Horb · Das Mittwochs-Interview

„Olympia ohne Zuschauer ist wie Zuhause reiten“

Auch der Altheimer Michael Jung ist von der Pandemie betroffen. Ende Juli, verrät der 38-Jährige im Gespräch, möchte er trotzdem einen von drei deutschen Startplätzen in der Vielseitigkeit für die Olympischen Spiele ergattern.

03.03.2021

Von Frank Häusler

Michael Jung und der 13-jährige Hannoveraner fischerChipmunk möchten sich für Ende Juli in Tokio in der Vielseitigkeit eines von nur drei Olympia-Tickets sichern. Bild: fh

Michael Jung und der 13-jährige Hannoveraner fischerChipmunk möchten sich für Ende Juli in Tokio in der Vielseitigkeit eines von nur drei Olympia-Tickets sichern. Bild: fh

SÜDWEST PRESSE: Herr Jung, glauben Sie als dreifacher Olympiasieger noch an ein Stattfinden von Tokio 2021?

Michael Jung: Ja. Ich glaube fest daran. Vor wenigen Tagen habe ich dazu auch ein Interview von einem anderen Spitzensportler im Radio gehört, er ist ebenfalls sehr zuversichtlich und trainiert fleißig darauf hin. Ich vermute, es werden ganz andere Olympische Spiele, aber trotzdem hoffe ich, dass sie stattfinden – in welcher Form auch immer. Das Stattfinden der Spiele soll uns Sportlern einfach ein bisschen ein positives Zeichen aussenden.

Welches Pferd wäre für 2020 vorgesehen und welches Pferd soll Ende Juli in Japan an den Start gehen?

Meine erste Wahl im vorigen und auch in diesem Jahr für die Olympischen Spiele ist das Vielseitigkeitspferd fischerChipmunk.

Und wer übernimmt in Ihrem Stall die Rolle des Ersatzpferdes?

Ich denke fischerWild Wave, er wird in Zukunft auch irgendwann in fischerChipmunks Fußstapfen treten. Außerdem das Pferd Highlighter, mit ihm plane ich dieses Jahr auch mal, eine Fünfsterne-Prüfung in der Vielseitigkeit zu gehen. Beides sind Kandidaten, die einspringen könnten und auch aufgrund ihre Prüfungsresultate die Olympiaqualifikation in der Tasche haben. Alle drei – fischerChipmunk, fischerWild Wave und Highlighter – habe ich für Tokio im Hinterkopf.

Wie kann so eine einjährige Verschiebung eines Großereignisses mit einem Pferd trainiert und überbrückt werden?

Training ist weniger das Problem, weil es ja genügend andere Turniere gibt, wo die Pferde weiter in Schuss gehalten und Erfahrungen sammeln können. Es ist mehr ein Problem, wenn jetzt ein Pferd zu alt oder zu jung ist. In meinem Fall kommt die Verschiebung fischerWild Wave entgegen, da er letztes Jahr als Achtjähriger noch etwas zu jung gewesen ist. Es gibt aber sicherlich auch andere Pferde, für die letztes Jahr schon die letzte Möglichkeit gewesen wäre, bei denen wird es dieses Jahr dann wahrscheinlich knapp oder sie kommen für Olympische Spiele dann nicht mehr in Frage.

Gibt es wegen oder während der Pandemie somit Gewinner und Verlierer?

Altersbedingt könnte man das unter den Turnierpferden durchaus sagen. Also ja.

Wer sind die Gewinner in Ihrem Stall, wegen mehr Turniereinsätzen vielleicht die Springpferde?

Nein. In der Vielseitigkeit sind vom Verhältnis her übers Jahr auch einige Turniere gewesen. Jetzt eben, solange im Freien keine Vielseitigkeit stattfindet, findet in der Halle immer deutlich mehr Springreiten statt. Mit einem Hang in Richtung Springreiten ist es insgesamt, glaub ich recht ausgeglichen. Anders in England, da gibt es übers gesamte Jahr gerechnet mehr Turniere für Vielseitigkeitspferde als für Springpferde.

Warum nahmen Sie Ihr Paradevielseitigkeitspferd, den Olympiakandidaten fischerChipmunk, kürzlich mit nach Belgien zu einem reinen Springturnier?

Das ist trainingstechnisch so geplant gewesen. Zum einen sollte er schon vor Freilandbeginn ein bisschen Turnierluft schnuppern und zum anderen, um mit ihm noch ein bisschen an den Feinheiten im Parcours zu feilen und ihn in Gang zu bekommen. Das könnte sich jetzt übers Frühjahr wahrscheinlich auch noch bei dem ein oder anderen Springturnier wiederholen, wenn es gut reinpasst, gehen er und auch andere Vielseitigkeitspferde dann einfach mal mit.

Sind Sie als Olympiasieger für so ein Großereignis in Tokio, wenn es dann ab Ende Juli stattfindet, eigentlich gesetzt?

Nein, auf keinen Fall. Man ist wegen seiner bisherigen Erfolge nie sicher gesetzt. Auch mit einer vorher gewonnenen Medaille erhält man somit noch lange keine Garantie, dass man wieder mitdarf.

Wie stehen dann im Vergleich zu London und Rio de Janeiro Ihre Chancen auf eine erneute Olympiateilnahme?

