Straßenverkehr

Radfahren gegen Temposünder

Nehren schließt sich der „Critical Mass“-Bewegung an.

28.11.2016

Von Jürgen Jonas

Fast wie in den großen Metropolen: Die Critical Mass-Bewegung hat auch Nehren erreicht. Vorneweg in leuchtend orangener Warnweste radelt Gerhard Ziersch, der sich wie seine Mitradler auf der Ortsdurchfahrt mehr Rücksichtnahme von Autofahrern wünscht. Bild: Franke

Fast wie in den großen Metropolen: Die Critical Mass-Bewegung hat auch Nehren erreicht. Vorneweg in leuchtend orangener Warnweste radelt Gerhard Ziersch, der sich wie seine Mitradler auf der Ortsdurchfahrt mehr Rücksichtnahme von Autofahrern wünscht. Bild: Franke

Klingelt es da nicht durch Nehren? Und wie! Ein Verband von Fahrradfahrern wehrt sich gegen den Durchgangsverkehr im Ort, der, besonders in den frühen Morgenstunden und nach Feierabend, die Grenzen der Geschwindigkeit überschreitet und Lärm produziert. Betroffen sind vor allem die Hauchlinger-, Haupt-, Luppach- und Bahnhofstraße.

Am Freitag trafen sich in der beginnenden Dämmerung zwanzig Radfahrer, angetan mit Warnwesten, auf unterschiedlichsten Modellen auf der Wette in der Ortsmitte, um gemeinsam etwas gegen den Autoverkehr zu tun, der viele Bürger nervt. „Seit dem Frühjahr gilt hier Tempo 30!“, ruft Gerhard Ziersch. Aber viele halten sich nicht daran. Der frühere Gemeinderat der Alternativen Liste hat zusammen mit seinem Nachbar Philipp Schenk, beides Hauptstraßen-Anwohner, die Fahrt organisiert. Nehren erweitert damit seine Aktionsformen, schließt sich der weltweiten Bewegung „Critical Mass“ an. Mit einer Aktionsform, bei der sich Radfahrer scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um in großer Menge mit gemeinsamen Fahrten durch Innenstädte auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam zu machen und um, wie erklärt wird, „mit dem Druck der Straße mehr Rechte für Radfahrer und vor allem eine bessere Infrastruktur und mehr Platz einzufordern“.

Aber auch die Frage zu stellen, ob öffentlicher Raum nicht dem Verkehr entzogen und anders genutzt werden soll. Monatliche CM-Fahrten finden in vielen deutschen Städten von Aachen bis Würzburg statt, in Stuttgart etwa unter dem Motto „Ritzel statt Rußpartikel“. Nun also auch Nehren, sicherlich als kleinste Gemeinde.

„Wir sind der Verkehr!“, meint Ziersch in seiner Ansprache. „Geschwindigkeitsbeschränkung ohne Kontrolle ist ein zahnloser Tiger.“ Er will „nicht mit gesenktem Haupt verharren“ und demütig darauf vertrauen, dass schon das Rechte geschehen werde, wenn die Pläne des ausgeschriebenen Architektenwettbewerbs zur Gestaltung der Straßen umgesetzt werden. Bis umgebaut wird, werden sicher noch drei Jahre vergehen. Das Automobilaufkommen ist hoch, viele Balinger, Hechinger oder Böblinger Kennzeichen sind zu sehen. „Warum nehmen sie nicht die Umgehungsstraße und fahren normal außenherum?“, diese Frage stellt ALN-Gemeinderat Jürgen Lauhoff, der mit seiner SPD-Kollegin Tanja Schmidt dabei ist.

Der Zug setzt sich in Bewegung, fährt Richtung Hauchlingen, dreht auf dem Parkplatz um und strampelt die Strecke zurück, biegt in die Luppachstraße ein, fährt gemächlich Richtung Bahnhof. Und wieder zurück. Wie verhalten sich die Motorisierten? Manche verkehrswidrig, indem sie, wie etwa ein roter Flitzer, in der unübersichtlichen Kurve bei der Kirche mit heulendem Motor an den Radlern vorbeiziehen oder hupend in den Verband einscheren wollen, wenn sie überholen und auf entgegenkommende Fahrzeuge treffen. Viele halten sich aber auch an die Verkehrsordnung, hinter dem Verband bildet sich ein langer Stau. Passanten reagieren auf die Klingeltöne, klatschen, winken, einer ruft: „Endlich!“ Allen macht die Aktion viel Spaß, in Anhängern sind auch Kinder mit dabei. Nachher gibt es im Marktladen bei Sahins ein warmes Getränk. Die nächste „Critical Mass“-Aktion wird vereinbart. Alles, was Zweirad hat, soll kommen.

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Erstellt:
28.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 30sec
zuletzt aktualisiert: 28.11.2016, 01:00 Uhr

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RabeHugo 28.11.201614:32 Uhr

Ich finde diese Aktion super. Aber ehrlich gesagt: Wo sind die politisch Verantwortlichen? Wenn man Regeln wie ein Tempolimit aufstellt, dann muss man diese auch kontrollieren. In Tübingen geschieht das Gleiche: In der alten Weberei gibt es Tempo 20 und ein Parkverbot in den nicht gekennzeichneten Flächen. Wenn ich bei der Stadt anrufe und eine Kontrolle wünsche, dann heißt es, dafür wären die Kosten höher als die Einnahmen...
Neoliberaler geht es wohl nicht mehr - ich frage mich wirklich, wie weit es mit den grünen noch bergab geht.
Noch etwas zum Schmunzeln: In der Nürtinger Str. wurde jetzt in einer Tempo 20 ! Zone eine Querungshilfe für Fußgänger eingeführt, weil die Autos zu schnell fahren. Mein Vorschlag: In der Fußgängerzone Zebrastreifen anbringen ;-)
Eigentlich ist das Ganze doch der Bankrott der Stadtplanung bei politisch korrekter Ökofolklore.
Wenn ich nicht wüsste, wie schlimm die Rechten sind, würde ich bald auch die Afd wählen ;-)

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