Bayerische Staatsoper

Nur die Musik darf berühren

Festspiele wie in alten Zeiten: Kirill Petrenko dirigiert phänomenal „Tristan und Isolde“. Auch Jonas Kaufmann und Anja Harteros ernten Ovationen nach der Münchner Premiere.

01.07.2021

Von JÜRGEN KANOLD

Aussichtslose Liebe: Tristan (Jonas Kaufmann) und Isolde (Anja Harteros). Über der Szenerie läuft ein surrealer Film. Foto: Wilfried Hösl

Aussichtslose Liebe: Tristan (Jonas Kaufmann) und Isolde (Anja Harteros). Über der Szenerie läuft ein surrealer Film. Foto: Wilfried Hösl

München. Der rote Teppich ist ausgerollt, Fotografen stürzen sich auf die lokale Schickeria, die Klatschreporter haben wieder Stoff. Münchner Opernfestspiele, fast wie in alten Zeiten. Und das „Ludwig Zwei“ hat neu geöffnet im Untergeschoss des Nationaltheaters; Ludwig II., der „Kini“, war es ja gewesen, der Richard Wagner vergötterte, ihn finanziell rettete und auch die Uraufführung von „Tristan und Isolde“ 1865 ermöglichte. Das Restaurant serviert nun passende Menüs zur Premiere der Neuinszenierung von Krzysztof Warlikowski, etwa „Verbotene Liebe“, ein Dreierlei aus Weiderind-Tatar, Roastbeef und Carpaccio, und einen „Original Liebestrank“ aus geviertelten Erdbeeren und Holunder.

Ersehnte Normalität also in der immerhin zur Hälfte besetzten Bayerischen Staatsoper (Schachbrettmuster!), und während am Dienstagabend das traurige EM-Achtelfinale der Deutschen lief, war das in München tatsächlich ein furioses, fünfstündiges Endspiel. Nach 13 Jahren tritt Staatsintendant Nikolaus Bachler zum Saisonende ab, er hatte jetzt noch einmal seine bevorzugte Weltklasse aufgestellt: Kirill Petrenko, lange sein Generalmusikdirektor, bis die Berliner Philharmoniker den Russen holten, sowie das Traumpaar Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Und ja, musikalisch war das sensationell.

Petrenko ist so eine Art Röntgenologe unter den Dirigenten, er sieht alles in der Partitur, diagnostiziert das Unerhörte. Genauer gesagt: Er zwingt zum Hinhören, verbreitet nicht nur Gefühle oder sucht den Effekt. Das ist modern. Andererseits tritt dieser Perfektionist als Dramatiker und Klangkünstler auf: wie hingehauchte Stimmungen, feinste Kammermusik, organische Übergänge und dann höchst plastisch gemeißelte Aktionen und Attacken. Und das wirkt, weil das Bayerische Staatsorchester den einst als unspielbar geltenden „Tristan“ wundervoll musiziert, als setzte es seit der Uraufführung den Maßstab.

Aber noch einmal zu den Getränken. Was stand denn auf der Karte des Regisseurs? Mit den romantischen Drinks ist es in dieser Oper nämlich so eine Sache. Tristan bringt seinem Onkel König Marke auf dem Schiff die Braut, wie eine Beute. Es ist Isolde, die Prinzessin aus dem verfeindeten Irland, deren Verlobten er im Kampf erschlagen hat. Allerdings hat Isolde dann den verwundeten Tristan gesund gepflegt. Die unfassbare Liebe.

So fühlt sich die verratene Isolde wie eine „Leiche“, als Tristan sie nun aus Staatsräson nach Kornwall fährt. Sie sucht den Tod, wie Tristan auch, wie sie in der Aussichtslosigkeit von Glück. Doch Brangäne, Isoldes Zofe, leistet keine Sterbehilfe, teilt nicht den bestellten Todestrank aus, sondern heimlich einen Liebestrank. Alles ist jetzt anders, wird aber auch nicht gut. Liebe, Todessehnsucht, „himmelhöchstes Weltentrücken“, das ist ihnen eins, egal mit welchen Drogen.

Eine Frage der Getränke

Schon Thomas Mann freilich konstatierte, der Liebestrank sei nur ein Mittel, um die Leidenschaften frei zu machen, „in Wirklichkeit könnte es reines Wasser sein“. Bei der letzten Münchner „Tristan“-Produktion, Peter Konwitschny führte Regie, servierte zum Beispiel ein Stewart auf einer Luxusjacht die Getränke, Brangäne aber kippte das Gift weg. Und jetzt? Holt Isolde eine tödliche Dosis aus einem Schränkchen, gibt es Brangäne, die das Fläschchen in eine Silberkiste packt, um bald mit zwei gefüllten Gläsern zurückzukommen, die brav getrunken werden. Was offenbar psychedelische Träume auslöst bei den Verliebten, jedenfalls verwandelt sich eine Blumentapete im Hintergrund extrem ins überblendend Bunte.

Hat Brangäne den Trank getauscht? Man weiß es nicht so genau, man kann überhaupt wenig Konkretes von Warlikowskis Regie berichten. Außer, dass Tristan, den ein schrecklich krebskrank aussehender Android doubelt, eine schwere Kindheit hatte, dass es in dieser „Handlung“ um seelische Abgründe geht, und dass Tristan und Isolde – was immer sie auch getrunken haben mögen – in ihrer Einsamkeit gefangen bleiben, man ihnen aber auch den Suizid verwehrt.

Surreale Filme

Der wertig holzgetäfelte Einheitsbühnenraum im Art-Deco-Stil von Malgorzata Szczesniak ist auch mit einer Freud'schen Couch möbliert und Schauplatz diverser Familienaufstellungen. Im zweiten Aufzug, der Liebesnacht, läuft im Hintergrund ein Film, der Tristan und Isolde in einem Hotelzimmer zeigt, wie sie berührungslos auf dem Bett liegen. Davor singen sie sich, in Ledersesseln sitzend, ewig resginiert an – ob das Orchester nun schwelgt oder nicht. Nur am Ende, beim Liedestod, kommen Tristan und Isolde, „mild und leise“ lächelnd, fast kitschig in filmischer Großaufnahme zusammen.

Dafür gab's dann angemessen Buhs für das Regieteam, während sich das Ensemble Ovationen abholte: Jonas Kaufmann hatte davon gesprochen, dass die höllische Partie des Tristan ja nun der Mount Everest für einen Wagner-Tenor sei. Der Superstar spaltet gerne das Publikum, aber an diesem Abend sang er, als könnte er täglich Achttausender besteigen, und zwar ohne Extra-Sauerstoff: Ein lyrischer wie im Schmerz aufbrausender Tristan, in allen Gefühlsschattierungen makellos und selbst mit Belcanto-Schluchzern in der Stimme.

Anja Harteros gelang eine fabelhafte Charakterstudie der Isolde: eine Frau in selbstbewusster Kleiderpracht, die sich nicht einfach dem Schicksal hingibt, die es wissen will, zornig und fordernd. Fast heroisch. Manchmal nur forcierte die Sopranistin allzu drastisch. In aller Dramatik eine große, helle, flutende Stimme: Okka von der Damerau als Brangäne. Wolfgang Koch sang einen wild aufbrausenden Kurwenal, Mika Kares den absolut seriösen König Marke.

Und Kirill Petrenko und das Staatsorchester zeigten nun mal alle „Tristan“-Emotionen. Man hätte auch zuweilen die Augen schließen können. Ein musikalischer Cocktail, der süchtig macht.

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Erstellt:
01.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 39sec
zuletzt aktualisiert: 01.07.2021, 06:00 Uhr

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