Prinzipiell ist es schon enger für alle geworden, weil es ja statt vier Vielseitigkeitsreitern nun in Tokio erstmals nur noch drei sind. Zusätzlich geht ein Ersatzreiter mit, der jetzt auch eingewechselt werden darf. Das ist neu. Aber im Grunde dreht sich jetzt alles nur noch um drei Reiter und damit wird es natürlich für alle ganz schön eng. Ich bin froh, dass 2021 auch eine Europameisterschaft stattfindet, denn das ist eine große Motivation. Auch für die ganzen anderen, die jetzt kein Olympia reiten können. Letztes Jahr gab es durch die Olympiaverschiebung schon kein Großchampionat.

Ist bereits bekannt, wann und wo die Europameisterschaft stattfindet?

Nein, das steht noch nicht genau fest. Es gibt die jeweiligen Veranstalter, die auch ihren Wunschtermin haben, aber entschieden ist im Moment noch nichts.

Mit anderen Nationalflaggen gibt’s unter Ihren Schülern in Altheim noch zwei weitere Olympiakandidaten – wie steht’s um Pietro Grandis aus Italien?

Ich glaube, ihm reicht es eher noch nicht und Pietro Grandis fehlt auch noch eine Olympiaqualifikation. Vernünftigerweise arbeite ich mit ihm jetzt in Richtung Europameisterschaft, wenn das klappt, wäre das dann auch schon ein riesiger Erfolg. Es wäre sein erstes internationales Championat.

Außerdem der Japaner Kenki Sato?

Richtig. Kenki Sato möchte natürlich zu seinem Olympia-Heimspiel und ich glaube, da stehen die Chancen auch relativ gut. Er hat mit Shanaclough Contadora auch ein bereits qualifiziertes Pferd und muss nun dieses Jahr noch einige gute Ergebnisse bringen, um eben in seinem japanischen Vielseitigkeitsteam unter die besten vier oder besser noch unter die drei Besten reinzurutschen. Denn auch Japan erhält in der Vielseitigkeit nur drei Startplätze.

Bei Ihnen, im deutschen Olympiakader, fanden da schon erste Jahreslehrgänge statt oder wie sieht der Fahrplan bis Tokio aus?

Es fanden schon kleinere Trainingseinheiten statt, da war ich noch nicht dabei. Ab dem kommenden Montag, vom 8. bis 10. März ist nochmal Training, da bin ich dann im Norden dabei. Anfang April geht’s dann mit den Vielseitigkeitsturnieren los. Auch bei uns in Baden-Württemberg, in Radolfzell und dann in Marbach. Rüdiger Rau in Altensteig möchte ebenfalls wieder Turniere anbieten. Wegen der Pandemie müssen wir Reiter eben sehr flexibel sein, welches Turnier taucht vielleicht auf und welches Turnier muss abgesagt werden. Überall ist es ein bisschen anders, aber die Turniere, die auch letztes Jahr stattgefunden haben, boten uns immer wieder sehr gute Trainingsorte. Richtung Tokio sieht es mit der Vorbereitung demnach auch dieses Jahr hoffentlich wieder so gut aus.

Abschließend einen Blick in Richtung Amateursport. Wie wird die Pandemie grundsätzlich den Reitsport verändern?

Das ist schwer zu beantworten. Für Amateure wird es sicherlich erstmal etwas schwieriger mit Turnierstarts. Schon allein, weil einige Turniere abgesagt haben oder absagen mussten. Einige Veranstalter müssen einfach von den Zuschauerzahlen leben und können sich nur über deren Einnahmen finanzieren. Es gibt aber auch andere Turniere, die während der Pandemie neu dazugekommen sind und zeigen, dass es vielleicht mit irgendwelchen anderen Wegen geht. Aber Turniere ohne Zuschauer, das ist eben anders und wird bestimmt auch Thema bei den Olympischen Spielen sein.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Wenn die Zuschauer nicht mehr da sind, nicht mehr anfeuern können und einem nicht mehr zujubeln. Und wenn man dann über die Ziellinie geritten kommt. Egal, ob bei Olympia oder irgendwo anders ein gutes Ergebnis errungen hat. Ohne Zuschauer und ohne die dazugehörige Atmosphäre ist das dann eigentlich damit vergleichbar, als wenn man nur Zuhause reitet. Wenn dadurch ohne die typische Turnieratmosphäre von außen der Druck weniger ist, entwickelt man auch schlichtweg weniger Kampfgeist. Doch zurückkommend zum Amateursport, hier wird sich die kommenden Wochen und Monate erst zeigen, wie es sich weiterentwickelt. Trainingstechnisch kann man im Reitsport ja zum Glück schon einiges machen, aber mit Turnieren ist es nach wie vor noch schwierig.

Glauben Sie, die Reitsportfans können sich nach letztjähriger Absage nun zum Ende der Saison im November wieder auf die German Masters in Stuttgart freuen?

Auf jeden Fall. Im Moment steht das German Masters in der Schleyer-Halle auf dem Plan und ich hoffe, dass es spätestens ab Sommer irgendwie auch verschiedene Lösungen gibt – Stichwort Impfungen. Derzeit heißt es aber, abwarten was letztendlich funktioniert. Wenn aber Stuttgart stattfindet und vielleicht auch wieder ein paar Zuschauer reindürfen, dann wird das nach Tokio definitiv ein weiteres Highlight in diesem Reitsportjahr.

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Erstellt:
03.03.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 04sec
zuletzt aktualisiert: 03.03.2021, 01:00 Uhr

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