Aufwühlendes, auch formal ambitioniertes Skinhead-Drama.

Oi! Warning

Aufwühlendes, auch formal ambitioniertes Skinhead-Drama.

24.11.2015

Von Joachim Hentschel

Oi! Warning

Am Anfang war Idylle: Die Kamera schwenkt am Bodensee-Panorama entlang. Zu ruhig für den 17-jährigen Janosch, der gerade auf der Suche nach Papas Kreditkarte das Wohnzimmer verwüstet. Die Flucht endet am Bahnhof von Dortmund, und während Janosch dort Reibekuchen aus der Hand isst, schlagen neben ihm Skinheads einen Mann zu Pampe.

"Ich kannte einen, der von Überlingen nach Dortmund abgehauen ist", erzählt Dominik Reding, mit seinem Bruder Benjamin zusammen Autor und Regisseur von "Oi! Warning", "der war vom Stadtleben völlig überfordert und musste kämpfen, um Freunde zu finden." Skinhead wurde der nicht. Janosch, der Filmheld, wird einer. Zumindest versucht er es. Am Anfang tun sogar noch die aufmunternden Schulterklapse weh, die Janoschs Freund Koma verteilt.

Koma ist Skinhead mit (tätowierter) Haut und (geschorenem) Haar. Und weil Janosch auf jeden Fall irgendwas sein möchte und es erstmal keine anderen schlüssigen Konzepte gibt, will er wie Koma werden. Bis er einen Wagenburgler kennenlernt, der nach dem Saufen auch mal liebevoll Handpuppen flickt. Der Begriff alternative Lebensform füllt sich mit neuer Bedeutung.

Für ihren Film haben die Dortmunder Reding-Zwillinge auch echte Skinheads gecastet: "Wir haben mit offenen Karten gespielt und alle vorher das Drehbuch lesen lassen", erzählt Dominik. Er kommt selbst aus der Punkszene und hat mit Skins "gute und schlechte Erfahrungen gemacht. Je rechter, desto unangenehmer." Im Film zeigen sie den gemäßigten Flügel der Bewegung: "Politik macht uns krank!" singt die Glatzenmeute da, es geht nicht um Ideale, sondern nur ums Saufen und Feiern. Und um Gewalt: "Wenn den Leuten die Sprache fehlt, kommunizieren sie mit den Fäusten."

Zum Glück ist "Oi! Warning" kein gewolltes Szeneporträt Marke Spätfernsehen, sondern eine bewusst subjektiv erzählte Geschichte. Den Totalenblick, der Übersichtlichkeit vortäuscht, bietet die Kamera deshalb nur selten an, meistens ist sie dicht dran am Fleisch und am Blut, an Schweiß und Muskeln. Motoren röhren, Metall schlägt auf Metall und dazu kläffen die Hunde - alles ist hier Gewalt, und spätestens da merkt man, dass Rockmusik und Videospiele allein nicht schuld sein können am Amoklauf der Jungen.

Die Hassfigur, der Oberskinhead Koma, darf zwar auch menschelnde Angst zeigen und nett zu seinen Kindern sein, aber die Gefahr, dass man ihn sympathisch findet, besteht laut Reding nicht: "Dazu ist der Film zu klar." So gefiel "Oi! Warning" auch international. Beim Festival in Montreal traten einige unabhängige amerikanische Verleiher an die Redings heran - vielleicht läuft ihr Film demnächst in einigen US-Großstädten. Ob Dortmund oder Detroit, die Leute werden?s verstehen.