Politik als Beruf

Hier wird Max Weber für wahltaktisches Vorgehen herangezogen.

12.11.2016

Von Kuno Kirschfeld

In einem Leserbrief hatte ich vorgeschlagen, aus taktischen Gründen die AfD zu wählen und dadurch etablierte Parteien aufzurütteln. Hartmut Dreher wirft mir vor, Ich würde meiner Vorbildfunktion als Hochschullehrer nicht gerecht, und mir fehle das Verantwortungsbewusstsein für unsere Demokratie.

Einer der markantesten Aussprüche des Altkanzlers Helmut Kohl war: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Der Soziologe Max Weber hat 1919 in einem Vortrag Politik als Beruf aufgezeigt, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei grundverschiedenen, gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch orientiert sein. Kohls Ausspruch charakterisiert Verantwortungsethik, genauso wie mein Vorschlag, aus taktischen Gründen die AfD zu wählen: Ich will ja nicht, dass sie ihre Ziele durchsetzen kann (bei ihrem Stimmenanteil ist dies nicht zu befürchten), sondern ich will erreichen, dass die etablierten Parteien nicht eine häufig Lobby-determinierte Politik betreiben wie seit vielen Jahren, sondern dass sie sich auch für die Ärmsten einsetzen, die ohne Lobby sind (im meinem ersten Leserbrief spezifiziert).

Mit meinen Studenten hatten wir im Seminar auch Webers Vortrag durchgearbeitet und dabei gelernt, dass in unserem Rechtsstaat sehr wohl auch nach verantwortungsethischen Maximen gehandelt werden darf. Und nach taktischen Gesichtspunkten zu wählen ist legitim, kann moralisch sogar geboten sein. Was also bleibt von Drehers Vorwürfen?