Etliche Stimmen hat er schon

OB-Kandidat Stephan Neher erlebte einen entspannten Wahlkampf-Vormittag in Rottenburg

Straßenwahlkampf bei Temperaturen um die fünf Grad machte Rottenburgs Oberbürgermeister am Samstagvormittag auf dem Metzelplatz. „Ich bin heute als Stephan Neher da“, sagte er, falls er auf die gestrige Landtagswahl angesprochen wurde. Er selbst stellt sich am 20. März der Abstimmung.

13.03.2016

Von Gert Fleischer

Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher machte am Samstag, dem Tag vor der Landtagswahl, auf dem Metzelplatz Wahlkampf in eigener Sache. Bild: Rippmann

Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher machte am Samstag, dem Tag vor der Landtagswahl, auf dem Metzelplatz Wahlkampf in eigener Sache. Bild: Rippmann

W ährend sich die Parteien, zum letzten Stimmenfang auf dem Marktplatz und nahe der Josef-Eberle-Brücke verteilt haben, hat der OB den Metzelplatz als Standort. Er trägt Jeans und einen grauen Kurzmantel. Ein runder Klapptisch mit einem Wahlplakat davor steht vorm Bauzaun des gerade im Umbau befindlichen Brunnens, drei Meter entfernt vom Dixi-Klo für die Arbeiter. Vis-a-vis der Stand der Gefängnis-Landwirtschaft, die ihre Erzeugnisse aus Maßhalderbuch verkauft. Auf dem Tisch hat Neher ein Blumengesteck im Pflanzkorb, eine Primel von der Aktion des Einzelhandels, eine Rose wohl von einer der roten Parteien, oblatenrunde Plätzchen mit seinem Bild drauf in Cellophan-Tütchen, Gummibärchen, Schoko- und Kaubonbons. Und seinen Flyer mit dem olympisch klingenden Slogan „gemeinsam. erfolgreich. weiter.“

Zwei Stunden schauen wir ihm zu ab 10.15 Uhr, erst eine Weile aus dem Redaktionsfenster, dann vor Ort. Nahezu pausenlos ist er in Kontakt mit Menschen. Fast gar nicht muss er auf Leute zugehen, sie kommen zu ihm. Ex-Baubürgermeister Holger Keppel lupft seinen Hut zum Gruß, wechselt ein paar Worte mit Neher und geht weiter. Christian Hörburger, Stadtrat der Linken, preist dem OB Roger Willemsens vorletztes Buch „Das hohe Haus“ an. Hätte er dürfen, hätte Hörburger gegen Neher kandidiert, so wie er es einst bei Tappeser machte – jeweils ohne Chance, aber um den Bürgern eine Wahlmöglichkeit zu geben. Hörburger ist zu alt, aber immer noch subversiv: Er wünsche Neher 49 Prozent im ersten Wahlgang. Dann könne Klaus Tappeser im zweiten Wahlgang gegen ihn antreten.

„Ich hab’ jetzt auch mal eine Frage . . .“, drängt sich eine Frau heran. Ein älterer Mann kommt schnellen Schritts vorbei, ruft laut „Gut Holz“, lacht und grüßt Neher mit Handzeichen. Ein anderer Rottenburger ist mit Rollator unterwegs und fragt Neher: „Wem gehört das Prälatenhaus?“ Der Mann hat offenbar Häuser im Umfeld der Sprollstraße im Blick und weist Neher auf eines beim Parkhaus hin. „Das ist am Zerfallen, da bricht der Putz weg“, sagt er. Neher antwortet: „Das gehört der Stadt. Da müssen wir mal was investieren.“ Schon ist er bei seinem Thema „Wohnbaugesellschaft“, die die Stadt gründen könnte.

