Nach Thorntons Henker kommt schon wieder ein Mitleid erregendes Monster aus den USA.

One Hour Photo

Nach Thorntons Henker kommt schon wieder ein Mitleid erregendes Monster aus den USA.

24.11.2015

Von che

One Hour Photo

„Check your smile? steht auf dem Spiegel, vor dem sich Sy Parrish (Robin Williams) jeden Morgen vor Arbeitsantritt die Krawatte richtet. Die Mahnung kommt nicht von ungefähr, denn das wirkliche Leben bietet für den traurigen alten Mann wenig Grund zur Freude. Tagsüber verrichtet er in einem sterilen Supermarkt eine stupide Fließband-Arbeit als Fotolaborant. Abends hockt er in seiner trostlosen Wohnung einsam vor dem Fernseher und starrt geistesabwesend auf die „Simpsons? oder „Raumschiff Enterprise?.

Umso mehr Vergnügen hat Sy in seinem parallelen Universum, in das er in jeder verfügbaren Minute flieht. Es ist dies die heile Welt der jungen Familie Yorkin, die im Geschäft zu seiner Stammkundschaft gehört. Von deren Urlaubs- und Kindergeburtstags-Fotos macht er heimlich Extra-Abzüge, mit denen er liebevoll seine Wohnung tapeziert. Doch schon bald genügen ihm die Abbilder vermeintlich vollkommenen Glücks nicht mehr. Er will, wenigstens als eine Art Onkel, wirklich Teil haben am Leben der Yorkins, die sich von seinen Avancen erst geschmeichelt und dann zunehmend kompromittiert fühlen.

Aus „One Hour Photo? hätte ein solider Thriller der bekannten Marke „Psychopath bedroht Familienidyll? werden können. Teilweise ist er das auch, doch Regisseur Mark Romanek, der früher für Madonna und Janet Jackson Videoclips gemacht hat, wollte entschieden mehr: Er zeichnet das deprimierende Soziogramm einer in elenden Fassadendörfern hausenden Menschheit. Das zeigt sich vor allem an den exzellent ausstaffierten und fotografierten Schauplätzen. Das Kaufhaus: eine konsumterroristische Bastion der Menschenfeindlichkeit. Sys Wohnung: eine so finstere wie Meister-Propper-blanke Grusel-Gruft. Doch auch das Haus der Yorkins im Grünen ist nicht viel mehr als ein vom Neureichtum auf Hochglanz getrimmtes Schein-Idyll. Kein Wunder, dass Sy vollends durchdreht, als seine Traum- sich als eine schnöde Wahnwelt entpuppt.

Der Rest ist eine fulminante One-Man-Show von Robin Williams, der seine infantile Grimassier-Phase offenbar überwunden hat und nach „Insomnia? schon die zweite Spitzenleistung binnen weniger Monate abliefert. Sehr nuanciert spielt er Sy als einen sanften, Furcht und Mitleid erregenden Psychopathen, der wegen seines kindlichen Glaubens an das unerreichbar Gute das Böse erst entfesselt.