Von der Shampoo-Prinzessin zur Ikone

Opel-Marketing-Chefin Tina Müller räumte in der Entringer Design-Schmiede mit Vorurteilen auf

Drehen wir mal das Ganze. Würden Sie als Daimler-Beschäftigter zum Konzernchef Dieter Zetsche sagen: „Ah, da kommt ja der Wurst-King!“ Weil Sie mal gesehen haben, dass der Boss beim Essen ordentlich reingehauen hat. Wir können eine Wette machen: So oder anders despektierlich hat noch keiner beim Daimler den Top-Manager angegangen. Als Tina Müller als neues Vorstandsmitglied bei Opel ihre Begrüßungsrunde durch den Betrieb machte, schallte ihr vom Betriebsrats-Vorsitzenden entgegen: „Da kommt ja die Shampoo-Prinzessin!“

27.10.2016

Von Wolfgang Albers

Die Talk-Runden bei der Entringer Firma Design Tech haben Tradition. Zur 13. Auflage hatte Firmenchef Jürgen R. Schmid (links im Bild) die Marketing-Expertin Tina Müller eingeladen. Als Moderator fungierte wieder der Fernsehjournalist Markus Brock. Bild: Metz

Die Talk-Runden bei der Entringer Firma Design Tech haben Tradition. Zur 13. Auflage hatte Firmenchef Jürgen R. Schmid (links im Bild) die Marketing-Expertin Tina Müller eingeladen. Als Moderator fungierte wieder der Fernsehjournalist Markus Brock. Bild: Metz

Am Dienstagabend erzählte Tina Müller das in Entringen, in der Firma Design Tech. Zum 13. Mal hatte der Ammerbucher Betrieb, der sich auf das Design im Maschinenbau konzentriert, zu seinem Design Talk geladen. Und mit der Marketing-Chefin von Opel einen Gast, der herzhaft lachen konnte über die Anrede „Shampoo-Prinzessin“.

Denn Tina Müller ist inzwischen ein mehrfacher Business-Star. Einmal als eine der ganz wenigen Frauen im Top-Management der Automobil-Branche, vor allem aber als diejenige, die Opel vom Loser-Image befreite und die Marke wieder trendy und erfolgreich machte. Mit ihrem Meisterstück „Umparken im Kopf“. Eine Kampagne, die den Betrachter mit Vorurteilen wie diesem konfrontierte: „Wer schwul ist, kann nicht Fußball spielen. Es sei denn, er war Deutscher Meister.“ Das Raffinierte war: Der Name Opel tauchte da gar nicht auf. Bis nach etlichen Tagen mit unterschiedlichsten Teasern Tina Müller via Bild-Zeitung enthüllte: Ja, genauso ist das mit den Opel-Vorurteilen. Höchste Zeit für eine neue Sicht.

Vorurteile hatte Tina Müller selbst jede Menge kennengelernt, als sie im Jahr 2014 nach 20 Jahren Arbeit in der Kosmetik-Branche zum krisengeschüttelten Autobauer wechselte. „Wahnsinn, das geht doch gar nicht“, rieten ihr Freunde ab. „Kind, die sind doch pleite“, sorgte sich der Vater.

Und im Konzern guckte nicht nur der Betriebsrats-Vorsitzende dumm: „Was wollen Sie hier?“ Als Tina Müller sich mal in einem Opel-Autohaus umschaute, pampte sie der Verkäufer an: „Sie wissen doch gar nicht, was Sie wollen – bringen Sie doch mal ihren Mann mit!“ Und der Berater der Boston Consulting Group, der für Opel zuständig war, verbreitete nach seinem Antrittsbesuch bei Tina Müller: „Die schafft das nicht.“

„Das ist eine Macho-Branche“, gibt Tina Müller unumwunden zu. „Wenn ich das vorher so genau gewusst hätte, hätte ich gar nicht den Mut gehabt, dorthin zu wechseln.“ Wie sie überhaupt mit einer gehörigen Portion Unkenntnis in die Jobsuche ging. Ein Headhunter hatte sie angerufen: „Unterhalten Sie sich doch mal mit Karl-Thomas Neumann.“ „Karl-Thomas wer?“, fragte sie zurück. Karl-Thomas Neumann ist der Vorstandsvorsitzende von Opel.

Was Tina Müller auch nicht wusste, aber schnell mitbekam: Genau so jemanden wie sie suchte Opel – branchenfremd, unbelastet von den Depressionen, die der Name Opel auslöste, mit dem Blick von außen und für neue Wege. Entsprechend unorthodox verliefen die Vorstellungsgespräche in der General-Motors-Zentrale in Detroit. Mit Mary Barra, der heutigen Chefin, unterhielt sie sich „55 Minuten über Handtaschen und fünf über Autos.“ Und GM-Vize Steve Girsky, der den Ruf „Ein Mann fürs Grobe“ hat, schleppte sie in einen miesen Burger, mampfte und schielte dauernd auf den Fernseher. „Ich glaub, der wollte mich einfach testen.“

Nun, Tina Müller hat die Gabe eines unkomplizierten Auftretens und lacht gerne. Was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass sie genau weiß, was sie will. Nicht wollte sie die Volksmusik-Kampagne mit Helene Fischer und Andrea Berg, die ihr der Berater der Boston Consulting Group auf den Tisch knallte. „Danke, tschüss“, sagte sie. Nicht wollte sie den Vorschlag der renommierten Agentur Scholz und Friends, die Opel mit einem Rückgriff auf die glorreiche Vergangenheit hochhieven wollten. Die Werber mussten nacharbeiten bis zur Umparken-Kampagne.

Mittlerweile versteht sie sich bestens mit dem Betriebsratsvorsitzenden, kassiert Lob vom Berater, und Scholz und Friends wirbt stolz: „Die Kampagne wird zu einer der meistausgezeichneten und erfolgreichsten Kreationen aller Zeiten.“

Und Tina Müller dankt Karl-Thomas Neumann und einigen anderen Entscheidern: „Das ging alles nur, weil die unbeirrt an mich geglaubt haben. Wir Frauen brauchen auch Männer, die hinter uns stehen, wenn andere versuchen, einen abzusägen. Ohne starke Männer gibt es keine starken Frauen in der Industrie.“

Was sie auch zur Befürworterin der Quote gemacht hat: „Die muss als Hebel mithelfen. Es tut sich sonst zu wenig. Ich war früher gegen die Quote, weil ich immer gedacht habe, dass sei eine Beleidigung für die Frauen. Aber das sehe ich jetzt anders.“

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Erstellt:
27.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 27.10.2016, 01:00 Uhr

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