Erika Bolz, „87-einhalb Jahre“ alt, wie sie sagt und sich ebenfalls auf einen Rollator stützend, schimpft, während sie wartet, bei der Presse auf die moderne Architektur der künftigen Stadtbibliothek: „Eine Schande für den Stadteingang, wir Rottenburger sind entsetzt.“ Eine andere Frau schiebt einen alten Mann im Rollstuhl, grüßt den OB und sagt: „Wir machen unsere obligatorische Samstagmorgen-Runde“. „Alles Gute“, wünscht sie Neher. „Müsste klappen“, meint er. Ein Mann, der Sprache nach vor vielen Jahren zugewandert, sagt: „Meine Stimme haben Sie. Mir gefällt‘s hier.“ Zwei, drei Fragen habe er trotzdem. Er wünscht er sich eine Unterführung unter den Gleisen an der „Hirsch“-Kreuzung hindurch. Da ist Neher fein raus: Die Bahn, das Geld, und der Platz für die Rampen würde sowieso nicht reichen. Während der freundliche Migrant zum eingeschränkten Winterdienst am Gelben Kreidebusen wechselt, rollt eine Dame in den besten Jahren auf dem E-Bike aus der Karmeliterstraße heran, steigt elegant ab und ruft dem OB zu: „Meine Stimme haben Sie schon.“

Gabriele und Winfried Löffler kommen. Er ist Nehers Vorvorgänger und CDU-Mitglied wie er. Zwei sichere Stimmen. „Mit Schoklädle fängt mr Mädle“, erinnert sie sich an einen Spruch ihrer Mutter, als Neher etwas Süßes anbietet. „Wählet au recht!“, ruft der Alt-OB beim Gehen den Umstehenden zu.

Andrea Schilling von der Frauen Union hat nicht nur ihre Tochter dabei und eine neue Frisur, sondern auch eine gute Nachricht: „Die Amelie hat einen Keks von Dir gegessen und gesagt: Den kann man wählen, der schmeckt.“

Ein Stadtwerke-Beschäftigter verrät, Neher sei sein vierter OB. „Mr schilt immer über den, den mr grad hôt.“ Aber er meinte in diesem Fall keinen OB, sondern die unmittelbaren Stadtwerke-Chefs. Ein jüngerer Mann mit etwa neunjähriger Tochter im Schlepp sagt dem Reporter: „Die Musikschule ist mir wichtig. Und das dreigliedrige Schulsystem – aber da hat er keinen Einfluss.“

„Weißt Du, dass die AfD vor Deinem Rathaus steht, genau vorm Haupteingang?, fragt eine junge Frau den Wahlkämpfer. Neher spielt den Empörten: „Was?“ 3000 Euro Geldbuße hat er bezahlt, damit die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn einstellte. Er hatte die AfD mit den Nazis verglichen.

„Ein richtiger Gegenkandidat wär’ schon gut gewesen“, stichelt der nächste Besucher. Neher gesteht: „Mir ist es lieber so.“ Er habe mit dem Tübinger Kollegen Boris Palmer gesprochen, der ernsthafte Konkurrenz vor seiner Wiederwahl hatte. „Man ist schon angespannt“, gibt Neher zu. Es sind gar nicht Wenige, die sich mehr Herausforderung gewünscht hätten, als sie Joachim Schneider (Die Partei) bietet. Doch das ist fast schon das Kritischste, was Neher diesen Vormittag widerfährt. „Es kommen die, die einen sowieso wählen“, beschreibt er die Situation. Erstaunlich ist es, dass in den zwei Stunden keine einzige Frage zu den Flüchtlingen gestellt wurde.

Eine Frau, offensichtlich Muslimin, kommt. Neher kennt sie von verschiedenen Anlässen. Sie deutet mit der Hand auf den Tisch und fragt mit Blicken. Er dachte, sie wolle einen Flyer und nickt. Sie nimmt den Blumenkorb, lächelt dankbar und ist weg. Der OB ist kurz perplex. Dann lacht er: „So ist die Deko schon aufgeräumt.

Es folgen zwei intensive Gespräche: Einmal geht es um die Zustände in der Woche der Sperrmüll-Abfuhr, das andere Mal ums Essen in den Schulmensen. Die Schüler seien nicht zufrieden. Johannes Schick, Hausmeister in St. Klara, reicht dem OB eine dicke, krumme Karotte. „Die ist ja gar nicht gewaschen“, tadelt Neher. Schick: „Wenn Sie keinen richtigen Brunnen haben, sind Sie selber schuld.“ Gelächter ringsum.