einigermaßen gut durchkommen.

Die Handwerkskammer Ihre Aufgaben und ihr Chef

Die Handwerkskammer Reutlingen vertritt die Interessen des Handwerks in den Kreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalbkreis. Sie unterstützt Behörden in der Förderung des Handwerks, regelt die Berufsausbildung und
fördert die Fortbildung der Meister und Gesellen. Sie bietet Mitgliedern Rechtsberatung sowie technische und betriebswirtschaftliche Unternehmensberatung.

Dr. Joachim Eisert ist seit 2007 Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Reutlingen. Zuvor war er Leiter der Abteilung „Recht und Sozialpolitik“ beim Baden-Württembergischen Handwerkstag. Eisert studierte Rechtswissenschaft; 1991 promovierte er zu völker- und staatsrechtlichen Aspekten des Themas „Menschenrecht auf die Heimat“.

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Erstellt:
03.06.2022, 10:11 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 13sec
zuletzt aktualisiert: 03.06.2022, 10:11 Uhr

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