Paradise Now

Paradise Now

Im Reich der lebenden Toten: Aufschlussreicher Trip mit zwei Selbstmord-Attentätern.

24.11.2015

Von che

Paradise Now

Was sind das eigentlich für Leute, die sich aufgrund grotesker Versprechungen aufs Paradies und 40 Jungfrauen einen Sprengstoffgürtel umbinden lassen und damit unschuldige Menschen und sich selbst in den Tod bomben? Ganz normale Kerle, legt der Film des palästinensischen Regisseurs Hany Abu-Assad nahe. Die Freunde Khaled und Said sind weder besonders dumm noch besonders helle, ihr Leben in der Westbank ist hart, aber nicht unerträglich, die Familienverhältnisse sind halbwegs intakt und Religion praktizieren sie mehr so nebenbei.

Weil das in Palästina aber zum guten Ton gehört, haben sie sich irgendwann als Kandidaten für ein Selbstmordkommando gemeldet und werden jetzt als Todesengel in die Pflicht genommen. Betont nüchtern schildert der Film ihre letzten 48 Stunden bis zum geplanten Attentat: den Stolz und die Angst (vor dem Tod oder als Feigling dazustehen); die Rechtfertigungsstrategien und keimenden (Selbst-)Zweifel, aus denen die beiden unterschiedliche Schlüsse ziehen; das hohle Pathos der Drahtzieher, die Abu-Assad mit feinem Spott ins Lächerliche zieht.

Psychologisch bleibt das zwar sehr im Ungefähren; auch die verbreitete Selber-schuld-Häme gegen Israel trägt nicht gerade zur Überzeugungskraft bei. Dennoch schälen sich beiläufig, vielleicht sogar unabsichtlich, einige Ursachen des mörderischen Irrsinns heraus: eine Gesellschaft, in der Gewalt und Tod seit Jahrzehnten fest im Alltag verankert sind; die prekäre soziale Lage, die vor allem junge Männer als persönliches Debakel erleben; die kulturelle Vorherrschaft der Religionsfanatiker und krankhaften Antisemiten, die sich in einem korrupten Umfeld als Retter in der Not profilieren.

Für den Regisseur sind Khaled und Said in erster Linie Opfer, denen die Verhältnisse Moral und Vernunft ausgetrieben haben und die so zur leichten Beute von Hass-Predigern und Terror-Paten werden, die selber keinen kleinen Finger für die vermeintliche Freiheit riskieren würden. Ob das den Kern der Sache trifft, wäre zu diskutieren; ein Beitrag gegen die mythische Überhöhung von Selbstmord-Attentätern ? hier Märtyrer, dort Dämonen ? ist „Paradise Now? allemal.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 00sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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Daniel 09.10.200512:00 Uhr

Nach der Filmvorfuehrung hoerte ich den spontanen Kommentar "Jetzt kann ich Selbstmordattentaeter etwas verstehen". Das bestaetigte meinen Eindruck, dass hier eine sehr einseitige Darstellung der Situation in Israel und den Palaestinensergebieten erfolgt. Israelis kommen selten und in Distanz vor, und zwar z.B. als grimmig blickende Soldaten oder korrupte Helfer der Moerder; in einer Szene wird eine klassische antisemitische Verschwoerungstheorie unwidersprochen dargelegt. Auch die palaestinensische Frau Suha, offenbar als Sympathietraegerin gedacht, wendet sich aus primaer strategischen, nicht moralischen Gruenden gegen die Selbstmordattentate und beteiligt sich an den Anschuldigungen gegen Israel. Der Folgen des Mordes schliesslich, die Leiden der Opfer, werden diskret hinter einer weiss ueberblendeten Leinwand verborgen.-- Abgesehen von alledem war der Film auch noch langweilig.