Ausstellung

Politische Positionen mit dem Pinsel

18 Studenten der Kunstakademien Stuttgart und München zeigen ab Freitag im Foyer der Stadthalle Sulz Werke zum Thema „Druck gegen Rechtsruck“.

07.11.2018

Von Cristina Priotto

Auf zwei großen Leinwänden befasst sich Ivan Zozulya mit Köchen aus Sri Lanka. Bilder: Cristina Priotto

Auf zwei großen Leinwänden befasst sich Ivan Zozulya mit Köchen aus Sri Lanka. Bilder: Cristina Priotto

Ein Mann drückt sich verängstigt gegen eine graue Zellenwand. Für die Bleistiftzeichnungen hat sich Evgenia Kosareva durch eine Dokumentation über syrische Flüchtlinge in Gefangenschaft inspirieren lassen.

Kosareva ist eine von rund 20 Studierenden der Kunstakademien Stuttgart und München, die ab 9. November aktuelle, bislang überwiegend noch nie öffentlich gezeigte Werke im Foyer der Sulzer Stadthalle präsentieren. Mit dem Aufbau hat ein Teil der jungen Leute am gestrigen Dienstagnachmittag begonnen.

Cordula Güdemann begleitete die Gruppe aus Stuttgart und erklärte beim Presserundgang den Hintergrund: „Ich habe kein Thema vorgeschlagen, aber ich wusste, dass Politik und der Protest gegen Rechtsradikalismus die Studenten sehr interessiert“. Daraus habe sich bei vielen das Schicksal von Flüchtlingen ergeben.

Der mehrere Quadratmeter große Holzdruckstock von Jinjoo Lee an der Wand hinter der Theke im Foyer der Sulzer Stadthalle bildet nicht nur bezüglich der Größe einen Kontrast zu den Werken der zeichnenden Kommilitonin, sondern auch inhaltlich: Das Wort „Bildungsexil“ lässt sich in der Mitte vor einer Berglandschaft spiegelverkehrt entziffern. Die Südkoreanerin thematisiert damit die Gebühren für ausländische Studierende. „Wer dieses Geld nicht hat, muss woandershin flüchten – eben ins Bildungsexil“, erklärt die junge Frau das Werk.

Das Gefühl, nirgendwo zu Hause zu sein, hat Einan Kaku aufgegriffen: Auf drei Selbstportraitfotos hält die japanische Kunststudentin das Wort „Ausländerin“ jeweils auf Deutsch, Japanisch und Chinesisch in die Kamera und beschreibt damit die eigene Fremdheit überall.

Von sehr viel Mut und enormem Zeitaufwand zeugt eine weniger gestalterisch, als inhaltlich bedrückend-beeindruckende Arbeit: Auf Dutzenden mal großen, mal winzigen Papierstücken hat der Urheber in Kneipen, in denen rechtsradikale Kreise verkehren, Gesprächsfetzen notiert. Die dokumentierten Aussagen wurden auf eine lange Papierbahn geklebt und zeugen von schockierendem Hass auf Fremde.

Wie vielfältig das Spektrum der Nachwuchskünstler ist, verdeutlicht auch Hannah Kohler: Zum einen hat die Studentin die Erfahrungen mit Flucht und Ausgrenzung von Menschen aus anderen Kulturen, mit besonderen äußeren Merkmalen oder Homosexuellen in Zitaten festgehalten und daneben Polaroidfotos geklebt. Die collageartigen Exponate ähneln Postkarten, zeugen jedoch vom Gegenteil von netten Urlaubserlebnissen. „Vorurteile sind der Ausgangspunkt für Rassismus“, erklärt die junge Frau. Parallel zur Längsseite der Stadthalle hat Kohler darüber hinaus mehrere Stoffbahnen an die Decke gehängt. Im Lavendeldruckverfahren bannte die Fotografie-Studentin auf der Installation Fotos von Soldaten der Moltke-Kaserne und eines Reiterbataillons.

Was Alessia Schuth am gestrigen Dienstagnachmittag tat, bedurfte für Nicht-Künstler einer Erklärung: Die Stuttgarter Studentin trug mit einer Heißpistole ein Netzmuster aus Thermoplastik auf Pappröhren auf. Aus diesem sehr fragilen Material hat Schuth ein zersägtes Schlauchboot gefertigt. Die stilisierten Handabdrücke symbolisieren die meist vergeblichen Versuche, sich an das rettende Boot zu klammern.

Schwarz und Weiß genügen Mona Mousavitabar für drei Linolschnitte, die Kinder auf der Flucht darstellen. „Die Auswirkungen einer Flucht vor dem Krieg auf Kinder sind gravierend“, weiß die gebürtige Iranerin.

Ivan Zozulya ist derweil noch damit beschäftigt, zwei mehr als mannshohen Leinwände an den Rahmen festzutackern. Das Diptychon fordert den Betrachter heraus: Siebdrucke zeigen Köche aus Sri Lanka, darüber sind die Konturen typischer Kleidungsstücke des Küchenpersonals gemalt. „Die Köche sind in einem Restaurant die essentiellen Figuren, aber die Gäste bekommen diese Leute fast nie zu sehen“, beschreibt der Student den Ansatz.

Claudia Magdalena Merk hat ihr Ölbild „Die Dimension des Krieges“ genannt. Rot grundiert, zeigt das zweiteilige Gemälde Soldaten mit Waffen. Auf einem anderen Bild steht ein bereits skelettierter Kämpfer noch das Gewehr im Anschlag – und verteidigt sein Land bis über den Tod hinaus.

Etwa 20 Studenten der Klassen von Cornelia Güdemann (Akademie der Bildenden Künste Stuttgart), Stephan Dillemuth und Ricarda Roggan (beide Akademie der Bildenden Künste München) beteiligen sich an dem historisch-künstlerischen Projekt in Sulz.

Alessia Schuth hat aus Thermoplastik ein Schlauchboot gestaltet.

Alessia Schuth hat aus Thermoplastik ein Schlauchboot gestaltet.

Mona Mousavitabar zeigt einen Linoldruck mit Flüchtlingskind.

Mona Mousavitabar zeigt einen Linoldruck mit Flüchtlingskind.

Auf Stoffbahnen hat Hannah Kohler Fotos gedruckt.

Auf Stoffbahnen hat Hannah Kohler Fotos gedruckt.

Soldaten kämpfen auf Claudia Merks Bild auch nach dem Tod.

Soldaten kämpfen auf Claudia Merks Bild auch nach dem Tod.

Kunst und Vortrag:

Die Ausstellung „Druck gegen Rechtsruck“ wird am Freitag, 9.

November, um 19 Uhr im Foyer der Stadthalle eröffnet. Bürgermeister Gerd Hieber spricht ein Grußwort. Die Einführung halten Stephan Dillemuth (ABK München) und Cordula Güdemann (ABK Stuttgart). Dazu erscheint ein Katalog mit allen Werken.

Ein Vortrag mit Klaus Schätzle zum Thema „Die widerwillige Revolution: Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte im Kreis Rottweil 1918 bis 1920“ findet im Anschluss statt.

Lea Chotjewitz, Luca Daberto, Johannes Fedisch, Jonathan Göhler, Elena Haas, Tanja Hamester, Einan Kaku, Yongchul Kim, Evgenia Kosareva, Hanna Kohler, Jinjoo Lee, Claudia Merk, Mona Mousavitabar, Julian Momboisse, Lisa Nase, Mako Sangmongkhon, Alessia Schuth, Jule Sonnentag, Ivan Zozulya

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Erstellt:
07.11.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 07.11.2018, 01:00 Uhr

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